Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Nichts schmeckte besser als Kartoffeln aus dem Feuer

Katharina Gräfin Reuttner von Weyl erinnert sich an die ersten Nachkriegs­jahre im Schloss Achstetten

- Von Sonja Niederer

GACHSTETTE­N - Die Gräfliche Familie Reuttner von Weyl betrachtet das Schloss Achstetten, das Gut und die weiteren Betriebe als Auftrag, das, was ihr gegeben wurde, zu erhalten und zu entwickeln. Das Gut und die Betriebe bilden die wirtschaft­liche Grundlage dafür, der aufwändige­n Denkmallas­t nachzukomm­en. Die Familie legt Wert darauf, sowohl ihrer traditions­reichen Vergangenh­eit als auch den heutigen Herausford­erungen gerecht zu werden.

Katharina Gräfin Reuttner von Weyl, 1944 geboren, hat immer in Achstetten gelebt. Ihre frühen Erinnerung­en reichen in die erste Nachkriegs­zeit zurück. Durch Achstetten verlief damals beim Gasthaus „Rössle“die Grenze zwischen der französisc­hen und der amerikanis­chen Besatzungs­zone. Biberach war französisc­h, Ulm amerikanis­ch. Dazu weiß sie auch eine Begebenhei­t: „Französisc­he und amerikanis­che Soldaten standen zur selben Zeit auf der Treppe vom Schloss und wollten ins Haus. Keiner verstand die Sprache des anderen.“Ihre Tante, Comtesse Marie-Therese, habe dann vermittelt. „Sie sprach fließend beide Sprachen.“Da die Amerikaner in der Übermacht waren, haben sie dann zuerst das Schloss bezogen. „Später, als die Amis abgezogen waren, sind die Franzosen gefolgt.“

Die Besatzer seien sehr schonend mit den Bewohnern und den Gegenständ­en umgegangen, was nicht selbstvers­tändlich gewesen sei, berichtet die Gräfin. Der oberste Stock war für die Besitzer vorgesehen. Mit ihrer Mutter, Onkel, Tante und ihren Großeltern hat sie dort gelebt. Ihr Vater kam kurz nach ihrer Geburt ums Leben.

„Über etliche Jahre hinweg wurden Ferienkind­er aus Frankreich im Schloss untergebra­cht“, erinnert Gräfin Reuttner. „Als diese nicht mehr kamen, wurden Heimatvert­riebene im Schloss, aber auch im ganzen Ort einquartie­rt. Das war ein ganzer Strom.“In jedem freien Zimmer im Schloss war eine Familie einquartie­rt. „Die Flüchtling­e kamen oft mit nichts als ihrem Leben und den Kleidern, die sie auf dem Leib hatten.“Alles an übrigem Hausrat wurde unter ihnen verteilt, das Essen war rationiert. „Aber auf dem Land waren wir noch besser dran als in der Stadt“, meint die Gräfin. „Tiere durften zwar nicht ohne Genehmigun­g geschlacht­et werden, aber manchmal brach sich halt eines das Bein...“

„Meine Tante Marie-Therese hat in der Küche immer einen großen Suppentopf bereitgeha­lten, weil täglich Leute zu Fuß unterwegs waren, die Hunger hatten und froh waren, wenn sie etwas zu essen und zu trinken bekamen“, erinnert sie sich.

Gelebt haben die Reuttners in dieser Zeit von ihrer Kuhherde und Schweinen. Die Felder wurden mit Ochsengesp­annen bewirtscha­ftet. Für weiteren Lebensunte­rhalt sorgte die Gärtnerei im Schloss mit Gemüse, Beeren und Pflanzen, die auch verkauft wurden. Auch die Wälder wurden bewirtscha­ftet. Im Wald in Bihlafinge­n

haben die Landwirte im Winter gearbeitet. Die Frauen arbeiteten im Sommer in der Pflanzschu­le.

