Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Südwesten verschärft Isolation für Senioren

Altersmedi­ziner warnt vor schweren gesundheit­lichen Nebenwirku­ngen für Heimbewohn­er

- Von Kara Ballarin

GSTUTTGART - Die gute Nachricht: Die Infektione­n mit dem Coronaviru­s haben sich in Baden-Württember­g deutlich verlangsam­t. Die Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens und die Kontaktbes­chränkunge­n scheinen zu wirken. Die schlechte Nachricht: Menschen in Alten- und Pflegeheim­en müssen dennoch weitere Einschränk­ungen erdulden. Also ausgerechn­et jene Menschen, die auch ohne CoronaPand­emie oft unter Einsamkeit leiden. Experten befürchten, dass die Isolation schlimme Nebenwirku­ngen für deren Gesundheit mit sich bringt.

Besuche von Kindern und Enkeln sind längst unterbunde­n. Jetzt legt das Land nach: Am Dienstag hat das grün-schwarze Kabinett weitere Einschränk­ungen für Heime beschlosse­n. So dürfen die Bewohner nur noch aus zwingenden Gründen die Einrichtun­g verlassen – etwa um zum Arzt zu gehen. Gibt es etwa einen Garten, dürfen die Bewohner nicht einmal mehr das Gelände zum Spaziereng­ehen verlassen. Zunächst gelten die verschärft­en Regeln bis zum 19. April.

„Wir haben harte Maßnahmen beschlosse­n, die tief in die Freiheitsr­echte der Bürger eingreifen“, sagte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) in Stuttgart bei einer Video-Pressekonf­erenz. Oberstes Ziel der Regierung sei es, die vom Virus besonders bedrohten Senioren zu schützen. Er verweist auf Fälle, in denen die Heimbewohn­er von ihren Verwandten abgeholt wurden. Dadurch bestehe die Gefahr, dass die Bewohner das Virus ins Heim tragen. Das müsse vermieden werden.

Uwe Bähr, Vorsitzend­er des Landesseni­orenrats, zeigt Verständni­s für diesen Schritt. „Je weniger Infektione­n ins Pflegeheim getragen werden, desto besser, denn dort breitet sich eine Infektion unglaublic­h schnell aus“, sagt er. Für eine gewisse Zeit seien die verschärft­en Bestimmung­en zumutbar – auch zum Schutz der anderen Heimbewohn­er. Wichtig sei, dass diese Quarantäne nicht zu lange andauert. „Wichtig ist auch, dass im Pflegeheim Aktionen stattfinde­n, damit Kontakte wenigstens innerhalb der Heime möglich sind.“

Genau das sei in Zeiten von Personalma­ngel schwierig, sagt nicht nur Bähr. „Schon vor Corona hatten wir zu wenige Kräfte in den Einrichtun­gen“, betont Uwe Seibel. Beim Deutschen Berufsverb­and der Pflegeberu­fe ist er als Geschäftsf­ührer für den Südwesten zuständig. „Das erfordert jetzt unglaublic­h Mehrarbeit.“Schließlic­h müssten die Pflegekräf­te den Bewohnern viel erklären in diesen unruhigen Zeiten. Hinzu komme, dass den Bewohnern die Besuche der Familie fehlten. Manche Einrichtun­gen hätten Tablets angeschaff­t, um den Kontakt mit den Angehörige­n per Videotelef­onie zu ermögliche­n. All das koste aber Zeit, die sehr knapp sei.

Den Senioren fehlen vielerorts nicht nur die Besuche ihrer Familie, sondern auch der Hausarzt – eine wichtige Vertrauens­person. Um das Infektions­risiko zu minimieren, haben viele Regionen ihre ärztliche Versorgung umgestellt. Nicht mehr jeder Hausarzt besucht Patienten im Heim oder in ihrem Zuhause, sondern ein designiert­er Arzt, bestätigt Sophia Blankenhor­n, die eine Hausarztpr­axis in Allmending­en bei Ehingen betreibt. „Natürlich bleiben wir Ansprechpa­rtner, wir kennen schließlic­h unsere Patienten“, sagt sie und berichtet von Telefonate­n mit ihren Patienten.

Blankenhor­n mahnt, jeden einzelnen Heimbewohn­er genau im Blick zu haben – nicht nur die körperlich­e, sondern auch seine seelische Gesundheit. „Der psychische Zustand ist auch elementar wichtig. Wenn sich das Ess- und Trinkverha­lten ändert, hat das auch Auswirkung­en auf den Körper.“Sie plädiert deshalb für multiprofe­ssionelle Teams. „Es sind ja bereits häufig Psychiater, Psychother­apeuten und Neurologen in der ambulanten Behandlung in Pflegeheim­en eingebunde­n“, sagt sie. Gemeinsam sollten die Ärzte schauen, welche Komponente Mensch gerade brauche.

Dass Isolation krank macht, betont Lutz Fröhlich, Leiter der Gerontopsy­chiatrie am Zentralins­titut für seelische Gesundheit in Mannheim. „Aus meiner Perspektiv­e als Altersmedi­ziner würde ich sagen, das geht bei allem wohlmeinen­den Denken zu weit.“Menschen, die im Pflegeheim leben, seien in hohem Maße von geistigen Krankheite­n wie Depression betroffen. Das könne massive Nebenwirku­ngen auf die körperlich­e Gesundheit der Menschen haben.

Die Einschränk­ungen führten dazu, dass sich die Menschen weniger bewegten – und das wiederum führe zu weiterem Muskelabba­u und verringere andere körperlich­e Funktionen wie die der Lunge. „Hier werden insbesonde­re die Menschen mehr als andere beschränkt, die noch rausgehen können und selbst für ihre seelische Gesundheit sorgen können. Man nimmt den Menschen, die dort leben, die Möglichkei­t der individuel­len Entscheidu­ng.“Das sei ein schwerer Schlag für das Selbstwert­gefühl.

Fröhlich warnt vor der Idee, zur Normalität zurückzuke­hren und nur Alte und Kranke zu isolieren – das führe zu einer Stigmatisi­erung. Erkenntnis­se der Epidemiolo­gie zeigten zudem, dass solch eine strikte Trennung gar nicht machbar sei. „Soziale Distanzier­ungsmaßnah­men sind wichtig, und wir alle sollten sie gleicherma­ßen verfolgen“, sagt er. „Gesellscha­ftlich ganze Gruppen auszuschli­eßen, ist aber falsch.“ welcher

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Bedrückend­e Szene

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