Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Berichten, ohne vor Ort zu sein
Homeoffice und Videoschalten: Auch die SZ-Redaktion bleibt von der Corona-Krise nicht verschont
GLAUPHEIM - Kollegin Braig klagt darüber, dass man auf dem Display immer ein bisschen kränklich aussieht, und schmunzelt. Kollegin Belz grüßt die Runde mit einem fröhlichen „guten Morgen!“Kollege Dierking findet, dass er mal wieder zum Friseur müsste. Vor der Corona-Krise hat er es nicht mehr geschafft, seine Haare erinnern zunehmend an den Afro-Look. „Ich weiß gar nicht, was du hast“, sagt Kollege Ray, der in dieser Frage fein raus ist, mit einem Augenzwinkern; seine einstige Haarpracht hat er nach eigener Aussage an seine Tochter vererbt. Es ist 9.30 Uhr, die morgendliche Redaktionskonferenz hat gerade begonnen. Digital, versteht sich.
Auch wir arbeiten im Homeoffice, auch uns hat die Corona-Krise fest im Griff. Täglich berichten wir über die neuesten Entwicklungen und schildern, wie die Menschen die Situation erleben. Welche Nöte sie plagen, welchen Herausforderungen sie sich stellen müssen. Vom Apotheker bis zum Zulieferer. Viele fragen uns, wie es uns in der Redaktion eigentlich ergeht – deshalb haben wir uns entschlossen, einen Einblick in unseren Alltag zu geben.
Im März, vor dem Shutdown, haben wir alle noch in der Redaktion gearbeitet. Es war eine groteske Zeit, unzählige Veranstaltungsabsagen sind auf uns eingeprasselt. Wir mussten die Rubrik „Corona-Absagen“ins Leben rufen. Fast täglich haben die Behörden neue Verordnungen erlassen, deren Inhalte wir verbreiten und für die Leserschaft einordnen mussten. Das war nicht immer einfach – auch für uns ist die Situation etwas völlig Neues. Für die Berichterstattung über Verkehrsunfälle, Brände und andere unschöne Dinge gibt es gewisse Erfahrungswerte. Aber nicht für eine Pandemie.
Nun, einige Wochen später, findet immer noch nichts statt. Was für den Einzelhandel die Kunden sind, sind für uns Veranstaltungen. Ohne Gemeinderatssitzungen, Versammlungen, Wettkämpfe im Sport, Konzerte und Theateraufführungen ist es schwieriger, die Zeitung zu füllen. Das ist kein Geheimnis. Und auch was die Stilformen betrifft, können wir nicht die volle Bandbreite bespielen. Eine Reportage lebt davon, dass wir vor Ort sind und Ereignisse, über die wir berichten, miterleben. Jetzt recherchieren wir fast ausschließlich telefonisch. Unsere Gesprächspartner bitten wir, uns Fotos für die Artikel zu schicken, um persönlichen Kontakt zu vermeiden – nur in Ausnahmefällen fahren wir selbst raus, um zu fotografieren. Natürlich mit gebührendem Sicherheitsabstand.
Von der Leserschaft bekommen wir dieser Tage ganz unterschiedliche Rückmeldungen: Viele bedanken sich dafür, dass wir sie in Sachen Corona auf dem Laufenden halten. Zunehmend hören wir aber auch, dass sich Leserinnen und Leser über Geschichten freuen, die nichts mit Corona zu tun haben. Es besteht eine gewisse Übersättigung mit dem Thema, was wir gut nachvollziehen können. Wir freuen uns auch darüber, wenn wir Geschichten im Blatt haben, die nichts mit der Pandemie zu tun haben – in unserer Videoschalte sorgt dieser Umstand oft für gute Laune.
Gleichzeitig sehen wir es als unsere journalistische Pflicht, über aktuelle Entwicklungen zu berichten. Wer sich umfassend informieren will, soll die Möglichkeit haben. Und im Gespräch mit Menschen, die persönlich von der Krise betroffen sind, stellen wir fest: Sie sind dankbar dafür, ihre Situation mit der Öffentlichkeit teilen zu können. Indem wir berichten, liefern wir Erfahrungswerte für die Gesellschaft – und zeigen auf, wo Behörden und Politik reagieren und Lösungen entwickeln müssen.
Natürlich freuen wir uns auf den Tag, an dem wir unsere morgendliche Konferenz wieder in der Redaktion abhalten können. Auch wenn Videoschalten zweifelsohne eine spannende Erfahrung sind und Konferenzen selten auf so unterhaltsame Art und Weise gestört werden: durch Haustiere, Staubsauger oder Zwischenrufe von Familienangehörigen. ganze Provinz abgeriegelt und innerhalb weniger Tage ein ganzes Krankenhaus hochgezogen wird, waren für mich Alarmsignale. Und als die Situation in Italien außer Kontrolle geriet, habe ich die Gefahr als sehr unmittelbar empfunden. In den ersten Tagen des Shutdowns in Deutschland bin ich mir vorgekommen wie in einem Science-FictionFilm – nur leider fehlte der Ausknopf. Ein Aspekt, der mich bei meinen Recherchen für die SZ sehr berührt hat, ist die begrenzte Teilnehmerzahl bei Beerdigungen: Nicht alle können am Grab von einem Verstorbenen Abschied nehmen, das ist schrecklich.
Roland Ray: Journalisten kann man’s selten recht machen. Ist viel los, jammern sie: noch ein Abendtermin,
GUnd nicht zuletzt freuen wir uns auch auf die Zeit, in der wir wieder vor Ort über Veranstaltungen und Ereignisse berichten können – egal, ob aus dem Kulturleben, der Lokalpolitik oder dem Wirtschafts- und Sportgeschehen.
Liebe Leserinnen, liebe, herzlichen Dank für Ihr Interesse. Bleiben Sie gesund.
ein kommunalpolitischer Zankapfel, eine Sitzungs-EhrungsJubiläumssause. Um welche Geschichte kümmert man sich denn jetzt zuerst?! Ist dagegen wenig los… – Sie ahnen es. In Zeiten von Corona erreicht dieses „wenig los“freilich eine neue, auch für Berichterstatter in dieser gesegneten Region beispiellos ernste Dimension. Sie lehrt uns Demut.
Was dagegen beglückt, ist einmal mehr die Erfahrung: Wenn die Not groß und Hilfsbereitschaft gefragt ist, kann man sich auf die Menschen hier felsenfest verlassen. So viele Episoden gab und gibt es zu erzählen von Leuten, die anpacken, spenden, mit dem Herzen denken. Nicht der schlechteste Proviant in Zeiten wie diesen. Danke dafür.