Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ein Riedlinger in Wien
Teil I der Serie „Beethoven-Jubiläums-Jahr“– Sebastian Rau, Theologe und Jurist
GRIEDLINGEN - 2001, als in Riedlingen des 150. Todestages von Conrad Graf (1782-1851) und des 150. Gründungsjahres des Altertumsvereins mit einem Konzert auf einem der weltberühmten Hammerflügel des Riedlinger-Wiener Klavierbauers Conrad Graf gedacht wurde, hielt der Kustos des Beethovenhauses Bonn, Dr. Michael Ladenburger, einen Vortrag über die Bedeutung Graf‘scher Klaviere für die Entwicklung der Klavierkompositionen von Beethoven. Beethoven verfügte über insgesamt zwei Instrumente aus der Produktion des Conrad Graf. Zum Abschluss sagte Dr. Ladenburger: „Es gibt noch eine zweite Person als Bindeglied zwischen Riedlingen und Beethoven. Ihre heimatkundliche Aufarbeitung steht noch aus. Es handelt sich um Anton Sebastian Rau. Er war wie Graf in Riedlingen zur Welt gekommen, und auch ihn hat es später in die Residenzstadt Wien gezogen.“
Um die Aufarbeitung dieser Lücke wurde damals der Verfasser dieses Berichts gebeten, der als erste Schwierigkeit feststellte, dass in den Unterlagen des Beethovenhauses zwar der richtige Namen des Riedlingers, doch das falsche Geburtsdatum dazu bekannt war. Der gesuchte Sebastian Rau wurde am 18. Januar 1781 und nicht erst 1782 geboren.
Wer aber war dieser Anton Sebastian Rau der Eheleute Anna Maria Widmerin, verwitwete Hirschwirtin in der Lange Straße und des Johann Rau aus Haggenmoos, Gemeinde Boms? Pfarrer Theodor Selig hatte in den Listen der Studenten an der Freiburger Universität diesen Namen bereits entdeckt und als Pfarrer geführt, weil dort ein Sebastian Rau Riedlinganus Austriaco-Suevus [Schwäbisch-Österreichischer Riedlinger], Theologie studiert hatte, „aber außerhalb Riedlingens wirkte“. Er kannte Raus Aufenthalt in Wien noch nicht.
Sebastian Rau besuchte die Klosterschule in Schussenried von 1794 bis 1800. Zur gleichen Zeit waren weitere fünf Riedlinger in dieser Schule. Zeitgleich war auch der spätere Komponist Conradin Kreutzer aus Meßkirch dort Schüler. Nur einer der genannten Jungen wurde schließlich auch Geistlicher, alle anderen steuerten weltliche Berufe an.
Ohne Unterbrechung nahm Rau 1800 sein Studium an der Universität Freiburg auf. Er studierte von 1800 bis 1802 Theologie und nahm 1801 auch das Jurastudium auf, das bis 1805 dauerte. Über entsprechende Abschlüsse ist nichts bekannt, es ist jedoch anzunehmen, dass er in Jura den Magistergrad „Juris utriusque“[beider Rechte] erreichte.
Sebastian Rau in Wien
Wann Sebastian Rau nach Wien zog, kann nur rekonstruiert werden. Als seine Mutter 1813 starb, ist erwähnt, dass Sebastian Rau zu der Zeit bereits in Wien war. 1806, in der Hinterlassenschaft seines Vaters Johannes Rau, hatte Sebastian Rau als Jurastudent noch das Wohnrecht zu Hause in Riedlingen notariell zugesichert bekommen. In der Fremdentabelle der Stadt Wien von 1830 findet sich bei Rau der entscheidende Vermerk „seit 1807“.
Zu jener Zeit begann der aus Riedlingen stammende Klavierbauer, seit etwa 1800 in Wien ansässige Conrad
Graf, seine Herstellung von Hammerklavieren zu perfektionieren und hatte bereits einige Kontakte zur Komponistenszene herstellen können. Es darf angenommen werden, dass er auch zu seinem Landsmann Sebastian Rau Kontakt hatte oder solchen pflegte. Man weiß, dass sich die „Landsleute in der Fremde“gegenseitig unterstützten.
