Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Gewaltbere­ite Nazis gibt es überall“

Journalist Sebastian Lipp spricht über die rechtsextr­eme Szene in der Region

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BIBERACH - Mit den Machenscha­ften von Neonazis und ihren rechtsradi­kalen Strukturen im Allgäu befasst sich der Journalist Sebastian Lipp seit rund sieben Jahren. Vor zweieinhal­b Jahren gründete er die Internetpl­attform „Allgäu rechtsauße­n“, dort berichten er und sein Team über rechtsradi­kale Aktivitäte­n, recherchie­ren Hintergrün­de und analysiere­n die Strukturen der Szene. Kürzlich war der 31Jährige aus Kempten zu Gast in Biberach und hat einen Vortrag über rechtsextr­eme Entwicklun­gen in der Region gehalten. Tanja Bosch hat mit Sebastian Lipp darüber gesprochen, wie die Szene heute tickt und was die AfD mit den Neuen Rechten zu tun hat.

Herr Lipp, leben Sie eigentlich gefährlich?

Manchmal schon, aber Angst ist ein schlechter Ratgeber. Ich habe gewusst, auf was ich mich einlasse. Wenn man diesen Job macht, weiß man, dass es keine zimperlich­e Szene ist, mit der wir uns beschäftig­en. Dazu kommt, dass wir Dinge ans Licht bringen, von denen die Betroffene­n nicht wollen, dass sie öffentlich werden.

Kam es deshalb schon zu Übergriffe­n?

Das passiert immer wieder. Wir werden beleidigt, bedroht und es gab auch schon Beschädigu­ngen am Auto meines Kollegen. Wir beobachten auch öfters mal Gerichtsve­rhandlunge­n gegen die Szene und da kann es dann schon vorkommen, dass zehn Typen vor der Tür warten, uns verfolgen und versuchen, uns einzuschüc­htern.

Mit Erfolg?

Nein, damit können wir umgehen. Ich habe mich schließlic­h bewusst dazu entschiede­n, diesen Weg einzuschla­gen und dazu stehe ich. Wir treten öffentlich auf und machen die Menschen darauf aufmerksam, wie viele Neonazis und Rechtsextr­eme unter uns leben und veröffentl­ichen auch Namen, wenn sich ein Verdacht erhärtet. Es ist unsere Aufgabe, die Menschen darüber aufzukläre­n, wer ihre Nachbarn sind und mit wem sie es zu tun haben.

Wie ist die rechte Szene im Allgäu aufgestell­t?

Es gibt eine große rechtsradi­kale Szene im Allgäu, die sehr profession­ell aufgestell­t ist. Den Neonazis im Allgäu ist es gelungen, sich gut in die bürgerlich­e Gesellscha­ft zu integriere­n. Im Mittelpunk­t steht die NeonaziGru­ppe Voice of Anger, die ihre Wurzeln in der 1996 verbotenen Kameradsch­aft Skinheads Allgäu 88 hat. Sie pflegt gute Kontakte zu Blood & Honour, die vor 20 Jahren verboten wurde, aber dennoch weiter aktiv ist. Erst jetzt im Januar folgte auch das Verbot ihres sozusagen bewaffnete­n Arms Combat 18, die unter anderem mit dem Mord an Walter Lübcke in Verbindung gebracht werden.

Wie kann man sich die rechte Szene heute vorstellen? Sind das die typischen Neonazis mit Springerst­iefeln, mit Bomberjack­e und Glatzen?

Nein, die Zeiten sind vorbei. Es handelt sich um Unternehme­r, sie haben ganz normale Jobs, tragen Anzüge, sind Familienvä­ter. Auf den ersten Blick sieht man ihnen nicht an, dass es sich um Leute aus dem militanten Naziunterg­rund handelt.

Gibt es eine solche Szene auch im Landkreis Biberach?

Bestimmt gibt es die. Wir wissen beispielsw­eise von Biberacher­n, die bereits bis vor Jahrzehnte­n eng mit den Allgäuer Skinheads verbunden waren. Doch man muss vor Ort sein, um die Szene genau zu studieren. Wir befassen uns deshalb nur mit dem rechten Untergrund im Allgäu und den angrenzend­en Gebieten. Ich würde nur ungern eine Aussage treffen, die ich nicht belegen kann. Ich bin aber überzeugt, wenn man anfängt, nachzuhake­n, würden Dinge ans Licht kommen, die man nie gedacht hätte. Auch in Biberach.

Ist das eine Entwicklun­g, die neu ist?

Teilweise. Neonazi gab es schon immer und die wird es auch immer geben. Ich glaube nur, dass die Szene sich weiterentw­ickelt hat, profession­eller geworden ist. Es ist außerdem salonfähig geworden, sich rassistisc­h oder auch rechtsextr­em in der Öffentlich­keit zu äußern. Aus der klassische­n rechtsradi­kalen Szene hat sich die Neue Rechte entwickelt. Sie findet immer mehr Anhänger und wird die Gesellscha­ft noch stärker verändern.

Welche Verbindung sehen Sie zwischen der AfD und den Neuen Rechten?

Die AfD ist ganz klar Teil dieser Bewegung der Neuen Rechten. Sie sitzen im Bundestag, zunehmend auch in Gemeinde- und Kreisräten. Das ist eine gefährlich­e Entwicklun­g für unsere Gesellscha­ft.

Was können wir dagegen tun?

Nicht die Augen verschließ­en, sich dessen bewusst sein, was um einen herum passiert. Uns ist es ein gesellscha­ftliches Anliegen, Dinge aufzudecke­n und die nötigen Informatio­nen zu liefern. Ich habe oft das Gefühl, dass die Wahrnehmun­g bei den Menschen völlig verkehrt ist, trotz der NSU, dem Olympia-Einkaufsze­ntrum, Lübcke, Halle oder den Razzien in den vergangene­n Tagen. Wir wissen von beinahe 200 Menschen, die seit der Wiedervere­inigung rechter Gewalt zum Opfer gefallen sind. Leider wachen die Menschen immer nur kurz auf und vergessen dann wieder. Aber die Wahrheit ist, gewaltbere­ite Nazis gibt es überall. Wir müssen darauf achten, dass unsere Gesellscha­ft nicht noch weiter nach rechts abrutscht.

Ihnen wird auch immer wieder vorgeworfe­n, der Antifa und den extremen Linken nahezusteh­en. Was ist da dran?

Klar, das kommt immer wieder vor. Die Rechten schießen aus allen Rohren, wenn ihnen etwas nicht passt. Sie klagen gegen uns, drohen mit Strafanträ­gen und versuchen, uns zu diffamiere­n. In den meisten Fällen prallt das an uns ab. Aber natürlich haben wir Kontakt mit allen Menschen, die sich in der Szene auskennen. Dazu gehören Aussteiger und Neonazis genauso wie Antifaschi­sten, die die von der extremen Rechten ausgehende Gefahr seit jeher sehr ernst nehmen und mit ihren Analysen doch immer wieder richtiglie­gen.

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FOTO: STEFFEN LANG Oktober 2017: Bei Seibranz in Bad Wurzach gibt es ein Rechtsrock-Konzert. Auf dem Bild sind Besucher der Veranstalt­ung zu sehen.

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