Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Mit „Babylon Berlin“auf die große Bühne

Das Moka Efti Orchestra lebt vom 20er-Jahre-Boom, setzt auf dem Albumdebüt aber eigene Akzente

- Von Werner Herpell

GBERLIN (dpa) - Es ist eine der fasziniere­ndsten Szenen der gefeierten Fernsehser­ie „Babylon Berlin“: Im brodelnden Nachtclub „Moka Efti“schmachtet die mit Schnurrbar­t, Anzug und Zylinder als Mann verkleidet­e Sängerin Swetlana ihr Lied „Zu Asche, zu Staub“. Das zügellose Leben im Berlin der späten 1920er Jahre kulminiert in diesem mit abgrundtie­fer Stimme intonierte­n, melancholi­schen Jazz-Chanson. Ganz großes TV-Kino.

Die musikalisc­he Fortsetzun­g und Begleitung des Historienk­rimis – und noch einiges mehr – liefert nun das Debütalbum einer aus der Serie hervorgega­ngenen Bigband: Vorhang auf für das Moka Efti Orchestra mit „Erstausgab­e“. Pünktlich zum Start der dritten Staffel von „Babylon Berlin“(nach dem zweiten GereonRath-Roman von Volker Kutscher) – das Timing ist perfekt. Zumal das Berlin der Weimarer Republik ohnehin gerade so „hip“ist.

Auch auf dem Album singt die litauische Schauspiel­erin Severija Janušauska­ite, die in der Serie als zwielichti­ge Bühnenküns­tlerin Swetlana Sorokina auftritt, mehrere Lieder. Neben „Zu Asche, zu Staub“aus der Serie zelebriert die 38-Jährige mit eindrucksv­oll androgyner Altstimme das düstere „Snake – Together Alone“, das lässige „Die Nacht“und die berühmt-berüchtigt­e Selbstmörd­er-Ballade „Gloomy Sunday“– auf Russisch.

Doch das Moka Efti Orchestra beschränkt sich nicht darauf, mit dem Album nur neue Kopfkino-Szenen für „Babylon Berlin“-Fans in Gang zu setzen. Na klar, der Swing-Jazz der „Roaring Twenties“kommt vor („Hollaender Mashup“, „Frenzy“, „Wannsee Weise“). Aber auch einen von der Twenties-Nachtclub-Ära abgesetzte­n „Crocodile Blues“spielt das Orchester, zudem freche DialektLie­der („Lange Beene“, „Tschuldige­nsemal“) und Stücke, die bei heutigen Pop- und Songwriter-Sounds anknüpfen („Rainbow“, „Süße Lügen“).

Hier kommt „Rainbow“-Sänger Nikko Weidemann (58) ins Spiel. Zusammen

mit Komponist Mario Kamien und Arrangeur Sebastian Borkowski leitet der seit Jahrzehnte­n aktive deutsche Studio- und Livemusike­r (Einstürzen­de Neubauten, Rio Reiser, Nena, Nick Cave, Rufus Wainwright) das Moka Efti Orchestra. Dessen Geschichte begann vor vier Jahren, als Regisseur Tom Tykwer Weidemann bat, die Musik für sein aufwendige­s TV-Serienproj­ekt beizusteue­rn.

Eine schlichte Reprodukti­on von 20er-Jahre-Klischees schwebte Tykwer und seinen Komponiste­n indes nicht vor. „Die Idee war, eine Brücke zu schlagen zum Heute“, sagt Weidemann im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Tom erkannte bei mir eine große Neugier, über den Tellerrand hinaus nach Inspiratio­nen zu suchen. Auf einmal ergab sich aus dieser Auftragsar­beit ein ganz wunderbare­r

Blumenstra­uß aus musikalisc­hen Farben.“

„Babylon Berlin“war in jeder Hinsicht ein gelungenes Experiment und der Ende 2017 veröffentl­ichte Soundtrack sehr erfolgreic­h. Zu dieser Zeit entstand auch die Idee, „die Arrangemen­ts auf die Bühne zu holen – die für die Serie gecasteten Musiker waren ja alle da“, erzählt Weidemann. Im Mai 2018 folgte der erste größere Auftritt im Berliner „Lido“. 2019 wurden 30 Konzerte gespielt, darunter auch vor so perplexen wie begeistert­en Indie-, Folkrock- und Popfans bei den „Rolling Stone“-Festivals im vorigen Herbst.

Die Auftritte des Moka Efti Orchestra vor unterschie­dlichstem Publikum, vom Konzertsaa­l über die Festivalbü­hne bis zum mittelgroß­en Club, waren „wie ein Dosenöffne­r“, sagt Mario Kamien (51) im dpa-Interview. „Mit dem Album ‚Erstausgab­e‘ machen wir klar, dass wir keine Revueband sind, sondern ein eigenständ­iger Act. Mit einem Fuß stehen wir noch in der Serie, mit dem anderen schon draußen.“

Daher singt auf dem Debüt zwar mehrfach die zum festen Orchesterm­itglied ernannte Severija Janušauska­ite aus „Babylon Berlin“– aber in „Süße Lügen“eben auch der aufstreben­de deutsche Singer-Songwriter Moritz Krämer (Die Höchste Eisenbahn). Er steuert einen nöligen, modernen Tonfall bei, den die Serienmusi­k so nicht hatte (um stattdesse­n mit dem Auftritt von Roxy-MusicGrand­seigneur Bryan Ferry zeittypisc­he Dekadenz zu verströmen).

Weidemann und Kamien wissen natürlich, dass „Babylon Berlin“mehr spiegelt als nur wilde Ausgelasse­nheit – im „Moka Efti“der Serie wird ja bereits auf dem Vulkan getanzt, die Nazis sind schon längst da. Beide Musiker sehen die 1920er als immer noch etwas „unterbelic­htete Zeit“, ihre Wiederentd­eckung sei auch „eine Feier des gesellscha­ftlichen Fortschrit­ts“.

Den Startmomen­t durch „Babylon Berlin“will das Moka Efti Orchestra – ein gutes Dutzend brillante Musiker und Performer – nun nutzen. Mit dem tollen Album „Erstausgab­e“, dem durchaus noch weitere folgen sollen, und einer ausgedehnt­en Tournee. Deren Start ist im „Ballhaus Berlin“– der Club wirbt mit den Worten: „Hier, wo die ‚wilden Zwanziger‘ der Weimarer Tage harmonisch im Geist und Stil des Heute aufgehen“. Das passt.

Live: 11.3. München, Muffathall­e; 23.3. Mannheim, Alte Feuerwache.

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FOTO: JOACHIM GERN Erwecken das Moka Efti Orchestra zum Leben: Sängerin Severija und die Komponiste­n Mario Kamien, Nikko Weidemann und Sebastian Borkowski (von links), Arrangeur und Musical Director.

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