Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Masken, Handschuhe und Overalls fehlen“
Wie der Landrat die Corona-Lage im Landkreis bewertet und wie es weitergehen könnte
BIBERACH - Es ist gerade einmal fünf Wochen her, als am 7. März der erste Corona-Fall im Landkreis Biberach bekannt wurde. Seither hat das Virus das ganze Land und auch den Landkreis überrollt und das öffentliche Leben lahmgelegt. Eine hohe Verantwortung im Kampf gegen das Virus kam und kommt hierbei der Kreisverwaltung zu. SZ-Redakteur Gerd Mägerle wollte von Landrat Heiko Schmid wissen, wie er die Lage nach fünf Wochen einschätzt, was gut lief, wo es hakte und wie es in der nächsten Zeit weitergeht.
Herr Schmid, seit Mitte März sind Schulen, Kitas und die meisten Geschäfte zu, seit knapp zwei Wochen gelten verschärfte Kontaktregeln. Wie sieht Ihr Fazit im Moment für den Kreis Biberach aus: Halten sich die Bürger an die Auflagen?
Die Menschen sind ganz überwiegend einsichtig und vernünftig. Sie halten sich an die Bestimmungen, auch wenn es angesichts der derzeitigen frühlingshaften Temperaturen und mit zunehmender Dauer nicht immer einfach ist. Doch, ich bin dankbar darüber, wie sich die Bürgerinnen und Bürger verhalten.
Hat Sie die Wucht, mit der das Thema Corona über das Land und den Landkreis hereinbrach, überrascht? War der Kreis ausreichend gewappnet?
Was heißt ausreichend gewappnet? Es gibt Pandemiepläne, nach denen wir vorgegangen sind. Jede Krise hat ihre eigene Dynamik und Besonderheit. Wir üben auch immer wieder die Arbeit im Krisenstab. Aber man muss ehrlicherweise auch eingestehen: wir alle konnten uns doch so eine Situation allenfalls in einem schlechten Film und nicht so plötzlich in der Realität vorstellen.
Wenn Sie die Zeit nochmals vier Wochen zurückdrehen könnten, was würden Sie im Landratsamt beim Thema Corona anders machen?
Meine Mannschaft hat vieles gut und richtig gemacht. Wir waren von Anfang an nah an den Städten und Gemeinden, nah an den Bürgerinnen und Bürgern dran. Wir bieten seit Wochen eine Bürgerhotline an sieben Tagen in der Woche an, auch über die Feiertage, auch um die Rettungsleitstelle zu entlasten. Wir haben einen Koordinierungsstab, der regelmäßig unter Einbeziehung der Sana mit dem Ärztlichen Direktor Dr. Ulrich Mohl, des DRK mit Michael Mutschler, der Polizei mit Stefan Prießner, von OB Norbert Zeidler, Bürgermeister Peter Diesch und Dr. Christopher Maier als Vertreter der Kassenärzte tagt, mittlerweile über Videokonferenz. Ich würde wahrscheinlich noch früher Schutzausrüstung bestellen und mich weniger auf Bund und Land verlassen. Masken, Handschuhe und Overalls fehlen allenthalben.
Wie steht es mit dem Laupheimer Krankenhaus: Gibt es dafür auch Pläne als „Reservelazarett“, falls Corona wütet?
Wir wollen die Corona-Patienten im Biberacher Krankenhaus konzentriescheidung ren. Darüber hinaus gibt es bei Bedarf rund 300 weitere Pflegebetten an verschiedenen Standorten im Kreis. Wir wollen dort vor allem Patienten behandeln, die nur leicht erkrankt sind, sich aber bereits nicht mehr selbst versorgen können und deshalb eine stationäre, in erster Linie pflegerische, Betreuung benötigen. Laupheim ist für die Patienten vorgesehen, die nicht an Covid-19 erkrankt sind und gleichfalls auf eine stationäre medizinische Betreuung angewiesen sind.
Auch im Landkreis zeigt sich, dass das Gesundheitssystem bis an den Rand beansprucht wird. Sollte man nach der Corona-Krise die medizinische Struktur im gesamten Kreis nicht nochmals auf den Prüfstand stellen?
Auf der untersten Ebene müssen wir im Gesundheitssystem seit Jahren das auslöffeln, was uns die Bundes- und Landespolitik einbrockt. Sie haben jahrelang das Totenglöckchen für die dezentralen Strukturen geläutet, das Notfallsystem auf wenige zentrale Kliniken ausgerichtet. Aus der Situation haben wir im Kreis das Beste gemacht. Der Neubau in Biberach ist bald fertig, die ambulanten Strukturen in Ochsenhausen stehen, in Riedlingen bauen wir sie auf. Für Laupheim sind wir mit dem Zentrum für Älterenmedizin auf einem guten Weg. Zur Wahrheit gehört aber auch: Kein Gesundheitssystem auf der Welt ist und kann auf eine Pandemie in diesem Ausmaß ausgerichtet werden.
