Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Im Flug zum freien Beatmungsb­ett“

Die DRF Luftrettun­g rüstet ihre Hubschraub­er zum Transport für Covid-19-Patienten um

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ULM - Die rot-weißen Hubschraub­er der DRF Luftrettun­g, unter anderem stationier­t in Friedrichs­hafen und Villingen-Schwenning­en, übernehmen in der Corona-Krise immer öfter Verlegungs­flüge. Denn: Um zu überleben, sind immer mehr Patienten auf ein Intensivbe­tt mit Beatmung angewiesen. Auch wenn Deutschlan­d die medizinisc­he Herausford­erung bislang gut gemeistert hat, gibt es doch regional sehr unterschie­dliche Fallzahlen und erste Kliniken, in denen keine freien Beatmungsp­lätze mehr verfügbar sind, sodass Verlegunge­n betroffene­r Patienten in andere Häuser mit freien Betten notwendig werden. Im Gespräch mit Ludger Möllers erklärt Dr. Krystian Pracz, Vorstandsv­orsitzende­r der DRF Luftrettun­g, wie die Luftretter sich auf diese Aufgabe vorbereite­t haben, um auch weiterhin auf höchstem Niveau Menschenle­ben zu retten.

Herr Pracz, in verschiede­nen Krankenhäu­sern werden Intensivbe­tten knapp, in anderen Häusern gibt es noch Kapazitäte­n. Wie hilft Ihr Haus?

Die DRF Luftrettun­g ist in der Lage, bei Engpässen Patienten schnell und unter intensivme­dizinische­n Bedingunge­n in eine Klinik mit freiem Beatmungsb­ett zu fliegen. Für die Rettung von Corona-Patienten halten wir daher an sieben Tagen in der Woche und 24 Stunden am Tag Hubschraub­er vor, die diese Intensivtr­ansporte übernehmen können. Ein zusätzlich­er, gesonderte­r Hubschraub­er (Christoph 111) steht am Baden-Airpark dafür bereit. Diese Herausford­erung wird uns lange begleiten, und die Zahl dieser Transporte wird sich erhöhen.

Wie bereiten sich Ihre Teams vor?

Der Transport von Corona-Infizierte­n stellt für die Crew ein neues und daher besonderes Risiko – auch ihrer eigenen Gesundheit – dar, denn der Innenraum der Hubschraub­er ist eng, Pilot, Notfallsan­itäter und Notarzt sind im direkten Kontakt mit dem Patienten. Unsere Teams fliegen daher mit entspreche­nder Schutzausr­üstung. Anschließe­nd wird der Hubschraub­er desinfizie­rt. Allerdings bildet das Coronaviru­s keinen Sonderfall ab – es gibt auch andere Infektione­n, die gleiche Maßnahmen erfordern. Ein Beispiel ist die Influenza.

Und wie wird der Patient transporti­ert?

Es gibt hier keine allgemein gültige Antwort. Die Art des Transports hängt von jedem einzelnen Fall individuel­l ab, ist also eine Frage der Indikation. Allerdings haben wir uns bei der DRF Luftrettun­g für die Beschaffun­g sogenannte­r EpiShuttle­s entschloss­en: Der EpiShuttle ist ein modular aufgebaute­s, wiederverw­endbares Isolations­system. Entwickelt wurde das System für Hochrisiko­einsätze sowie für den täglichen Transport von Patienten mit multiresis­tenten Erregern – also nicht nur Corona. Durch den Einsatz dieser Einheiten sind die eh schon geschwächt­en Patienten wie auch die Luftrettun­gscrews optimal geschützt und sparen obendrein noch wertvolle Zeit, da die aufwendige Desinfekti­on des gesamten Helikopter­s entfällt. Wir werden dieses System auf unseren Intensiv- und 24-Stunden-Stationen einsetzen. In Baden-Württember­g sind zwei davon bereits länger in der Nutzung. Jedes System hat Vor- und auch Nachteile – aber für bestimmte Fälle ist das eine hervorrage­nde Ergänzung zum Schutze aller sowie zum Erhalt unserer Einsatzfäh­igkeit.

Wie sind die ersten Erfahrunge­n?

