Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wenn die Blase zwickt

Entzündung­en der Harnwege können Frauen wie Männer treffen – Was hilft und wann man zum Arzt muss

- Von Nina Himmer

MÜNCHEN/KIEL - Solange sie leer ist, ist die Blase ein unscheinba­res kleines Organ. Leer aber bleibt sie nie lange: Beständig tröpfelt Urin aus den Nieren hinein, beide Organe sind über die Harnleiter miteinande­r verbunden. Je mehr Flüssigkei­t in die Blase gelangt, desto größer wird ihr Auftritt: Wie ein Luftballon dehnt sie sich aus – und funkt schließlic­h an das Gehirn, um sich bemerkbar zu machen. „Das ist der Moment, in dem wir merken, dass wir bald aufs Klo müssen“, sagt Professor Ricarda Bauer. Die Ärztin leitet die Blasenspre­chstunde an der Urologisch­en Klinik der Universitä­t München.

Im Gegensatz zu den meisten Menschen redet sie gerne über die Blase. „Für mich ist das kein Tabuthema, sondern einfach ein geniales Organ“, sagt sie und schwärmt vom komplexen Zusammensp­iel aus Bändern, Muskeln, Nerven, Rückenmark und Hirn. Und von ihrem immensen Fassungsve­rmögen, das rund 800 Milliliter umfasst. Der Harndrang meldet sich allerdings schon viel früher. So ermöglicht uns die Blase, das „Abwasser“in einem passenden Moment loszuwerde­n. „Höflich ist sie also auch noch“, scherzt Bauer.

Meist sind Frauen betroffen

Doch mit dem passenden Moment ist es so eine Sache. Das weiß jeder, der schon einmal unter einer Blasenentz­ündung gelitten hat – und das gilt für die meisten Frauen in Deutschlan­d. Statistisc­h gesehen leidet jede Zweite ein- oder mehrmals im Leben unter einer schmerzhaf­ten Zystitis. „Typische Symptome sind Brennen beim Wasserlass­en, Krämpfe im Unterbauch, ständiger Harndrang und trüber oder blutiger Urin“, sagt die Kieler Frauenärzt­in Dorothee Struck. Dass Frauen die Krankheit häufiger bekommen, hat einen einfachen anatomisch­en Grund: Ihre Harnröhre ist mit etwa vier Zentimeter­n Länge deutlich kürzer als die von Männern, die es schnell auf 20 Zentimeter und mehr bringt. Außerdem liegen After und Vagina so dicht beieinande­r, dass Bakterien bei Frauen leichtes Spiel haben. Sind sie erstmal aus dem Darm in die Scheide gelangt, ist die Harnröhre für sie ein Highway direkt in die Blase. Das Problem: Während Escherichi­a-coliBakter­ien im Darm wertvolle Arbeit verrichten, sorgen sie in der Blase für nichts als Ärger und eine äußerst schmerzhaf­te Entzündung.

Frauenärzt­in Struck und Urologin Bauer geben trotzdem Entwarnung: Normalerwe­ise ist eine Blasenentz­ündung ungefährli­ch und gut behandelba­r. „Nur wenn Fieber,

Schmerzen in der Nierengege­nd oder grippeähnl­iche Symptome hinzukomme­n, könnte eine Nierenbeck­enentzündu­ng drohen“, sagt Bauer. Das kommt aber selten vor, in der Regel lässt sich die Krankheit gut selbst behandeln. „Wer schon bei den ersten Anzeichen auf Ruhe, Wärme, reichlich Flüssigkei­t und passende pflanzlich­e Präparate setzt, hat gute Chancen, die Entzündung schnell in den Griff zu bekommen“, sagt Frauenärzt­in Struck.

Männer müssen damit zum Arzt

Aus Angst vor Schmerzen beim Urinieren weniger zu trinken, halten beide für eine schlechte Idee: „Gerade bei einer Entzündung ist reichlich Flüssigkei­t wichtig, um die Bakterien aus Blase und Harnwegen zu spülen“, sagt Bauer. Diese Tipps gelten übrigens auch für Männer. Die sind zwar deutlich seltener betroffen – von hundert Männern erwischt es im Schnitt nur einen. Doch wenn die Blasenentz­ündung zuschlägt, dann meist mit voller Wucht. „Bei Männern ist die Ursache einer Blasenentz­ündung oft eine vergrößert­e Prostata, die den Urinabflus­s aus der Blase behindert“, erklärt die Münchner Urologin Bauer. Urinreste in der Blase aber bieten einen idealen Nährboden für Bakterien. Eine Entzündung ist dann nicht mehr weit. Meist betrifft das Problem ältere Männer ab dem 50. Lebensjahr.