Juden in Wien
Ladenburger erwähnt, dass Rau 1827 „schon seit zwei Jahrzehnten als Erzieher“im Hause Eskeles tätig war. Unklar ist aber, wann und wie in Wien der Kontakt des Katholiken Rau zu dieser prominenten jüdischen Familie Eskeles zustande kam. Das Jüdische war Rau insofern nicht fremd, als die Ehe seiner Eltern von einem Buchauer Juden „gestiftet“wurde und die Buchauer jüdischen Händler sicher an Markttagen in Riedlingen im „Hirsch“, Raus Heimat, einkehrten.
Das von Kaiser Joseph II. 1782 unterschriebene Toleranzpatent brachte für Juden in Wien große Integrationsmöglichkeiten. Diskriminierende Kleidungsvorschriften wurden außer Kraft gesetzt, zu wirtschaftlicher Tätigkeit in Handel, Gewerbe und Industrie wurde ermuntert. „Die Wiener Tolerierten integrierten sich unter Aufgabe der bisherigen Absonderung
in Religion und Kultur voll in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben ihrer Umgebung; der Aufstieg von bedeutenden Bank- und Handelshäusern wie Arnstein und Eskeles fällt in die Josephinische Zeit. Wirtschaftlicher Erfolg wurde vielfach durch Adelsverleihungen honoriert. Schon in der folgenden Generation nahmen viele Tolerierte die Taufe an“, wie es damals formuliert wurde.
Sebastian Raus Aufgabe im Hause Eskeles wird einmal als „Hofmeister“, dann als „Erzieher“bezeichnet. Nach Schindler, Beethovens erstem Biographen, war Rau in den Jahren 1826 und 1827 Hofmeister. Ein Hofmeister war der Chef des Hauspersonals, was auch die Tätigkeit als Erzieher einschließen konnte. Raus Verbundenheit zur Familie Eskeles und vor allem zu den beiden Kindern war groß und innig. Auch daraus darf man schließen, dass seine Zugehörigkeit zur Familie Eskeles mehrere, wenn nicht gar viele Jahre andauerte und seine Aufgaben hauptsächlich in der Erziehung der beiden Kinder, Maria und Daniel, bestanden.
Ihre Wohnung hatte die Familie Eskeles im Palais Eskeles, Dorotheergasse 11 (heute Jüdisches Museum) und seit 1811 im Gebäude Kohlmarkt 18, heute Herrengasse 2. Auch 1830 ist die Familie dort wohnhaft. Sebastian Rau hatte dort spätestens seit 1830 gewohnt und starb auch in diesem Hause. Sein Arbeitgeber, Bernhard Eskeles, entwickelte sich in Wien zu einem der hervorragenden Finanzleute Österreichs und brachte es sogar zum Berater Kaiser Josephs II. und Franz I. 1797 wurde er geadelt, 1810 zum Ritter geschlagen und 1822 in den Baronenstand erhoben. Eskeles war 1816 Mitbegründer der Österreichischen Nationalbank. „Er war, mit einem Wort, neben Rothschild die höchste Finanzautorität des Reiches“, steht in seiner Biographie geschrieben.
Das war das soziale Umfeld im Tätigkeitsbereich des aus Riedlingen stammenden Sebastian Rau in Wien. Einer seiner bedeutendsten Freunde war der jüdische Komponist und Klaviervirtuose Ignaz Moscheles (17941870), der ab 1821 in London lebte. Aber auch Beethoven hatte Rau „als neuen Freund“bezeichnet. In einem Konversationsheft Beethovens ist festzustellen, dass Sebastian Rau bei der privaten Uraufführung des Streichquartetts a-Moll am 25. September 1825 und beim anschließenden Festmahl dabei war. „Wie schön für ihn“, meinte Dr. Ladenburger, der diesen Archivfund nach Riedlingen sandte.
Zum weltweit gefeierten 250. Geburtstag des Komponisten Ludwig van Beethoven kann auch Riedlingen eine Beziehung zu dem Musikgenie herstellen. In vier Beiträgen über Sebastian Rau (1781-1846) und Conrad Graf (1782-1851) werden diese Verbindungen Riedlingens zu Beethoven aufgezeigt.