Schwäbische Zeitung (Laupheim)
COPD wird zur Volkskrankheit
Wenn Raucher ständig husten, kann es die sogenannte chronisch obstruktive Lungenerkrankung sein
GMÜNCHEN - Um seinen Patienten die Lebensqualität zurückzugeben, braucht Professor Dr. Felix Herth nicht länger als zehn Minuten. Mithilfe eines durch den Mund eingeführten Schlauchs platziert der Lungenfacharzt des Universitätsklinikums Heidelberg Ventile in den Lungen von COPD-Kranken. Sie stecken nach dem Eingriff fest in den Bronchien und lassen Luft raus, aber nicht wieder rein.
Nicht ausatmen zu können – das bereitet vielen COPD-Patienten die größten Beschwerden. Die Abkürzung steht für „Chronic Obstructive Pulmonary Disease“, chronisch obstruktive Lungenerkrankung. Wer daran leidet, der bekommt keine Luft mehr, weil seine Bronchien verengt oder die Lungenbläschen krankhaft überbläht sind. Treppensteigen, Einkaufen, Spaziergänge – die kleinsten Belastungen sind dann anstrengend.
In Deutschland ist COPD häufiger als Diabetes: Jeder Achte über 40 Jahren soll betroffen sein. Experten gehen davon aus, dass vielen gar nicht klar ist, dass sie krank sind. Da die Bevölkerung altert, wird COPD auf der Liste der häufigsten krankheitsbedingten Todesursachen im Jahr 2030 an vierter Stelle stehen, schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO.
COPD offenbart sich in zwei Krankheitsbildern: der chronischen Bronchitis und dem Emphysem, einer Überblähung der Lunge. Beide Phänomene haben Atemnot zur Folge und eine gemeinsame Hauptursache, das Rauchen. In Deutschland sind rund 90 Prozent der Betroffenen Raucher oder waren es einmal. „Auch Menschen, die an offenen Kochstellen arbeiten oder berufsbedingt Stäuben und Gasen ausgesetzt sind, haben ein erhöhtes Risiko“, erklärt Klaus F. Rabe, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der LungenClinic Großhansdorf bei Hamburg.
Warum manche Raucher ein Emphysem entwickeln, während sich bei anderen die Bronchitis verfestigt, ist unklar. Lungenfachärzte unterteilen ihre COPD-Patienten – vielleicht etwas hemdsärmelig – in „Blue Bloater“und „Pink Puffer“. Der Blue Bloater, wörtlich „blauer Huster“, leidet primär an chronischer Bronchitis. Er ist typischerweise übergewichtig, infektanfällig und hat Husten, der vor allem morgens Auswurf zutage fördert. Aufgrund des Sauerstoffmangels sind seine Lippen und Nägel bläulich verfärbt, oft ist er auch noch herzkrank. Der Pink Puffer, wörtlich „rosa Keucher“, hat ein Emphysem. Er ist ein hagerer Typ, hat schwere Atemnot und trockenen Reizhusten. Behandeln lassen sollten sich alle. „Wer feststellt, dass er mit Altersgenossen nicht mehr mithalten kann und ständig Husten mit Auswurf hat“, so Rabe, „sollte sich untersuchen lassen.“
COPD ist nicht heilbar, und die Schäden an der Lunge sind irreversibel. Es ist aber möglich, die Symptome zu lindern und das Fortschreiten zu bremsen. „Die erste und wichtigste Maßnahme ist, mit dem Rauchen aufzuhören“, sagt Lungenfacharzt Claus Franz Vogelmeier, der die Pneumologie-Abteilung des Universitätsklinikums Marburg leitet.
Die Erkrankung verläuft in vier Stadien. Ist die Lungenfunktion nur bis zu 20 Prozent geringer als bei Gesunden, gilt das als Anfangsphase. Bei einer COPD vierten
Grades beträgt die Abweichung mehr als 70 Prozent – es herrscht ein ständiger Sauerstoffmangel, ein Leben ohne Sauerstoffgerät ist nicht mehr möglich. Betroffene Patienten kann nur noch eine Lungentransplantation retten. Wer nicht rechtzeitig ein Organ erhält, stirbt an COPD.