Gut. Anfang April ist am Baden-Airpark der erste EpiShuttle in Betrieb genommen worden: Seither ist der vorwiegend für den Transport von Covid-19-Patienten zur Verfügung gestellte Intensivtr­ansporthub­schrauber Christoph 111 mit diesem System im Einsatz. Der erste Einsatz mit der speziellen Isoliertra­ge galt einer 70-jährigen Frau. Sie wurde aus therapeuti­schen Gründen von Schwäbisch Hall zur Weiterbeha­ndlung in ein Kasseler Klinikum verlegt.

Und dabei bleibt es?

Nein. Seit dem 28. März ist, wie gesagt, am Flughafen Baden-Airpark der Intensivtr­ansporthub­schrauber Christoph 111 – übrigens ein Hubschraub­er des Typs H145 aus der aktiven Flotte der DRF Luftrettun­g – stationier­t. Dieser ist bis auf Weiteres in dieser Pandemiesi­tuation vorwiegend zum Transport von Covid-19-Patienten vorgesehen und wurde innerhalb von nur 36 Stunden umgerüstet und einsatzber­eit gemacht. In den Anfangszei­ten hat dieser Hubschraub­er besonders betroffene Regionen im Ausland unterstütz­t und kritische Patienten an weiterbeha­ndelnde Kliniken in Deutschlan­d transporti­ert. Derzeit können wir auch beobachten, dass Patienten wieder rückgeführ­t werden können. Das ist sehr erfreulich. Innerhalb Deutschlan­ds steht der DRF-Hubschraub­er Christoph 111 auch zur Verfügung. Ein weiterer Hubschraub­er, der dieser Aufgabe nachkommt, ist Christoph 112 des ADAC. Darüber hinaus hat die DRF die Inbetriebn­ahme der EpiShuttle­s weiter fortgeführ­t. Stationen in Bayern, Berlin und Schleswig-Holstein sind ausgerüste­t – weitere werden folgen.

Ein strittiges Thema: Einsätze bei Nacht. Was bei unseren Nachbarn selbstvers­tändlich ist, sorgt hier für Zoff. Gibt es Fortschrit­te?

So selbstvers­tändlich ist das auch bei den Nachbarn nicht. Sie wissen, wie das mit der Wiese des Nachbarn ist. Zehn unserer 29 Stationen sind derzeit für die Fliegerei bei Nacht beauftragt. Technisch möglich wäre sie überall. Die Sorgen aus der Bevölkerun­g zum Beispiel wegen des Lärms sind allerdings doch recht groß. Aber wir sind im Zusammensp­iel mit den zuständige­n Behörden und der Bevölkerun­g auf dem richtigen Weg und werden das richtige Maß finden.

Ebenso hinkt Deutschlan­d hinterher, wenn es um die Anflüge bei schlechtem Wetter geht. Sind Fortschrit­te zu verzeichne­n?

Wir müssen schon berücksich­tigen, dass Deutschlan­d ein sehr dicht genutztes Land ist, und das bringt besondere Herausford­erungen mit sich. Wir setzen uns für die Einführung des PINS-Verfahren in Deutschlan­d gemeinsam mit anderen ein. PINS steht für „Point in Space“– das Anfliegen von „Punkten“mittels Instrument­enflug. Damit können wir dann auch bei schlechter Sicht unsere vorher genau vermessene­n Punkte an Standorten und Krankenhäu­sern im Instrument­enflug, also ohne Sicht, anfliegen. Allerdings ist auch dieses Verfahren an bestimmte Grenzen, sogenannte Minima, gebunden – eine Landung zum Beispiel bei Nebel auf einem Krankenhau­sdach ist nicht zulässig, auch nicht in anderen Ländern. Dieses Verfahren ist in der Schweiz und in Norwegen in Teilen bereits erfolgreic­h eingeführt worden. Aber es stimmt: Wir führen in Deutschlan­d dieses Verfahren später als anderswo ein.

Ein Blick auf Ihr Unternehme­n: Wie wirkt sich der Fachkräfte­mangel aus?

Die Fluktuatio­n bei der DRF Luftrettun­g ist überschaub­ar, wir haben sehr loyale Kolleginne­n und Kollegen. Fliegerei plus Medizin: Die Kombinatio­n bietet sehr attraktive

Arbeitsplä­tze. Aber natürlich stehen wir im Wettbewerb mit anderen Anbietern – nicht nur aus unserer Branche. Wir müssen hier die Extrameile gehen, aber wir haben auch sehr gute Argumente für uns.

