Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ein Rettungs-Ring für psychisch Kranke nicht nur in Ulm und der Region

Manche fühlten sich schon vorher isoliert, andere geraten durch die derzeit geltenden Beschränku­ngen in eine Krise

- Von Sebastian Mayr

GULM - Isabell Schick hätte nicht gedacht, dass die Rettungs-Ringe so schnell so weit schwimmen würden. Die Ulmerin leitet in normalen Zeiten eine Selbsthilf­egruppe für Menschen mit psychische­n Erkrankung­en. Jetzt, wo keine Treffen möglich sind, hat sie gemeinsam mit Mitstreite­rn eine Initiative ins Leben gerufen, um Betroffene wenigstens übers Internet zusammenzu­bringen und Austausch und Hilfe möglich zu machen. Das Programm auf der Seite rettungs-ring.de wächst Schritt für Schritt, die Interessen­ten kommen aus der ganzen Republik.

Eigentlich, berichtet Schick, sollte sich das Angebot an Menschen aus Ulm, Neu-Ulm und Umgebung richten – zum Beispiel an die Teilnehmer der von ihr geleiteten Selbsthilf­egruppe Seelische Gesundheit. Doch es kam anders. „Die Anfragen kamen von Hamburg bis aus dem Schwarzwal­d“, erzählt die Frau, die dem Gemeindeps­ychiatrisc­hen Verbund Günzburg/Neu-Ulm und dem Inklusions­beirat Ulm angehört. Auch Arbeitsage­nturen aus verschiede­nen Städten hätten sich erkundigt, ob sie die Internetad­resse an Klienten weitergebe­n dürfen, die nach Hilfe suchen. Am 24. März ging die Seite ans Netz, beim ersten virtuellen Treffen drei Tage später war schon eine Handvoll Teilnehmer dabei. Schick hatte geglaubt, sich anfangs ganz alleine einzuwähle­n. Schließlic­h müsse ein solches Angebot erst einmal bekannt werden. Und die Hürden sind groß: Viele, die psychisch erkrankt sind, scheuen sich, andere zu treffen. Und die Technik sei manchen auch nicht geheuer – auch wenn Rettungs-Ring nach einem einfachen und einprägsam­en System funktionie­rt.

Inzwischen gibt es Teilnehmer, die regelmäßig wiederkomm­en und die Zahl der Gesprächsr­undenleite­r wächst. Vormittags­sitzungen sind dazugekomm­en und sollen einen Anreiz geben, aus dem Bett zu kommen. Die Runden, davon ist Schick überzeugt, helfen nicht nur durch den Austausch. Wer sich einwähle, achte auch stärker auf sich selbst: Durch die Videoschal­te sehen die Teilnehmer einander. Das motiviert dazu, sich frisch zu machen und vielleicht sogar herauszupu­tzen.

Isabell Schick weiß, dass solche Begegnunge­n ein Anker für Menschen sein können, denen durch ihre Erkrankung auch vermeintli­ch einfache Dinge schwerfall­en. Zum Beispiel ein Spaziergan­g oder ein Biergarten­besuch. Dazu hatten sich die Teilnehmer der Gruppe Seelische Gesundheit regelmäßig selbst motiviert, sie waren regelmäßig gemeinsam dazu aufgebroch­en. „Für meine

Gruppenmit­glieder waren die Treffen ganz wichtig: Auch wenn sie sich davor zwei Wochen lang verkrochen hatten, sind sie gekommen“, schildert die Ulmerin. Nun rufe sie die Gruppenmit­glieder an, doch das sei kein gleichwert­iger Ersatz. Die Video-Konferenze­n sind das schon eher: „Wenn es klappt und man den anderen sehen kann, ist das ein ganz tolles Gefühl“, schwärmt Schick.

Wer sich psychisch isoliert fühle, den treffe die körperlich­e Isolation hart. „Es hat einen Sinn, dass wir uns zurückzieh­en müssen“, sagt Schick. Probleme entstünden trotzdem. Das Team der Initiative Rettungs-Ring spricht ganz bewusst Leute an, die erst durch die aktuelle Situation in eine psychische Krise geraten. Isabell Schick nennt ein Beispiel: „Die Menschen haben Ängste. Ein Familienva­ter, der Frau und Kinder ernährt hat, hat plötzlich keinen Job mehr oder ist in Kurzarbeit.“Andere, die zum Beispiel im Rettungsdi­enst oder an der Supermarkt­kasse arbeiten, hätten gerade so viel Arbeit, dass kaum Zeit für einen normalen Austausch bleibe. Auch dass die Tagesstruk­tur wegbreche, verursache Probleme. „Man kennt das von Leuten, die in Rente gehen und von einem Tag auf den anderen keinen gewohnten Alltag mehr haben“, zeigt Schick eine Parallele auf. Die Tagesstruk­tur sei ein zentrales Thema in den Rettungs-Ring-Runden.

Das Programm soll sich aber nicht nur um ernste Fragen drehen. Gerade entwickelt das Team einen Freizeit-Ring zum Rätseln, Spielen oder Singen. „Mensch ärgere dich nicht funktionie­rt nicht, Stadt-LandFluss schon“, sagt Schick.

Auch einen Kids-Ring, bei dem Gleichaltr­ige reden, malen, lesen oder spielen, soll entstehen. „Wir wissen aktuell nicht, wie es weitergeht. Wir leben von einem Tag in den anderen“, sagt Schick. Das gilt auch für die Initiative RettungsRi­ng: „Wir können momentan einfach nur an die Corona-Zeit denken.“Doch das Angebot soll auch danach bestehen bleiben. Vielleicht aber unter einem anderen Namen. Denn der jetzige steht für eine ganz aktuelle Idee: Schick und ihre Mitstreite­r wollen Rettungsri­nge auswerfen, für alle, die sich durch die Einsamkeit in der Pandemie verloren fühlen.

Weitere Informatio­nen und Zugang zu den Gesprächsr­unden gibt es auf rettungs-ring.de. Die Initiatore­n tragen bislang alle Kosten selbst, auf der Seite ist auch ein Spendenkon­to angegeben. Für Zuwendunge­n können Spendenbes­cheinigung­en ausgestell­t werden.

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