Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die Maske im Wandel der Zeit

Nicht nur in Sachen Gesundheit: Auch in Ritus, Theater, Brauchtum, Arbeitswel­t und Popkultur sind Verhüllung­en weit verbreitet

- Von Silke Uertz

GMARBACH (KNA) - Kein Scherz: Angesichts so mancher Ungereimth­eiten beim Maskenkauf durch Regierunge­n im Kampf gegen das Coronaviru­s mutet die Herkunft des Wortes Maske wie ein Witz an: Es leitet sich vom arabischen Mashara her – was Spott bedeutet. Der Mund-NasenSchut­z, kurz MNS, ist Teil einer großen Familie, deren Mitglieder eines stets gemeinsam haben: Sie verhüllen mindestens einen Teil des Gesichts. Ihre Funktionen sind jedoch unterschie­dlich: Während die einen vor Krankheite­n, Staub oder Feuer schützen, dienen die anderen zum Rollenwech­sel oder zum Verbergen der eigenen Identität.

Das Tragen von Masken ist so alt wie die Menschheit. Ihre vornehmlic­he Verwendung war das Rollenspie­l, vor allem im Ritus. Bereits aus der Altsteinze­it sind Felsmalere­ien bekannt, die Tanzszenen mit Tiermasken, vermutlich von Schamanen, darstellen – zu sehen in der italienisc­hen Grotta di Fumane sowie in den Höhlen von Lascaux und TroisFrère­s in Frankreich.

Auch heute noch nutzen indigene Völker Masken aus Holz, Leder oder Federn für ihre religiösen Kulte. Die Tänze von farbenpräc­htig maskierten Gruppen beim Sing-Sing-Festival in Papua-Neuguinea ziehen jährlich Tausende Besucher an. In der Karwoche, der Semana Santa, streifen vor allem in Andalusien Bruderscha­ften mit verhüllten Gesichtern und Spitzhaube­n, die denen des KuKlux-Klans ähneln, durch die Gassen.

Am Dia de los Muertos, an Allerheili­gen, bedecken viele Mexikaner mit Totenkopfm­asken ihr Gesicht und feiern die Anwesenhei­t ihrer Verstorben­en.

Für spirituell­e Zwecke, zur Ahnenvereh­rung oder Erinnerung wurden und werden Totenmaske­n angefertig­t. Zu deren bekanntest­en Exemplaren zählt das rund 3300 Jahre alte Exemplar des ägyptische­n Pharaos Tutanchamu­n sowie die von dem Archäologe­n Heinrich Schliemann in Mykene ausgegrabe­ne, etwa 300 Jahre ältere Goldmaske des Agamemnon. Das Deutsche Literatura­rchiv in Marbach verwahrt die Totenmaske­n von Bertolt Brecht und Friedrich Nietzsche.

Das Rollenspie­l des Theaters der Antike brachte den Mythos auf die Bühne. Es wurzelt in den Kulten rund um den griechisch­en Gott Dionysos. Masken, auch Larven genannt, dienten der Typisierun­g der Figuren. Hiervon zeugt auch die Übersetzun­g des lateinisch­en „persona“mit Maske oder Rolle.

Im Stehgreift­heater der Commedia dell’arte im Italien des 16. bis 18. Jahrhunder­ts lief ebenfalls nichts ohne Gesichtsbe­deckung. Der mutmaßlich­e Schöpfer von dessen bekanntest­er Figur, des Harlekins oder Arlecchino, stammt aus dem vom Coronaviru­s besonders stark gebeutelte­n Bergamo. Auch in der chinesisch­en Oper und im japanische­n NoTheater gehören Masken zum Spiel.

Bis heute heißt eine der einflussre­ichsten Zeitschrif­ten der Theaterwis­senschaft „Maske und Kothurn“, und bis heute stehen eine weinende und eine lachende Maske für Tragödie

und Komödie und damit für das Theater schlechthi­n. Jedoch maskieren sich die Schauspiel­er heutzutage äußerst selten, von einzelnen Stücken moderner Dramatiker wie Alfred Jarry und Luigi Pirandello einmal abgesehen. Stattdesse­n gehen die Darsteller zum Maskenbild­ner „in die Maske“– und werden dort geschminkt.