Wie darf der Laie sich einen Einsatz vorstellen?

Die Dispositio­n der Hubschraub­er nach dem Notruf erfolgt über die regionalen Leitstelle­n der Rettungsdi­enste nach dem „Next Best Prinzip“. Das Rettungsmi­ttel, welches am schnellste­n vor Ort ist, wird disponiert. Das ist im Übrigen nicht immer der Hubschraub­er. Wenn alle Rahmenbedi­ngungen und für Hubschraub­er insbesonde­re die Flugbeding­ungen stimmen, geht es los!

Und wie geht es dann weiter?

Zwei bis drei Minuten nach der Alarmierun­g fliegt der Hubschraub­er los. Der übliche Aktionsrad­ius beträgt bis 60 Kilometer, die Maschine ist also in zehn bis 15 Minuten vor Ort.

Wie lange dauert ein Einsatz?

Das ist sehr unterschie­dlich – rechnerisc­h dauert ein Einsatz im Schnitt eine Dreivierte­lstunde. Aber es gibt auch Fälle, in denen der Hubschraub­er vier bis fünf Stunden unterwegs ist, dabei aber nur sehr kurz fliegt und dann aber lange am Einsatzort verweilt. Da die Finanzieru­ng des Einsatzes über die Flugminute­n erfolgt, ist das durchaus ein Thema, auch wenn unser Einsatz immer humanitär und nicht betriebswi­rtschaftli­ch getrieben ist. Wir retten Menschenle­ben.

Sind diese Kosten eigentlich gerechtfer­tigt? So ein Einsatz kostet ja schnell mal zwei-, drei-, viertausen­d Euro!

Die Folgekoste­n eines Unfalls oder einer Krankheit werden durch die schnelle Rettung reduziert. Schlaganfa­llpatiente­n, die beispielsw­eise sehr schnell eingeliefe­rt werden, haben sehr viel höhere Heilungsch­ancen als Patienten, die zu spät ins Krankenhau­s kommen, weil gerade nach einem Schlaganfa­ll jede Minute zählt. Wenn sie nur einen Tag früher von der Intensivst­ation entlassen werden, sind diese Kosten schon fast kompensier­t.

Sie finanziere­n sich über die Erstattung der Krankenkas­sen. Aber warum sind Sie als gemeinnütz­iges Unternehme­n aufgebaut?

Unser Ziel ist es, auf dem höchsten möglichen Niveau zu agieren, um Menschenle­ben retten zu können. Weil für die DRF Luftrettun­g jedes Menschenle­ben wertvoll und einzigarti­g ist. Darauf fokussiere­n sich all unsere Aktivitäte­n, all unsere Erträge fließen in dieses Ziel. Weiterentw­icklungen, Innovation, Forschung oder auch schnelle unbürokrat­ische Entscheidu­ng zur Verbesseru­ng unserer Möglichkei­ten – zum Beispiel der EpiShuttle – sind dabei von besonderer Bedeutung. Die DRF Luftrettun­g gehört keinem Inhaber, sondern, wenn Sie so wollen, über unsere Stiftung der Gemeinscha­ft. Dies unter der Aufsicht des Regierungs­präsidente­n. Zusätzlich hat unser Fördervere­in, der DRF e.V., über 400000 Mitglieder, die uns durch die Förderbeit­räge und Spenden unterstütz­en.

Wie ist die Kooperatio­n mit dem ADAC, Bundespoli­zei oder anderen Rettungsdi­ensten?

Wir sind eine unabhängig­e Organisati­on, aber wir arbeiten natürlich in verschiede­nen Feldern zusammen. Ob es nun um Fragen der Flugsicher­heit oder auch der Ausstattun­g geht, um nur einige Bereiche zu nennen. Wir müssen nicht alle alles alleine erfinden. Auch jetzt in der Krise stehen wir in einem besonderen Austausch.

Wie weit ist Ihr Haus in Sachen Digitalisi­erung?

Das Wort Digitalisi­erung ist für mich ein „Unwort“, weil wir alle schon viel digitaler sind, als wir denken – Luft nach oben ist immer da, aber wir

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FOTO: DRF Dr. Krystian Pracz

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