Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ein Rettungs-Ring für psychisch Kranke nicht nur in Ulm und der Region
Manche fühlten sich schon vorher isoliert, andere geraten durch die derzeit geltenden Beschränkungen in eine Krise
GULM - Isabell Schick hätte nicht gedacht, dass die Rettungs-Ringe so schnell so weit schwimmen würden. Die Ulmerin leitet in normalen Zeiten eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Jetzt, wo keine Treffen möglich sind, hat sie gemeinsam mit Mitstreitern eine Initiative ins Leben gerufen, um Betroffene wenigstens übers Internet zusammenzubringen und Austausch und Hilfe möglich zu machen. Das Programm auf der Seite rettungs-ring.de wächst Schritt für Schritt, die Interessenten kommen aus der ganzen Republik.
Eigentlich, berichtet Schick, sollte sich das Angebot an Menschen aus Ulm, Neu-Ulm und Umgebung richten – zum Beispiel an die Teilnehmer der von ihr geleiteten Selbsthilfegruppe Seelische Gesundheit. Doch es kam anders. „Die Anfragen kamen von Hamburg bis aus dem Schwarzwald“, erzählt die Frau, die dem Gemeindepsychiatrischen Verbund Günzburg/Neu-Ulm und dem Inklusionsbeirat Ulm angehört. Auch Arbeitsagenturen aus verschiedenen Städten hätten sich erkundigt, ob sie die Internetadresse an Klienten weitergeben dürfen, die nach Hilfe suchen. Am 24. März ging die Seite ans Netz, beim ersten virtuellen Treffen drei Tage später war schon eine Handvoll Teilnehmer dabei. Schick hatte geglaubt, sich anfangs ganz alleine einzuwählen. Schließlich müsse ein solches Angebot erst einmal bekannt werden. Und die Hürden sind groß: Viele, die psychisch erkrankt sind, scheuen sich, andere zu treffen. Und die Technik sei manchen auch nicht geheuer – auch wenn Rettungs-Ring nach einem einfachen und einprägsamen System funktioniert.
Inzwischen gibt es Teilnehmer, die regelmäßig wiederkommen und die Zahl der Gesprächsrundenleiter wächst. Vormittagssitzungen sind dazugekommen und sollen einen Anreiz geben, aus dem Bett zu kommen. Die Runden, davon ist Schick überzeugt, helfen nicht nur durch den Austausch. Wer sich einwähle, achte auch stärker auf sich selbst: Durch die Videoschalte sehen die Teilnehmer einander. Das motiviert dazu, sich frisch zu machen und vielleicht sogar herauszuputzen.
Isabell Schick weiß, dass solche Begegnungen ein Anker für Menschen sein können, denen durch ihre Erkrankung auch vermeintlich einfache Dinge schwerfallen. Zum Beispiel ein Spaziergang oder ein Biergartenbesuch. Dazu hatten sich die Teilnehmer der Gruppe Seelische Gesundheit regelmäßig selbst motiviert, sie waren regelmäßig gemeinsam dazu aufgebrochen. „Für meine
Gruppenmitglieder waren die Treffen ganz wichtig: Auch wenn sie sich davor zwei Wochen lang verkrochen hatten, sind sie gekommen“, schildert die Ulmerin. Nun rufe sie die Gruppenmitglieder an, doch das sei kein gleichwertiger Ersatz. Die Video-Konferenzen sind das schon eher: „Wenn es klappt und man den anderen sehen kann, ist das ein ganz tolles Gefühl“, schwärmt Schick.
Wer sich psychisch isoliert fühle, den treffe die körperliche Isolation hart. „Es hat einen Sinn, dass wir uns zurückziehen müssen“, sagt Schick. Probleme entstünden trotzdem. Das Team der Initiative Rettungs-Ring spricht ganz bewusst Leute an, die erst durch die aktuelle Situation in eine psychische Krise geraten. Isabell Schick nennt ein Beispiel: „Die Menschen haben Ängste. Ein Familienvater, der Frau und Kinder ernährt hat, hat plötzlich keinen Job mehr oder ist in Kurzarbeit.“Andere, die zum Beispiel im Rettungsdienst oder an der Supermarktkasse arbeiten, hätten gerade so viel Arbeit, dass kaum Zeit für einen normalen Austausch bleibe. Auch dass die Tagesstruktur wegbreche, verursache Probleme. „Man kennt das von Leuten, die in Rente gehen und von einem Tag auf den anderen keinen gewohnten Alltag mehr haben“, zeigt Schick eine Parallele auf. Die Tagesstruktur sei ein zentrales Thema in den Rettungs-Ring-Runden.
Das Programm soll sich aber nicht nur um ernste Fragen drehen. Gerade entwickelt das Team einen Freizeit-Ring zum Rätseln, Spielen oder Singen. „Mensch ärgere dich nicht funktioniert nicht, Stadt-LandFluss schon“, sagt Schick.
Auch einen Kids-Ring, bei dem Gleichaltrige reden, malen, lesen oder spielen, soll entstehen. „Wir wissen aktuell nicht, wie es weitergeht. Wir leben von einem Tag in den anderen“, sagt Schick. Das gilt auch für die Initiative RettungsRing: „Wir können momentan einfach nur an die Corona-Zeit denken.“Doch das Angebot soll auch danach bestehen bleiben. Vielleicht aber unter einem anderen Namen. Denn der jetzige steht für eine ganz aktuelle Idee: Schick und ihre Mitstreiter wollen Rettungsringe auswerfen, für alle, die sich durch die Einsamkeit in der Pandemie verloren fühlen.
Weitere Informationen und Zugang zu den Gesprächsrunden gibt es auf rettungs-ring.de. Die Initiatoren tragen bislang alle Kosten selbst, auf der Seite ist auch ein Spendenkonto angegeben. Für Zuwendungen können Spendenbescheinigungen ausgestellt werden.