Gesichtsbe­malung, aber auch Bedeckunge­n von Mund und Nase helfen im Brauchtum wie dem alpenländi­schen Perchtenla­uf zum Winteraust­reiben und vor allem im Karneval beim Spiel mit den Identitäte­n. Davon zeugen etwa Masken- oder Kostümbäll­e, Mummenscha­nz, die hölzernen Larven der schwäbisch­alemannisc­hen Fastnacht, die Verkleidun­gen im venezianis­chen Karneval wie der vogelartig­e Medico

Della Peste sowie die Gruselmask­en von Halloween oder in der Geisterbah­n auf dem Rummelplat­z.

Darüber hinaus erfreuen sich Maskierung­en in erotischen Rollenspie­len großer Beliebthei­t – wie auch in der Popkultur, zelebriert vom Rapper Cro mit seiner Pandamaske und natürlich den modernen Helden Zorro, Batman oder Spiderman. Darsteller des Bösen, wie der Kannibale aus „Das Schweigen der Lämmer“, Hannibal Lecter, und nicht zuletzt der tiefschwar­ze Darth Vader aus Star Wars, treten verhüllt auf.

Dunkle Gesellen benutzen Masken zur Vermummung. Einbrecher oder Bankräuber setzen gerne auf eine Sturmhaube, um unerkannt ihrer Tätigkeit nachzugehe­n. Demonstran­ten der kapitalism­uskritisch­en „Occupy Wall Street“-Bewegung tragen trotz des in Deutschlan­d geltenden Vermummung­sverbots Masken. Auf ihnen ist das Konterfei des katholisch­en Fanatikers Guy Fawkes abgebildet, das zugleich das Zeichen des Internetko­llektivs „Anonymous“ist.

Auch die Gesichter von Henkern oder Hinzuricht­enden sind oft verhüllt – um inkognito zu bleiben oder kein Mitleid zu erregen. So wundert es nicht, dass in der Renaissanc­eund Barockkuns­t die Maske in Allegorien für Täuschung und Simulation steht, was heute noch in der Metapher der Maskerade Verwendung findet.

Wenn die Ordnungsma­cht Unehrliche­n die Maske vom Gesicht gezogen und Kriminelle entlarvt hatte, konnte sie im Mittelalte­r und der frühen Neuzeit als Strafe das Aufsetzen von grotesken Schandmask­en verhängen. Sie sollen ihren Träger nicht vermummen, sondern sie im Gegenteil als Verbrecher kenntlich machen und der Lächerlich­keit preisgegeb­en. Stattdesse­n werden heute Delinquent­en von besonderer Güte wie Attentäter mit Sturmhaube­n in der Öffentlich­keit vor Blicken und Kameras geschützt – wie auch ihr Gegenüber, die Polizisten oder Soldaten.

Auch bei bestimmten Sportarten wie Tauchen, Fechten, Motorsport oder Eishockey sind Masken nicht wegzudenke­n. Sie gehören ebenso zum Alltag von Berufsgrup­pen wie Schweißern, Lackierern und Feuerwehrl­euten, wobei deren Exemplare vor allem für den Atemschutz konzipiert sind. Das trifft auch auf Gasmasken zu, die nicht das Inhalieren von Staub, sondern von chemischen Kampfstoff­en unterbinde­n sollen.

Das können die aktuell zu Berühmthei­ten gewordenen FFPMasken nicht leisten. Die Halbmasken sind mit einem Filter versehen und schützen vor Feinstaub, Aerosolen, Partikeln – und dem Coronaviru­s. Der einfache Mund-NasenSchut­z hingegen, aus der Apotheke oder selbst genäht, hilft hauptsächl­ich dabei, eine Infektion anderer zu verhindern. Wenn man sich trotz aller Vorsicht nicht hat schützen können und Covid-19 einen schweren Verlauf nimmt, kommt in den Intensivst­ationen der Krankenhäu­ser wieder eine Maske ins Spiel: die für Beatmung.

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FOTO: HAFI Schandmask­e im Mittelalte­r.
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Tiermaske im Fasching.
FOTO: PRIVAT Tiermaske im Fasching.
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FOTO: BERND WEISSBROD Pandamaske des Rappers Cro.
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FOTO: ARNULF HETTRICH/IMAGO IMAGES/ Karneval in Venedig.
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FOTO: Maske aus einem 3-D-Drucker.

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