Neben dem Rauchstopp wird der Lungenfacharzt auch zu mehr Aktivität raten. „Oft bewegen sich chronisch Lungenkranke immer weniger, um Atemnot zu vermeiden“, beobachtet Vogelmeier. Ein Teufelskreis: Die Muskelmasse schwindet, die Belastbarkeit sinkt – und mit ihr verschlechtern sich Krankheitsprognose und Lebensqualität.
Nicht zu unterschätzen ist dabei die soziale Komponente: Wer einmal in die Abwärtsspirale aus Angst vor Atemnot und Vermeidung von Belastung geraten ist, isoliert sich immer mehr. 40 Prozent der COPD-Patienten sollen an Depressionen leiden. Das bestätigt auch Rabe von der LungenClinic Großhansdorf. „Es kratzt am Gemüt, wenn man früher Tennis gespielt hat, dann nur noch Doppel geht und irgendwann gar nichts mehr. Ich schicke auch 70-Jährige noch in die Muckibude.“Sein Kollege Vogelmeier aus Marburg bestätigt: „Körperliche Aktivierung ist die eine Hälfte der Therapie.“Die andere sind Medikamente.
Eine internationale Studie, an der auch Vogelmeier beteiligt war, zeigte, dass die Kombination zweier
Lungenfacharzt Claus Franz Vogelmeier bronchienerweiternder Medikamente wirksamer ist als die Gabe von nur einem plus Cortison. Hatten Ärzte bis dahin vielen COPD- Kranken entzündungshemmende Steroide zum Inhalieren verschrieben, sollen jetzt nur noch jene Cortison bekommen, die häufig regelrechte Anfälle von Atemnot erleiden. „Es gibt noch Bedarf, die Medikation zu verbessern“, räumt Vogelmeier ein. „Doch wir sind heute viel weiter als vor 20 Jahren.“
Immerhin sind die Therapiemöglichkeiten vielfältig, zumindest für Emphysem-Patienten, die trotz Spray häufig über Atemnot klagen. „Lungenvolumenreduktion“heißt das Mittel der Wahl, wenn alles andere nicht mehr reicht: die Verkleinerung des überblähten Bereichs. Dabei verschafft sich der Arzt durch den Mund Zugang zur Lunge, Schnitte sind nicht nötig. Für jeden Dritten kommen die Ventile infrage, die seit einiger Zeit die Krankenkassen bezahlen. 2000 bis 2500 Euro kostet eines, eingesetzt werden pro Eingriff zwei bis vier.
In Heidelberg arbeitet Pneumologe Felix Herth seit einigen Jahren auch mit sogenannten Coils. Das sind zehn bis 15 Zentimeter lange Drahtstücke, die der Arzt über die Luftröhre in die Bronchien mit der Überblähung schiebt. Lässt er sie los, ziehen sich die Drähte zu Spiralen zusammen und raffen so das Emphysem. Vielversprechend sind zudem Experimente mit Biokleber oder Wasserdampf. Herth hofft, bald auch Bronchitispatienten besser behandeln zu können. Etwa durch Stromstöße an den Nerven in der Bronchienwand, um die Muskelspannung dort zu senken. Oder durch „CryoSpray“, das die Schleimbildung der Becherzellen für längere Zeit eindämmt.
Wichtig ist dem Lungenfachmann, dass COPD-Patienten sich an große Zentren wenden, die alle Techniken anbieten und gewissenhaft prüfen, welche Methode für den Einzelnen am besten geeignet ist. „Mit den neuen Therapien wird viel Schindluder getrieben“, klagt Felix Herth. „Die Hälfte der Ventilimplantationen in Deutschland findet ohne Sinn und Verstand statt.“Immer wieder behandle er deshalb Menschen, „die nie Ventile hätten bekommen dürfen“– etwa weil aus einem anderen Bereich der Lunge immer wieder Luft in das Emphysem ströme.
Ob die Überblähung nicht besser mit Biokleber zu bekämpfen wäre, müsse vorher sehr gründlich untersucht werden. „Es gibt Hoffnung für die Patienten“, sagt Felix Herth, „aber nicht im Krankenhaus um die Ecke.“
„Die erste und wichtigste Maßnahme ist, mit dem Rauchen aufzuhören.“