Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wo einst das Dorfleben pulsierte
Heute liegt die ehemalige Schildwirtschaft „Krone“in Baltringen im Dornröschenschlaf – Einblicke in ein geschichtsträchtiges Gebäude
BALTRINGEN - Jahrhundertelang hat hier buntes Treiben geherrscht, im Gasthaus Krone in Baltringen. Reisende aus nah und fern spannten ihre Pferde aus und legten Rast ein. Doch nicht nur das: Von hier aus wurde auch das Dürnachdorf verwaltet. Noch heute lässt das ehemalige Gasthaus durch sein Erscheinungsbild den Machtanspruch ahnen, der von hier ausging. Die denkmalgeschützte Krone ist neben der Sankt-NikolausKirche Wahrzeichen Baltringens.
Das altehrwürdige Bauwerk liegt im Dornröschenschlaf, und das seit nahezu 50 Jahren. Bis zum Beginn der Siebzigerjahre spiegelte sich hier das Dorfleben. Sämtliche Hochzeits- und Vereinsfeiern fanden hier statt, Bürgerversammlungen wurden abgehalten und Theateraufführungen gingen über die Bühne. Legendär sind die Fasnetsveranstaltungen, bei denen der Bär tanzte. Da bröckelte schon mal der Putz von der Decke. Dies verdeutlicht: Das Wirtshaus hat schon einige Jahre auf dem Buckel.
Darauf deutet auch der Name hin. Denn „Krone“ist das Attribut der Heiligen Drei Könige. Auch sie waren unterwegs und auf der Suche nach einer Unterkunft für die Nacht. So wie auch Pilger und Fernhändler – deshalb wurden schon im Mittelalter Unterkünfte nach dem Herrschaftssymbol der Heiligen Drei Könige benannt, nach der Krone.
In der Vergangenheit waren solche Gasthäuser gerne mit der Bezeichnung Tafern- oder Schildwirtschaft verbunden und damit mit einer Reihe von Privilegien ausgestattet: Zunächst natürlich mit dem Schankrecht, außerdem mit dem Herbergsund Gastrecht sowie dem Recht, Zugund Reittiere unterzubringen. Hochzeiten durfte gefeiert werden. Verbunden war eine Tafern auch mit dem Brau- und Brennrecht sowie dem Recht, Brot zu backen. Heute würde man von Konzessionen reden. Ein Wirt ohne Tafernrecht war lediglich ein Zapfwirt. Das Fischrecht in der Dürnach ist auch heute noch mit dem Besitz der Kronen-Wirtschaft verbunden.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts trat der Spital Biberach in Baltringen als Käufer auf, bis er nahezu das gesamte Dorf in Besitz hatte. Dazu gehörte auch eine Tafernwirtschaft. Der Spital erwarb gleichzeitig das Recht, in Baltringen ein Gericht mit einem Amann und zwölf Richtern ins Leben zu rufen. Sie wurden vom Biberacher Bürgermeister und dem Rat der Stadt eingesetzt. Es ist davon auszugehen, dass die ausgewählten Personen als Amtseid einen Treueeid zu schwören hatten.
Amtsgebäude von Amann und Richtern war die Schildwirtschaft, das spätere Gasthaus Krone. Von daher ist kaum anzunehmen, dass die Baltringer Bauern 1524/25 in einem Vorgängerbau des heutigen Gasthauses ihre Protestveranstaltungen abhielten, welche die deutschlandweite Bauernrevolution von 1525 auslösten. Wegen dieser Revolte war die Beziehung zwischen Biberach und Baltringen nach Feststellung der Biberacher Historikerin Andrea Riotte über Jahrhunderte gestört. Baltringen hatte das Ansehen der Freien Reichsstadt Biberach im ganzen Reich geschmälert.
Amann und Richter verfolgten nicht nur einfache Delikte, sie sind heute vergleichbar mit Bürgermeister und Räten. Sie beantragten beispielsweise, in Baltringen eine eigene Pfarrei einzurichten. Gewaltenteilung war in früheren Jahrhunderten ein Fremdwort. Der Spital kümmerte sich im Jahre 1664 um ein repräsentatives Amtshaus, eben die Krone. Das geht aus den Akten des Spitalarchivs hervor. Den Repräsentationszweck sieht man dem Bau heute noch an
Wohlhabenheit und Macht des Spitals äußert sich nicht nur in der äußeren Gestalt, sondern auch im Inneren. Der Biberacher Spital war einer der reichsten im Land. Die frühere Gaststube ziert eine prächtige Kassettendecke – sie stünde auch einer großbürgerlichen Stube gut zu Gesicht. Im oberen Stock befanden sich die Amtsräume, vergleichbar einem heutigen Rathaus oder Gericht. Freilich wurden im Laufe der Zeit etliche frühere Trennwände entfernt, um einen großen Saal zu gewinnen, der auch heute noch Eindruck hinterlässt. In einer Ecke steht sogar noch ein Klavier, auf dem einst zur Unterhaltung aufgespielt oder Chorgesang begleitet wurde. Wenn von der Krone die Rede ist, dann darf das „Bischofszimmer“nicht fehlen. Hier residierte, sagt der Besitzer, einst der Oberhirte, der im Kloster Heggbach seine Visitationsbesuche abhielt. Eine ungewöhnlich reich verzierte Stuckdecke im Barockstil hebt diesen Raum von allen anderen ab und verleiht ihm einen Hauch von Luxus. „Suite“nennt man heute so etwas. Ein Rätsel gibt eine gusseiserne Krone am straßenabgewandten Giebel des Hauses auf. Man findet sie an unauffälliger Stelle direkt unter dem First. Aus derselben Zeit wie das Baltringer Haus stammt übrigens auch die Krone in Berkheim.
