Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Neue Erkenntnisse im Morphin-Fall
Verdacht gegen Ärztinnen an Uniklinik „abgeschwächt“– Sie dürfen wieder arbeiten
GULM - Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern in den Kliniken der Region erfahren dieser Tage, in denen das Coronavirus die Nachrichtenwelt bestimmt, reichlich Anerkennung. Am Universitätsklinikum Ulm war die Gemütslage vor wenigen Wochen noch eine ganz andere. Der Morphin-Skandal, die mutmaßliche Vergiftung von fünf Babys auf einer Überwachungsstation der Kinderklinik am Michelsberg, erschütterte nicht nur die Klinik und deren Mitarbeiter, sondern die gesamte Region.
Der Vorfall hinterließ Spuren. Vertrauen ging verloren, nicht nur in die Klinik. Deren Leitung sowie das Personal standen unter enormem Druck. Mitarbeiter waren angehalten, mit niemandem darüber zu sprechen und jeden, der sich auf der besagten Station merkwürdig verhalten würde, zu melden.
Dass dem Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg bei den Ermittlungen eine Panne im Labor unterlief, ließ dann nicht mehr nur Zweifel am Vorgehen der Klinik, sondern auch an Behörden aufkommen. Und so sind auch weiterhin einige Fragen offen.
Eine 28 Jahre alte Krankenschwester geriet anfangs unter dringenden Tatverdacht, den fünf Säuglingen das Morphin in den Morgenstunden des 20. Dezember verabreicht zu haben. In ihrem Spind wurde bei Durchsuchungen eine Spritze mit einem vermeintlichen Gemisch aus Muttermilch und dem Betäubungsmittel Morphin gefunden. Die Frau saß zeitweise in Untersuchungshaft. Zu Unrecht, wie sich wenige Tage später herausstellte. Bei den Untersuchungen seitens des LKA kam es zu Verunreinigungen der Proben. Die Staatsanwaltschaft entschuldigte sich bei der Frau und deren Familie. Im Umfeld der Mitarbeiter war gar von Mobbing die Rede.
Die 28-Jährige gehört aber weiterhin zum Kreis von insgesamt sechs Beschuldigten: vier Pflegerinnen und zwei Ärztinnen. Alle hatten den Vorwurf bestritten, mit der Vergiftung der Babys etwas zu tun zu haben.
Doch wie ist nun der aktuelle Stand der Ermittlungen in diesem hochbrisanten Fall? Wie beeinflusst die Corona-Krise die Aufklärung der Tat? Rückt der Vorfall sowie dessen Aufarbeitung angesichts der aktuellen Gegebenheiten gar in den
Hintergrund, auch an der Klinik? „Da können wir keine Rücksicht nehmen“, sagt Oberstaatsanwalt Michael Bischofberger im Gespräch mit Schwäbische.de. Die Ermittlungen würden weiterlaufen, so der Behördensprecher. Mittlerweile, so erklärt Peter Staudenmaier, Oberstaatsanwalt und Sachbearbeiter des Morphin-Falls, sei nachvollziehbar, wer sich wann und wo auf der besagten Station aufgehalten habe – und wer nicht. Möglich sei das durch unterschiedliche technische Indikatoren wie beispielsweise die Zugangsdaten der Türen, aber auch durch ein Monitoring-System an den Säuglingen. Um die Station betreten zu können, müsse das Personal die Türen mithilfe eines Chips öffnen.
Durch das Abgleichen der vorliegenden Daten seien die Ermittler zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Tatverdacht gegen die zwei Ärztinnen, die in der besagten Nacht Dienst hatten, „abgeschwächt“habe. Zu dem Zeitpunkt, als bei den fünf Babys die Symptome einer Atemnot auftraten und die Kinder in Lebensgefahr gerieten, seien diese nicht auf der Station gewesen, erklärt der Oberstaatsanwalt.
Das Universitätsklinikum Ulm hat darauf bereits reagiert. Die Klinik stehe weiterhin in engem Austausch mit der Staatsanwaltschaft Ulm, heißt es auf Anfrage. Der „abgeschwächte“Tatverdacht bei den beiden Ärztinnen wurde zum Anlass genommen, deren Freistellung aufzuheben. Die Ermittler hätten keine Bedenken geäußert, so die Klinik. Durch eine längere Freistellung wäre zudem die Facharztausbildung der beiden Mitarbeiterinnen gefährdet gewesen. Die Frage, inwiefern die weiteren vier beschuldigten Pflegerinnen weiterhin vom Dienst freigestellt sind und wo die beiden Ärztinnen nun arbeiten, ließ die Klinik bislang unbeantwortet.
Sollte die Staatsanwaltschaft aber die Ermittlungen gegen die Betroffenen einstellen, so seien die Mitarbeiter „vollständig rehabilitiert und es bestünde kein Grund für das Universitätsklinikum Ulm, die Mitarbeiterinnen weiter freizustellen“, heißt es. Auch wenn der Tatverdacht abgeschwächt sei, geht Oberstaatsanwalt Peter Staudenmaier bei seinen Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Totschlags weiterhin von insgesamt sechs Beschuldigten aus – und stellt klar: „Wir ermitteln weiter wegen einer Straftat.“