Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Freiheitsstrafen in der Festhalle
Amtsgericht Biberach führt Prozess gegen Bandenbetrüger in der Gigelberghalle
GBIBERACH - Auch das sind die Auswirkungen von Corona: Wo sonst getanzt, gesungen und gefeiert wird, wurden am Donnerstag zwei Männer (36 und 35 Jahre alt) aus der Ukraine zu Freiheitsstrafen verurteilt. Aufgrund der geltenden Abstandsregelungen fand die Verhandlung des Amtsgerichts Biberach nicht in den Gerichtsräumen am Alten Postplatz, sondern in der Gigelberghalle statt. So außergewöhnlich wie der Tagungsort war auch das Vergehen, an dem die beiden Angeklagten mitgewirkt hatten.
Es hat eher etwas von den Vorbereitungen für Lesung oder ein kleines Konzert in der Gigelberghalle an diesem Donnerstagmorgen: Die Bühne wird von einem schwarzen Vorhang begrenzt, am Bühnenrand stehen vier Tische, ebenfalls mit schwarzem Stoff verkleidet. In der Halle selbst stehen links und rechts der Bühne Tische in gebührendem Abstand und in der hinteren Hallenhälfte sind 20 Stühle weit voneinander im Raum verteilt. Dazwischen prüft ein Veranstaltungstechniker des städtischen Kulturamts die Funktionstüchtigkeit von Mikrofonen und Lautsprecheranlage.
Statt eines Musikers oder Schauspielers nimmt am mittleren Tisch auf der Bühne Amtsrichter Ralf Bürglen Platz. Unten in der Halle sitzen statt des Publikums zwei Medienvertreter, eine Staatsanwältin, eine Dolmetscherin, vier Rechtsanwälte und zwei ukrainische Angeklagte in Handschellen und Fußfesseln, die aus den Haftanstalten Ulm und Ravensburg zur Verhandlung in die Gigelberghalle gebracht worden sind. Die Justizbeamten, die sie begleitet haben, verteilen sich in verschiedenen Ecken der Halle. Weil Haftsachen immer beschleunigt bearbeitet werden müssen, sei es zu der ungewöhnlichen Sitzung gekommen, sagt Richter Bürglen.
Die beiden hageren Männer mit den kurz geschorenen Haaren sprechen kein Wort Deutsch, was die Verhandlung erheblich in die Länge zieht, weil alles ins Russische übersetzt werden muss. Allein die Verlesung der Anklageschrift durch Staatsanwältin Tanja Kraemer dauert deshalb mehr als 45 Minuten. Dabei wird deutlich, dass die beiden Angeklagten wohl nur kleine Fische einer gut organisierten Bande in ihrem Heimatland sind, die die nahezu unglaubliche Naivität und Gutgläubigkeit russischstämmiger Menschen in Deutschland ausnutzen.
Die Masche funktioniert so: In auch in Deutschland empfangbaren russischsprachigen TV-Sendern werden Telefonnummern eingeblendet, in denen den Menschen esoterische und mentale Hilfe bei Krankheiten, privaten oder familiären Problemen angeboten wird. Den Anrufern wird dann in einer geschickt manipulierenden Gesprächsführung von sogenannten Heilerinnen eine Lösung für ihre Probleme versprochen, wenn sie hohe Bargeldbeträge auf Konten im osteuropäischen Ausland überweisen. Das Geld, so wird den Anrufern suggeriert, werde gebraucht, um Rituale zu vollziehen, die Flüche von den Familien beseitigen, um „heiliges Wasser“, „heilige Energie“oder Kristalle und „heilige Fäden“aus Jerusalem liefern zu lassen. Schlage die Behandlung nicht an, wird den Anrufern eine Rückerstattung ihres Geldes in vielfachem Ausmaß in Aussicht gestellt – wozu es aber natürlich nie kommt.
Was sich hingegen vervielfacht, sind die Anrufe der Heilerinnen, die immer noch höhere Geldbeträge verlangen. Schließlich wird einigen Opfern vorgegaukelt, wichtige Dokumente seien an der weißrussischen Grenze vom Zoll aufgehalten worden. Werde nicht ein hohes Schmiergeld bezahlt, drohe eine hohe Strafe.
Das Geld soll von Kurieren bei den Opfern in Deutschland an deren
Wohnorten abgeholt werden. Hier kommen dann die beiden Angeklagten ins Spiel, die von der Ukraine über Polen nach Deutschland reisen, um das Geld abzuholen, und die darum nun wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in der zum Gerichtssaal umfunktionierten Festhalle sitzen.
600 Euro zahlen ihnen ihre Hintermänner insgesamt für diesen Dienst, Etwa 100 Euro davon erhält der 35-Jährige, der lediglich als Fahrer fungiert. Wegen dreier solcher Taten, die sich an einem Tag Ende November 2019 abspielten, standen die beiden Männer in Biberach vor Gericht. In zwei Fällen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz händigten die eingeschüchterten Opfer dem 36-jährigen Angeklagten eine hohe vier- beziehungsweise niedrige fünfstellige Summe aus. In Riedlingen hatte das dritte Opfer allerdings Verdacht geschöpft und die Polizei informiert, die die beiden Männer kurz nach der vermeintlichen Geldübergabe verhaftet.
Beide nehmen zu den Taten in der Verhandlung nicht Stellung, sondern lassen ihre Anwälte vorbereitete Erklärungen abgeben. Beide geben an, dass sie nicht wüssten, wer die Hintermänner der Bande seien. Beide wollen auch nicht gewusst haben, wofür das Geld bestimmt gewesen sei, das sie bei den Opfern abholten. Der 36-jährige Geldabholer sagt, er sei von einem langjährigen Freund angeworben worden und habe weitere Anweisungen immer nur per SMS erhalten. Der 35-jährige Fahrer gibt an, der 36-jährige Mitangeklagte habe seine Nachfragen zum Zweck der Abholaktionen immer mit dem Satz beantwortet: „Das geht dich nichts an.“Er verweist auf die schwierige Situation seiner Frau und seiner drei Kinder, für die er der Hauptverdiener sei.
Nach neun Stunden Verhandlung in der Gigelberghalle erhält der 36jährige Geldabholer wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in zwei Fällen sowie wegen versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetrugs eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten ohne Bewährung. Sein Fahrer wird wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Betrug in zwei Fällen und Beihilfe zum versuchten gewerbsmäßigen Betrug zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr mit Bewährung verurteilt, nachdem er schon viereinhalb Monate in Haft war. Ihm konnte keine Kenntnis der Täterbande nachgewiesen werden. „Mit ihren Taten haben beide einen gigantischen Schaden angerichtet und die Opfer um ihr ganzes Geld gebracht, indem diesen vorgegaukelt wurde, es gehe um Leben und Tod“, so der Richter.
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