Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Wir werden künftig das Persönliche mehr schätzen“
Kunsthaus-Leiter Thomas D. Trummer aus Bregenz zum Unterschied von digitalem und realem Kunsterlebnis
BREGENZ - Das Coronavirus sorgt dafür, dass die Menschen viel Zeit zu Hause verbringen. Kulturelle Abwechslung bietet neuerdings vor allem das Internet – sei es eine Lesung, ein Konzert, ein Theaterstück als Stream oder der virtuelle Besuch eines Museums. „Letztlich wird sich im Web die Marke durchsetzen“, sagt Thomas D. Trummer, der Direktor des Kunsthauses Bregenz. Im Telefongespräch mit Antje Merke erklärt er unter anderem, warum die Kunsterfahrung vor Ort aber nach wie vor eine wichtige Rolle spielen wird.
Herr Trummer, was das Kunsthaus Bregenz (KUB) von anderen Museen unterscheidet, ist sein Erlebnischarakter. Die vergangene Ausstellung mit Werken von Bunny Rogers zum Beispiel hat bei den Besuchern sämtliche Sinne angesprochen. Hat sich das vor der Corona-Krise auch in den Publikumszahlen gezeigt?
Wir hatten am Freitag, 13. März, den letzten Öffnungstag. Das war für uns, wie für alle anderen Häuser, schmerzlich gewesen. Zumal Bunny Rogers ein sehr, sehr großer Erfolg war – nicht nur in den Publikumszahlen, sondern auch in den Pressestimmen. Je länger die Ausstellung dauerte, umso mehr Besucher sind gekommen.
Das Coronavirus zwingt radikaler und schneller als gedacht jetzt auch die gesamte Kulturbranche in virtuelle Welten. Die Museen zum Beispiel überbieten sich plötzlich mit digitalen Initiativen. Auch das KUB hat das Angebot auf seiner Homepage erweitert. Was halten Sie von dieser Entwicklung?
Viele Museen hat die Krise unvorbereitet getroffen. Unter dem Druck, die Sichtbarkeit nicht zu verlieren, entstanden spontan digitale FormaNein, te. Dies ist sehr wertvoll. Doch nicht alle davon sind professionell. Für das Kunsthaus kann ich sagen, dass wir von Schnellschüssen nichts halten, die Qualität ist uns wichtig. Im Vergleich zu klassischen Museen haben wir den Vorteil, dass unser Archiv reich an Dokumentationsmaterial ist. Es gibt Filme, Clips, Aufzeichnungen von Künstler*innen-Gesprächen und vieles mehr. Das hilft uns in der Corona-Pause. Letztlich wird sich im Web die Marke durchsetzen. Und das KUB hat eine herausragende und solide Marke.
Der Besuch einer Ausstellung, eines Konzerts oder einer Lesung bietet ja viel mehr als ein digitaler Rundgang oder ein Livestream. Könnte es trotzdem sein, dass Kulturveranstaltungen künftig vermehrt nur noch online angeboten werden?
im Gegenteil. Ich bin davon überzeugt, dass die Kunsterfahrung vor Ort, nachdem wir uns aus dieser Umklammerung wieder befreit haben, eine wichtige Rolle spielen wird. Schon jetzt werten wir die persönliche Begegnung in der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz, beim Einkaufen oder wo auch immer anders als zuvor. Denn wir haben mittlerweile ein neues Sensorium für körperliche Distanzen entwickelt. Eine menschliche Begegnung, eine Berührung oder gar ein Kuss sind kostbarer als früher, sie sind rarer und ein stärkeres Zeichen. Wir sind zwar im Moment noch unbeholfen, aber wir nehmen die Anwesenheit der Mitmenschen behutsamer wahr. Diese Unsicherheit löst in uns wichtige Fragen aus: Wo stehe ich? Wo stehst du? Wie können wir einander begegnen? Diese neue Sensibilität ist wertvoll. Und genauso wird es mit der Kunst sein. Wenn ich etwa ins Kunsthaus gehe, dann werde ich diesen Besuch als etwas Besonderes und Unverwechselbares erleben. Weil ich weiß, ich bin an einem Ort, der riecht, ich höre den Hall, sehe das wechselnde Licht, registriere mein eigenes Befinden. Dies alles sind Erfahrungen der Anwesenheit, die es so im Digitalen nicht gibt.
