Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wenn die Blase zwickt
Entzündungen der Harnwege können Frauen wie Männer treffen – Was hilft und wann man zum Arzt muss
MÜNCHEN/KIEL - Solange sie leer ist, ist die Blase ein unscheinbares kleines Organ. Leer aber bleibt sie nie lange: Beständig tröpfelt Urin aus den Nieren hinein, beide Organe sind über die Harnleiter miteinander verbunden. Je mehr Flüssigkeit in die Blase gelangt, desto größer wird ihr Auftritt: Wie ein Luftballon dehnt sie sich aus – und funkt schließlich an das Gehirn, um sich bemerkbar zu machen. „Das ist der Moment, in dem wir merken, dass wir bald aufs Klo müssen“, sagt Professor Ricarda Bauer. Die Ärztin leitet die Blasensprechstunde an der Urologischen Klinik der Universität München.
Im Gegensatz zu den meisten Menschen redet sie gerne über die Blase. „Für mich ist das kein Tabuthema, sondern einfach ein geniales Organ“, sagt sie und schwärmt vom komplexen Zusammenspiel aus Bändern, Muskeln, Nerven, Rückenmark und Hirn. Und von ihrem immensen Fassungsvermögen, das rund 800 Milliliter umfasst. Der Harndrang meldet sich allerdings schon viel früher. So ermöglicht uns die Blase, das „Abwasser“in einem passenden Moment loszuwerden. „Höflich ist sie also auch noch“, scherzt Bauer.
Meist sind Frauen betroffen
Doch mit dem passenden Moment ist es so eine Sache. Das weiß jeder, der schon einmal unter einer Blasenentzündung gelitten hat – und das gilt für die meisten Frauen in Deutschland. Statistisch gesehen leidet jede Zweite ein- oder mehrmals im Leben unter einer schmerzhaften Zystitis. „Typische Symptome sind Brennen beim Wasserlassen, Krämpfe im Unterbauch, ständiger Harndrang und trüber oder blutiger Urin“, sagt die Kieler Frauenärztin Dorothee Struck. Dass Frauen die Krankheit häufiger bekommen, hat einen einfachen anatomischen Grund: Ihre Harnröhre ist mit etwa vier Zentimetern Länge deutlich kürzer als die von Männern, die es schnell auf 20 Zentimeter und mehr bringt. Außerdem liegen After und Vagina so dicht beieinander, dass Bakterien bei Frauen leichtes Spiel haben. Sind sie erstmal aus dem Darm in die Scheide gelangt, ist die Harnröhre für sie ein Highway direkt in die Blase. Das Problem: Während Escherichia-coliBakterien im Darm wertvolle Arbeit verrichten, sorgen sie in der Blase für nichts als Ärger und eine äußerst schmerzhafte Entzündung.
Frauenärztin Struck und Urologin Bauer geben trotzdem Entwarnung: Normalerweise ist eine Blasenentzündung ungefährlich und gut behandelbar. „Nur wenn Fieber,
Schmerzen in der Nierengegend oder grippeähnliche Symptome hinzukommen, könnte eine Nierenbeckenentzündung drohen“, sagt Bauer. Das kommt aber selten vor, in der Regel lässt sich die Krankheit gut selbst behandeln. „Wer schon bei den ersten Anzeichen auf Ruhe, Wärme, reichlich Flüssigkeit und passende pflanzliche Präparate setzt, hat gute Chancen, die Entzündung schnell in den Griff zu bekommen“, sagt Frauenärztin Struck.
Männer müssen damit zum Arzt
Aus Angst vor Schmerzen beim Urinieren weniger zu trinken, halten beide für eine schlechte Idee: „Gerade bei einer Entzündung ist reichlich Flüssigkeit wichtig, um die Bakterien aus Blase und Harnwegen zu spülen“, sagt Bauer. Diese Tipps gelten übrigens auch für Männer. Die sind zwar deutlich seltener betroffen – von hundert Männern erwischt es im Schnitt nur einen. Doch wenn die Blasenentzündung zuschlägt, dann meist mit voller Wucht. „Bei Männern ist die Ursache einer Blasenentzündung oft eine vergrößerte Prostata, die den Urinabfluss aus der Blase behindert“, erklärt die Münchner Urologin Bauer. Urinreste in der Blase aber bieten einen idealen Nährboden für Bakterien. Eine Entzündung ist dann nicht mehr weit. Meist betrifft das Problem ältere Männer ab dem 50. Lebensjahr.
