Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Handydaten sollen Corona bremsen
Apps messen Abstände zu anderen oder werten Vitaldaten aus – Datenschützer mahnen
GBERLIN - Zur Eindämmung der Corona-Pandemie setzen Wissenschaft und Politik verstärkt auf Handydaten. Erst am Dienstag stellte das Robert Koch-Institut (RKI) eine Handy-App namens „Corona-Datenspende“vor, die Vitaldaten sammelt. Andere speichern Personen, denen man in den vergangenen Tagen zu nahe gekommen ist. Die Nutzung soll freiwillig sein. Kritiker mahnen, dass die Programme nach Corona wieder verschwinden sollen.
Was soll die neue „Corona-Datenspende“erreichen?
GMit der gestern freigeschalteten App will das RKI Gesundheitsdaten sammeln, um daraus Rückschlüsse auf das Infektionsgeschehen in Deutschland zu ziehen, wie RKI-Präsident Lothar Wieler sagte. Freiwillige sollen die Daten von ihren Fitnessarmbändern oder Smartwatches und ihre Postleitzahl an das Institut „spenden“. Veränderungen der Körperwerte (schlechter Schlaf, Fieber etc.) sollen den Wissenschaftlern Hinweise auf mögliche Infektionswege geben. Finden sich 100 000 oder mehr „Spender“, könnte damit eine aussagekräftige Deutschlandkarte bestückt werden, hoffen die Forscher.
GAfD-Bundesvize Stephan Brandner sprach von einer „Spitzel- und Überwachungs-App“und dem Einstieg in einen „vollkommenen Überwachungsstaat“. Auch die Freiwilligkeit sei vorgeschoben, da der soziale Druck die Menschen indirekt zur Nutzung zwinge. Ansonsten gibt es kaum Kritik, da die App auch zusammen mit dem Datenschutz entwickelt wurde. Andere Programme wie die Tracking-Apps werden kritischer beäugt.
GTracking-Apps auf Handys suchen das Umfeld des Trägers nach anderen Mobiltelefonen ab, die diesem so nahe kommen, dass eine Virenübertragung möglich ist. Der Abstand wird über Bluetooth gemessen. Wird ein Handybesitzer krank, können die Kontaktpersonen nachträglich gewarnt und in Quarantäne geschickt werden. Auf diese Weise können Infektionsketten erkannt und unterbrochen werden.
GGibt es Kritik? Was sind Tracking-Apps? Wirken Tracking-Apps?
In Südkorea konnte die Ausbreitung des Coronavirus verlangsamt werden, ohne dass das öffentliche Leben zum Erliegen kam. Südkorea nutzte neben dem freiwilligen Tracking auch Massentests. In anderen asiatischen Ländern wie China, Taiwan oder Singapur ist das Tracking sogar Pflicht. Der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, hält eine App für wirksam, wenn mindestens 60 Prozent der Menschen sie installieren. Es gibt aber auch Widerspruch: Alexander Kekulé, Virologe an der Uni Halle-Wittenberg, hält das Tracking für unnötig. „Wir brauchen kein Handtracking, das ist nicht notwendig“, sagte Kekulé im Podcast „Morning Briefing“von Gabor Steingart.
GWann kommt die Tracking-App?
In Deutschland könnte die erste Variante oder die ersten Varianten „Mitte April“auf den Markt kommen, auf einen genaueren Zeitpunkt will sich die Bundesregierung noch nicht festlegen. In Österreich gibt es mit „Stopp Corona“bereits einen Tracker, der aber bislang nur bei Google und nicht bei Apple erhältlich ist. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz setzt auf das Tracking, um im Gegenzug das öffentliche Leben wieder hochfahren zu können.
Varianten? Warum gibt es nicht nur eine?
Weil 130 Wissenschaftler aus ganz Europa derzeit an einer gemeinsamen Programmierarchitektur mit dem Namen „Pepp-PT“arbeiten. Das Projekt unter der Leitung des aus Konstanz stammenden IT-Unternehmers Christian Boos soll eine gemeinsame Grundlage für verschiedene Länder entwickeln, auf der sich dann verschiedene nationale Apps austauschen können, sodass auch das Handy eines deutschen Infizierten eine französische Kontaktperson warnen kann. „Es ist nicht zwingend, dass es nur eine App gibt. Wichtig ist, dass es eine einheitliche grenzüberschreitende Referenzarchitektur gibt“, erklärt Regierungssprecher Steffen Seibert. Demnach ist es möglich, dass verschiedene Länder eine gemeinsame App nutzen. Denkbar ist aber auch, dass jedes Land eine andere Lösung findet. So wäre denkbar, dass es in Deutschland auf das Warnprogramm „Nina“des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz aufsetzt.
GWas sagt der Datenschutz?
Der Bundesdatenschutzbeauftragte mahnt strenge Vorgaben für die App an. So sollten die Daten lokal und nicht zentral gespeichert werden.
Das Programm müsse anonymisiert laufen und eine eingebaute Löschfunktion haben. Und ganz wichtig: Sobald die Coronakrise vorbei sei, müssten auch die entsprechenden Apps wieder gelöscht werden. Die Bundesregierung hat Freiwilligkeit und Anonymität bisher zugesagt. Eine Bewertung der App durch den Datenschutzbeauftragten steht noch aus, weil es eben noch keine fertige App gibt.
GWelche Bedenken gibt es?
Die größte Sorge von Oppositionsparteien und Datenschützern ist, dass die App auch nach dem Abflauen der Corona-Krise weiter funktionstüchtig bleibt. Deshalb drängen insbesondere FDP und Grüne auf klare Ausstiegsbekenntnisse. Eine Tracking-Software, die Kontaktpersonen über Wochen speichert, wäre ein ideales Überwachungsinstrument. Wie das gehen kann, zeigt das Beispiel China. Dort wird den Nutzern über das Programm ein sozialer Status zugewiesen, der über die Bewegungsfreiheit entscheidet. Menschenrechtler fürchten, dass die Regierung diese Überwachung auch nach Ende der Pandemie weiter nutzt.