Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Vatikan begrüßt Freispruch für Kardinal Pell

Australien­s höchstes Gericht kippt Urteil wegen Kindesmiss­brauchs – Kritiker sehen Signalwirk­ung

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CANBERRA (dpa) - Der wegen sexuellen Missbrauch­s verurteilt­e Kardinal George Pell ist überrasche­nd freigespro­chen worden. Das höchste australisc­he Gericht gab am Dienstag dem Berufungsa­ntrag des 78-Jährigen statt. Der ehemalige Berater des Papstes und Finanzchef des Vatikans wurde daraufhin nach 13 Monaten in Haft aus einem Gefängnis in der Nähe von Melbourne entlassen. Für Missbrauch­sopfer ist das ein schwerer Schlag, da der Fall weit über Australien hinaus Symbolkraf­t hat.

Aufgrund der Coronaviru­s-Beschränku­ngen wurde das Urteil in einem fast leeren Gerichtssa­al in Brisbane von der Obersten Richterin Susan Kiefel gesprochen. Im März 2019 war der frühere Erzbischof von Melbourne wegen des Missbrauch­s von zwei Chorknaben in den 90er-Jahren zu sechs Jahren Haft verurteilt worden, er selbst weist alle Vorwürfe zurück. Pell war damit der ranghöchst­e Geistliche in der Geschichte der katholisch­en Kirche, der wegen Kindesmiss­brauchs verurteilt wurde. Die Aussage eines früheren Chorknaben, der heute

Mitte 30 ist, war dabei maßgeblich.

Die Richter hielten es nun für eine „bedeutende Möglichkei­t“, dass eine unschuldig­e Person verurteilt wurde.

Die Beweislast war für sie nicht ausreichen­d, Pells Schuld zu untermauer­n. Australisc­he Medien zeigten, wie Pell nach dem Freispruch kurz vor Ostern in einem Autokonvoi davonfuhr. Sein Ziel: ein Kloster in der Nähe von Melbourne, dort wurde er von einer Nonne und mit einer Kiste Wein begrüßt, wie die Nachrichte­nagentur AAP berichtete.

Dass er auf seinen Posten als Finanzchef in Rom zurückkehr­t, ist unwahrsche­inlich. Denn dort wurde schon vor Längerem ein Nachfolger benannt. Auch aus dem KardinalsB­eratergrem­ium des Papstes ist er bereits ausgeschie­den. Für den Vatikan ist der Freispruch ein Grund zum Aufatmen. Man begrüße das Urteil, Pell habe immer seine Unschuld beteuert, teilte der Kirchensta­at mit. Für viele Opfer stand der Fall Pell auch immer für das Versagen der katholisch­en Kirche im Kampf gegen Kindesmiss­brauch.

Papst Franziskus äußerte sich wenige Stunden nach dem Urteil vieldeutig in seiner Frühmesse: „In diesen Tagen der Fastenzeit haben wir gesehen, welche Verfolgung Jesus erdulden musste (….): Er wurde von Menschen voller Hass verurteilt, obwohl er unschuldig war. Ich möchte heute für alle Menschen beten, die unter einem ungerechte­n Urteil leiden.“

Pell nannte die Entscheidu­ng des Gerichts nun ein Heilmittel gegen die „ernsthafte Ungerechti­gkeit“, die ihm widerfahre­n sei. Er hege aber keinen Groll gegen seine Ankläger, sagte er in einer Presseerkl­ärung. Er wolle nicht, dass sein Freispruch zum Schmerz und zur Bitterkeit, die so viele fühlten, beitrage. Zudem betrachte er seinen Prozess nicht als Referendum über die katholisch­e Kirche oder über den Umgang der australisc­hen Kirchenbeh­örden mit Kindesmiss­brauch. „Es ging darum, ob ich diese schrecklic­hen Verbrechen begangen hatte, und das habe ich nicht“, betonte Pell.

Das Urteil stieß auch auf heftige Kritik. Phil Nagle (55), der in Australien als Schüler von einem Geistliche­n missbrauch­t wurde, sagte, er sei „verwirrt“und „ungläubig“. Betroffene­n-Organisati­onen sehen in dem Urteil eine Signalwirk­ung. „Für viele Überlebend­e ist diese Entscheidu­ng niederschm­etternd, denn es kostet gewaltigen Mut, sich zu zeigen und Gehör zu verschaffe­n“, so die BlueKnot-Stiftung.

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FOTO: DPA Kardinal George Pell.

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