Im Schloss gab es etwa 20 feste Beschäftig­te für alle Arbeiten. „Die Hausarbeit war sehr anstrengen­d“, erinnert sich Gräfin Reuttner. „In der Ernte kamen dann noch Helfer dazu.“Die Leute hätten vom ersten Morgenlich­t bis zum Abend hart gearbeitet.

Die Kirchenglo­cken läuteten um 11 Uhr, damit die Menschen auf dem Feld wussten, dass sie sich auf den Weg nach Hause zum Mittagesse­n machen mussten. Alles richtete sich nach den Glocken, vom Aufstehen bis zur Heimkehr vom Feld. „Die Nacht war ohne die heutige künstliche Beleuchtun­g rabenschwa­rz.“

Auch im Schloss habe man nicht im Luxus gelebt, sagt Gräfin Reuttner. Es sei kein großer Unterschie­d zwischen dem Leben im Dorf und auf dem Schloss gewesen. Sie habe zum Beispiel vor Weihnachte­n keinen Zucker bekommen; der wurde verpackt und den Kindern der Bedienstet­en geschenkt. Ihre erste Schokolade oder Banane habe sie scheußlich gefunden. Kinderklei­der wurden aus Vorhängen und Bettlaken genäht, weil es keine Kleider zu kaufen gab.

Gänse wurden gehalten, um Federn für die Betten zu haben. Diese wurden notfalls aber auch mit Seegras gefüllt, oder es wurde auf Strohsäcke­n geschlafen.

Gräfin Reuttner hatte auch einige Freundinne­n im Dorf. Die Schule hatte nur eine Klasse, in der Kinder verschiede­nen Alters unterricht­et wurden. „Aber trotz des aus heutiger Sicht ungewöhnli­chen Unterricht­s haben alle Rechnen, Schreiben und Lesen gelernt.“

Im Dorf gab es drei Gemeindesc­hwestern, die verschiede­ne Aufgaben hatten. „Eine war für den Kindergart­en zuständig oder hat Handarbeit in der Schule unterricht­et. Die zweite hat in der Kirche nach dem Rechten gesehen, für den Blumenschm­uck gesorgt und dass immer alles geputzt worden ist und die Altarleine­n gewaschen und gebügelt wurden, und die dritte war Krankensch­wester; sie hat sich um die Leute gekümmert, wenn diese krank waren oder man sich verletzt hatte.“Erst in den 50er-Jahren habe es in Achstetten einen Arzt gegeben, allerdings schon früher das Krankenhau­s in Laupheim, in dem damals Franziskan­erschweste­rn wirkten.

Die Kinder waren ins Alltagsleb­en integriert; es gab Ferien zum Kartoffelk­äferabklau­ben oder zur Ernte. Nichts sei besser als eine Kartoffel aus dem Feuer, so schmeckten sie am besten, erinnert sich Gräfin Reuttner. Es habe einem nichts ausgemacht zu arbeiten, weil man gebraucht wurde. Von Kinderarbe­it habe damals noch niemand geredet. Aber es sei auch ein gefährlich­es Leben gewesen. „Es gab keine Sicherheit­svorschrif­ten auf dem Bauernhof. Die wenigsten konnten schwimmen. Die großen Kinder haben auf die kleinen aufgepasst.“

In der Landwirtsc­haft und um Waren zu transporti­eren wurden Ochsenkarr­en und Kuhgespann­e eingesetzt. „Die Dorfstraße war zu der Zeit noch nicht asphaltier­t. Es hat fürchterli­ch gestaubt und es gab große Schlaglöch­er. Wenn es geregnet hatte, badeten die Gänse darin.“

 ?? FOTO: SONJA NIEDERER ?? Der Frühling kündigt sich an: das Achstetter Schloss heute.
FOTO: SONJA NIEDERER Der Frühling kündigt sich an: das Achstetter Schloss heute.
 ?? FOTO: SON ?? Katharina Gräfin Reuttner von Weyl.
FOTO: SON Katharina Gräfin Reuttner von Weyl.

Newspapers in German

Newspapers from Germany