Peter Weibel, Leiter des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe, sieht das ganz anders. Er hat neulich in einem Essay für die „Neue Zürcher Zeitung“geschrieben, dass jetzt die Telegesellschaft Wirklichkeit wird. Er geht in seiner These sogar so weit, dass übersteigerte Architekturen wie Stadien, Opern- oder Kunsthäuser sich schon bald als überflüssig erweisen werden. Wie stehen Sie zu solchen Aussagen?
Einerseits hat er recht. Viele Aspekte der Fernkommunikation, die wir einüben, werden bleiben. Es wird künftig mehr Video- und Telefonkonferenzen geben, weniger Meetings, Flugreisen und dergleichen mehr. Andererseits glaube ich, dass eine kritische Hinterfragung folgen wird. Wir verwenden das Digitale jetzt schon anders als vor der CoronaPause. Es hat nicht mehr dieses Heilsversprechen, es ist zu einem normalen Werkzeug geworden, wie etwa ein Bügeleisen, ein Postkasten. Zusammengefasst wird durch die Pandemie die Entwicklung hin zu einer Telegesellschaft sicher beschleunigt, aber ich glaube nicht an einen hemmungslosen Futurismus. Vielmehr werden wir künftig das Persönliche noch mehr zu schätzen wissen als vor der Krise.
Was kann Kunst in Zeiten wie diesen aus Ihrer Sicht leisten?
An unserem letzten Öffnungstag bin ich mitten in der Nacht von einer Auslandsreise nach Bregenz zurückgekommen und auf dem Heimweg mit einem Mann ins Gespräch gekommen. Ich war sehr besorgt und hatte mir dieselbe Frage gestellt, was Kunst jetzt kann. Und dieser Mann sagte: „Die Wissenschaften sind lösungsorientiert, die Künste darstellungsorientiert.“Das hat er wunderbar formuliert. Wir leben in einer Zeit, in der wir auf die Wissenschaften, die Medizin, die Mathematik, die Soziologie vertrauen. Aber am Ende wird die Kunst diese Zeit deuten. Die Kunst wird unsere Gefühle, unsere Ängste, unsere Sorgen, unsere Hoffnungen in Sprache, in Bilder, in Töne oder in Metaphern fassen. Man denke nur an die Kunstgeschichte mit ihren Bildern von der Pest, von Krieg, Zerstörung und Unterdrückung, aber auch der Freude.
Noch ein Blick nach vorn: Am 25. April sollte im KUB die neue Ausstellung mit Arbeiten des Schweizer Künstlers Peter Fischli eröffnet werden. Veranstaltungen bleiben in Österreich aufgrund der Pandemie aber bis Ende Juni verboten. Wie geht es jetzt bei Ihnen im Haus weiter?
Wir haben uns gemeinsam mit Peter Fischli darauf geeinigt, die kommende Ausstellung auf den Sommer zu verschieben. Wir sind mit der Vorbereitung der Schau so gut wie fertig und können innerhalb kurzer Zeit aufbauen und eröffnen. Fischli ist genau der Richtige für diese Zeit, die wir gerade erleben. Er ist als Künstler erfahren, lebensbejahend und immer frohgemut. Mit seinem verstorbenen Partner David Weiss hat er ein kleines Buch geschrieben mit dem Titel „Wie findet mich das Glück?“Das ist doch die Frage, die wir uns alle gerade stellen! Auch das ist eine Stärke der Kunst: Wir finden in ihr das, was wir schon immer gesucht haben.