Ein weiterer Unterschied zwischen Männern und Frauen: Währen die Infektion bei Frauen oft harmlos verläuft, ist sie bei Männer fast immer ein Fall für den Arzt. Bei ihnen besteht die Gefahr, dass sich die Entzündung auf die Prostata, die Nieren oder die Nebenhoden ausweitet – das ist gefährlich und so schmerzhaft, dass es selbst die härtesten Kerle außer Gefecht setzt.
Vorsicht bei Antibiotika
Abgesehen davon helfen bei beiden Geschlechtern Wärme, viel trinken und pflanzliche Präparate. Während die Wirkung von Heilpflanzen bei vielen Krankheiten umstritten ist, ist sie bei Blasenentzündung gut belegt. Studien zeigen zum Beispiel, dass in akuten Fällen Mittel aus Kapuzinerkresse und Meerrettich helfen, weil sie krampflösend, antibakteriell und antibiotisch sind. Wer über einen längeren Zeitraum vorbeugen will, ist mit Mitteln aus Rosmarin, Liebstöckel und Tausendgüldenkraut gut beraten. Zur Vorbeugung eignet sich der Saft aus Cranberries oder Preiselbeeren – allerdings nur, wenn man Direktsaft ohne Zusätze wählt. Die Inhaltsstoffe glätten das Epithel in der Blase und erschweren es Bakterien, sich dort einzunisten. „Wer zu Sodbrennen oder Nierensteinen neigt, sollte die Säfte allerdings meiden“, rät Struck, die zur Spülung der Blase harntreibende Tees wie indischen Nierenblättertee oder echtes Goldrutenkraut empfiehlt.
Klingen die Beschwerden nicht ab oder werden schlimmer, ist ein Arztbesuch ratsam. Aber Vorsicht:
„Oft schaden Antibiotika mehr als sie nützen“, erklärt Bauer. Tatsächlich belegen Studien, dass die Darmflora noch drei Monate nach einer einwöchigen Antibiotikatherapie Veränderungen aufweist. „Wir wissen mittlerweile, dass eine gesunde Flora in Darm und Scheide wichtig ist, um Blasenentzündungen zu bekämpfen“, sagt Bauer. Antibiotika setzen sie und ihre Kollegin Struck deshalb nur noch in wenigen Fällen ein. „80 Prozent bekommt man ohne in den Griff“, ist Struck sicher. Dazu sei allerdings auch ein Umdenken nötig: Viele Ärzte müssten sich mit Antibiotika-Rezepten mehr zurückhalten. Und viele Patienten die Tabletten nicht nur schlucken, um möglichst schnell wieder zu funktionieren. „Eine langfristige Lösung sieht anders aus“, sagt Struck. Gerade bei immer wiederkehrenden Entzündungen sei Geduld gefragt. „Am besten probiert man in solchen Fällen verschiedene Methoden“, sagt Bauer. Davon gibt es einige: Impfungen, Autovaccine, Probiotika, östrogenhaltige und antibakterielle Cremes und pflanzliche Mittel zum Beispiel.
Antibabypille ist oft ein Problem
Für Frauen lohnt sich auch oft ein Wechsel der Verhütungsmethode. „Spermizide oder Hormon-Spiralen können Blasenentzündungen begünstigen, oft ist bei Frauen auch die Pille das Problem“, sagt Struck. Der Grund: „Viele Präparate enthalten zu wenig Östrogen, das gegen Bakterien wappnet“, erklärt Struck. Manchmal sind allerdings auch die Keime selbst das Problem. Dänische Forscher haben herausgefunden, dass manche Bakterien ihre Form ändern, um sich besser an die Blasenwand schmiegen zu können – wo sie vor Antibiotika sicher sind. Leider wissen die Forscher noch nicht, was man dagegen tun kann. Sie vermuten, dass die smarte Anpassungstechnik der Grund für immer wiederkehrende Entzündungen sein könnte.
Übrigens: „Viele Männer leiden unter einer unentdeckten Prostataentzündung und geben beim Sex krankmachende Keime weiter“, so Bauer. Das basische Milieu von Sperma und die durch die Reibung gereizte Schleimhaut der Scheide erhöhen die Empfindlichkeit noch, auch häufig wechselnde Sexpartner verschärfen das Problem. Das hat Blasenentzündungen den Beinamen „Flitterwochenkrankheit“eingebracht. Davon sollte sich aber niemand einschüchtern oder den Spaß verderben lassen. Auch wenn es oft ein wenig Geduld und Tüftelei erfordert – „in den Griff bekommen lässt sich das Leiden so gut wie immer“, sagt Urologin Bauer.