Zu Beginn des vorletzten Jahrhunderts begann mit dem Ende der Herrschaft des Spitals auch der Stern des Gasthauses Krone zu sinken. Baltringen
bekam ein Rathaus. Die Krone indes erlebte einen häufigen Besitzerwechsel. Die Brauerei verschwand, geblieben ist nur noch der einstige Eiskeller, in dem man die Eisschollen für ein kühles Bier einlagerte. Verschwunden sind auch die Stallungen.
Zu den einstigen Besitzern zählte etwa die Familie Brehm, in deren Hand heute Brauerei und Gasthaus „Adler“in Dellmensingen sind. Seniorchef Josef Brehm fühlt sich noch heute eng mit Baltringen verbunden. Eine Tragödie erlebte die Besitzerfamilie Dangel um die Mitte des vorletzten Jahrhunderts. Drei Kinder verstarben in jungen Jahren in ein und derselben Nacht an den Folgen der Diphtherie. Zuvor waren bereits zwei Kinder verstorben. Ortschronist Franz Seifert stellt dazu fest, dass das nunmehr kinderlose Ehepaar nach diesen Schicksalsschlägen das Haus verlassen habe und nach Biberach gezogen sei. Die beiden finanzierten zwei bunte Glasfenster im Chorraum der Dorfkirche. „Anstatt mit Gott zu hadern, stifteten die schwergeprüften Eltern für die Kirche zwei bunte Fenster“, schreibt Hildegard Schick dazu in ihrem Kirchenführer.
In den vergangenen 50 Jahren ist es noch einmal ein bisschen stiller geworden, nachdem die langjährige Wirtin Kreszentia Lämmle, geborene Bock, in den Ruhestand getreten war. Die Rolle des Versammlungsortes übernahm die Mehrzweckhalle. Nur einmal schien das schlafende Wirtshaus wachgeküsst zu werden. Das war zu Beginn der Achtzigerjahre, als in Baltringen eine Dorfsanierung durchgeführt wurde. Die Krone sollte
– wie ganz Baltringen – unter dem Gesichtspunkt der Denkmalpflege aufgehübscht werden.
Architekt Günter Schmitt, der die Dorfsanierung begleitete, ging mit viel Feingefühl an die Erneuerung. Die Besitzerfamilie nahm einen Batzen Geld in die Hand, um die Dachabdeckung anzupassen, die Fenster, wie die gesamte Seitenwand gegen Westen zu erneuern und die Kassettendecke in der Gaststube auf Vordermann zu bringen. Doch dann versagte nach Angaben des Besitzers das Denkmalamt wegen ungenehmigter Baumaßnahmen den Zuschuss. Die weitere Sanierung des Gebäudes stoppte daraufhin. Hausbesitzer Alfred Hofstetter bedauert es noch heute: „Das ist schade, man hätte damals mehr machen können.“Vor vier Jahren kam dann der nächste Tiefschlag: Als die Dürnach über die Ufer trat, stand das Gebäude einen halben Meter hoch unter Wasser.
Jetzt befürchtet man, dass die Krone dasselbe Schicksal erlebt wie das Gasthaus Lamm in Mietingen. Lamm und Krone haben etliche Gemeinsamkeiten. Beide waren Schildwirtschaften und Verwaltungsgebäude des Ortsherren, in Mietingen allerdings des Klosters Heggbach. Das Lamm wurde dem Verfall preisgegeben, bis nur noch der Abriss blieb. Ein Hoffnungsschimmer keimte, als der Kreis eine Versetzung des Gebäudes in das Kreisfreilichtmuseum Kürnbach als typisch oberschwäbisches Gasthaus erwog. Als allerdings der Kulturausschuss das Lamm betrat, um sich selber ein Bild über dessen Zustand zu machen, war die Entscheidung getroffen. Bei der Abstimmung zeigten die Daumen der Kreisräte nach unten.
Trotz des Leerstandes von fast einem halben Jahrhundert ist die Krone baulich in einem bemerkenswert guten Zustand. Die Besitzerfamilie hat aktuell keine Pläne für die Renovierung oder Nutzung des früheren Amts- und Gasthauses des Spitals Biberach. Einen Steinwurf von der Krone entfernt wohnt der BürgermeisterStellvertreter und langjährige Gemeinderat Martin Beck. Auf die Frage, was er mit dem ehemaligen Gasthaus Krone verbindet, gibt er zur Antwort:
„Nachdem ich ganz in der Nähe der Krone aufgewachsen bin und auch heute noch täglich auf das Gebäude sehe, ist sie in meinem Leben schon etwas Besonderes: Ein markantes und sicherlich auch geschichtsträchtiges Haus, in dem sich die Gäste zahlreich die Türklinke in die Hand gegeben haben. Ich persönlich erinnere mich in meiner Kindheit an nur noch wenige Veranstaltungen im Kronen-Saal und Öffnungstage der Gaststätte. Leider wurden die in den Achtzigern begonnenen Renovierungsarbeiten nicht abgeschlossen, sodass das Gebäude seither zunehmend dem Verfall ausgeliefert ist. Ob die verbliebene Bausubstanz eine Sanierung heute überhaupt noch rechtfertigt und sich die Kosten in einem vertretbaren Rahmen bewegen würden, vermag ich mangels weiterer Kenntnisse nicht zu beurteilen. Für die Ortschaft Baltringen wäre der Erhalt des Gebäudes – nutzungsunabhängig – grundsätzlich wünschenswert, der damit verbundene Aufwand müsste – gerade bei Verwendung öffentlicher Mittel – überschaubar und vertretbar bleiben.“