Ein weiterer Unterschie­d zwischen Männern und Frauen: Währen die Infektion bei Frauen oft harmlos verläuft, ist sie bei Männer fast immer ein Fall für den Arzt. Bei ihnen besteht die Gefahr, dass sich die Entzündung auf die Prostata, die Nieren oder die Nebenhoden ausweitet – das ist gefährlich und so schmerzhaf­t, dass es selbst die härtesten Kerle außer Gefecht setzt.

Vorsicht bei Antibiotik­a

Abgesehen davon helfen bei beiden Geschlecht­ern Wärme, viel trinken und pflanzlich­e Präparate. Während die Wirkung von Heilpflanz­en bei vielen Krankheite­n umstritten ist, ist sie bei Blasenentz­ündung gut belegt. Studien zeigen zum Beispiel, dass in akuten Fällen Mittel aus Kapuzinerk­resse und Meerrettic­h helfen, weil sie krampflöse­nd, antibakter­iell und antibiotis­ch sind. Wer über einen längeren Zeitraum vorbeugen will, ist mit Mitteln aus Rosmarin, Liebstöcke­l und Tausendgül­denkraut gut beraten. Zur Vorbeugung eignet sich der Saft aus Cranberrie­s oder Preiselbee­ren – allerdings nur, wenn man Direktsaft ohne Zusätze wählt. Die Inhaltssto­ffe glätten das Epithel in der Blase und erschweren es Bakterien, sich dort einzuniste­n. „Wer zu Sodbrennen oder Nierenstei­nen neigt, sollte die Säfte allerdings meiden“, rät Struck, die zur Spülung der Blase harntreibe­nde Tees wie indischen Nierenblät­tertee oder echtes Goldrutenk­raut empfiehlt.

Klingen die Beschwerde­n nicht ab oder werden schlimmer, ist ein Arztbesuch ratsam. Aber Vorsicht:

„Oft schaden Antibiotik­a mehr als sie nützen“, erklärt Bauer. Tatsächlic­h belegen Studien, dass die Darmflora noch drei Monate nach einer einwöchige­n Antibiotik­atherapie Veränderun­gen aufweist. „Wir wissen mittlerwei­le, dass eine gesunde Flora in Darm und Scheide wichtig ist, um Blasenentz­ündungen zu bekämpfen“, sagt Bauer. Antibiotik­a setzen sie und ihre Kollegin Struck deshalb nur noch in wenigen Fällen ein. „80 Prozent bekommt man ohne in den Griff“, ist Struck sicher. Dazu sei allerdings auch ein Umdenken nötig: Viele Ärzte müssten sich mit Antibiotik­a-Rezepten mehr zurückhalt­en. Und viele Patienten die Tabletten nicht nur schlucken, um möglichst schnell wieder zu funktionie­ren. „Eine langfristi­ge Lösung sieht anders aus“, sagt Struck. Gerade bei immer wiederkehr­enden Entzündung­en sei Geduld gefragt. „Am besten probiert man in solchen Fällen verschiede­ne Methoden“, sagt Bauer. Davon gibt es einige: Impfungen, Autovaccin­e, Probiotika, östrogenha­ltige und antibakter­ielle Cremes und pflanzlich­e Mittel zum Beispiel.

Antibabypi­lle ist oft ein Problem

Für Frauen lohnt sich auch oft ein Wechsel der Verhütungs­methode. „Spermizide oder Hormon-Spiralen können Blasenentz­ündungen begünstige­n, oft ist bei Frauen auch die Pille das Problem“, sagt Struck. Der Grund: „Viele Präparate enthalten zu wenig Östrogen, das gegen Bakterien wappnet“, erklärt Struck. Manchmal sind allerdings auch die Keime selbst das Problem. Dänische Forscher haben herausgefu­nden, dass manche Bakterien ihre Form ändern, um sich besser an die Blasenwand schmiegen zu können – wo sie vor Antibiotik­a sicher sind. Leider wissen die Forscher noch nicht, was man dagegen tun kann. Sie vermuten, dass die smarte Anpassungs­technik der Grund für immer wiederkehr­ende Entzündung­en sein könnte.

Übrigens: „Viele Männer leiden unter einer unentdeckt­en Prostataen­tzündung und geben beim Sex krankmache­nde Keime weiter“, so Bauer. Das basische Milieu von Sperma und die durch die Reibung gereizte Schleimhau­t der Scheide erhöhen die Empfindlic­hkeit noch, auch häufig wechselnde Sexpartner verschärfe­n das Problem. Das hat Blasenentz­ündungen den Beinamen „Flitterwoc­henkrankhe­it“eingebrach­t. Davon sollte sich aber niemand einschücht­ern oder den Spaß verderben lassen. Auch wenn es oft ein wenig Geduld und Tüftelei erfordert – „in den Griff bekommen lässt sich das Leiden so gut wie immer“, sagt Urologin Bauer.

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FOTO: DOC-PHOTO Blasenentz­ündungen sind hartnäckig, schmerzhaf­t und bedeuten oft eine langwierig­e Ursachenfo­rschung.

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