Was bedeutet die Krise für die Pläne für das Gesundheitszentrum in Laupheim? Verschiebt sich die Realisierung abermals?
Der derzeitige Verzug hat nichts mit Corona zu tun. Das hängt vielmehr an steuerrechtlichen Fragestellungen bei der Gründung der notwendigen Gesellschaft zwischen Sana, Stadt Laupheim und Landkreis. Immer wieder werden uns von anderer Seite Steine in den Weg geworfen. Wir haben jetzt eine Lösung im Blick, die wir in der Verwaltungsausschusssitzung am 29. April vorstellen wollen. Ich hoffe, dass mich die Mitglieder dann ermächtigen werden, eine Eilentanstelle des Kreistags zu treffen. Mit dieser Entscheidung sind wir dann einen wichtigen Schritt weiter.
Nach welchen Kriterien verteilt der Kreis die Großlieferung an Masken und Schutzausrüstung, die Sie per Eilentscheidung bestellt haben?
Die angekündigten Lieferungen von Bund und Land sind spärlich ausgefallen. Deshalb sind wir als Kreis selbst tätig geworden. Jetzt hoffen wir, dass auch alles so geliefert wird, wie wir es bestellt haben. Die Verteilung wird dann entsprechend dem Bedarf und der fachlichen Dringlichkeit an die Kliniken, Pflegeheime und ambulanten Pflegedienste vorgenommen. Kleinere Kontingente gehen auch an Hebammen, Apotheker und Zahnärzte. Die Kassenärzte sollen regelmäßig ja über andere Lieferungen der Kassenärztlichen Vereinigung versorgt werden, sie erhielten und erhalten jedoch im Einzelfall auch eine notfallmäßige Versorgung mit Schutzkleidung aus der Reserve des Gesundheitsamts, zum Beispiel um den Start der Fieberambulanzen und Abstrichstellen zu ermöglichen.
Es heißt, sie sollen von manchen Bürgermeistern und Medizinern gedrängt worden sein, den Katastrophenfall auszurufen. Aus welchen Gründen haben Sie es nicht getan?
Auch diese Forderung ist an uns herangetragen worden. Der Katastrophenfall hat jedoch eine andere Zielund Stoßrichtung in Baden-Württemberg. Er hebt dem Grunde nach auf Naturkatastrophen wie beispielsweise Hochwasser oder Erdbeben ab. Wir haben es aber nicht mit einer Naturkatastrophe zu tun, sondern mit einer Pandemie. Wir brauchen unter anderem Schutzmasken, Schutzkleidung, Ärzte und Pfleger. Das alles kann ich mit der Feststellung des Katastrophenfalls auch nicht ändern oder herbeizaubern. Auch kann die Situation nicht mit Bayern verglichen werden. Die Rechtslage ist dort eine völlig andere, gerade was den fehlenden Durchgriff auf die Landratsämter anbelangt. In Baden-Württemberg hat deshalb kein Landkreis bis jetzt den Katastrophenfall ausgerufen.
Wie geht es nach Ostern weiter – mit welchem Szenario rechnen Sie?
Das kommt jetzt ganz drauf an, wie sich die Lage bis kommenden Dienstag entwickelt. Dann wollen die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten sich abstimmen, wie es weitergeht. Wenn die Kontakt- und Abstandsregelungen gelockert werden sollten, dann müssen wir uns zeitversetzt voraussichtlich auch wieder auf steigende Fallzahlen einstellen. Diese Abwägung zu treffen, ist nicht einfach. Ich bin selbst gespannt, wie es nach dem 20. April weitergeht.
Wie wird das Thema Corona den Landkreis Biberach weiter beschäftigen, auch finanziell?
Einige Städte und Gemeinden stellen sich bereits auf sinkende Einnahmen ein. Sei es durch fehlende Gebühren, sei es durch wegfallende Einkommensteueranteile oder auch Stundungen und Einbrüche bei den Gewerbesteuereinnahmen. Als Landkreis spüren wir das spätestens in zwei Jahren über die Kreisumlage. Wir haben aber auch Mehrausgaben wie zum Beispiel für die Schutzausrüstung von über 600 000 Euro oder die Fieberambulanzen. Es ist im Moment noch etwas zu früh, eine finanzielle Bilanz zu ziehen. Wir sind gut aufgestellt, werden aber auch große Einbußen haben, zumal Corona auch in der Wirtschaft massive und lange andauernde Spuren hinterlassen wird.
Welche Wünsche und welchen Appell richten Sie an die Bürger des Landkreises?
Ich wünsche mir weiterhin Verständnis für die Maßnahmen der Regierungen, die zum Schutz von uns allen dienen. Ich spüre einmal mehr einen unglaublichen Zusammenhalt der Menschen im Landkreis. Das macht mich auch zuversichtlich für das, was uns noch in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren bevorsteht. Und nicht zuletzt wünsche ich uns allen friedvolle und frohe Ostern.