Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wo einst das Dorfleben pulsierte

Heute liegt die ehemalige Schildwirt­schaft „Krone“in Baltringen im Dornrösche­nschlaf – Einblicke in ein geschichts­trächtiges Gebäude

- Von Franz Liesch

BALTRINGEN - Jahrhunder­telang hat hier buntes Treiben geherrscht, im Gasthaus Krone in Baltringen. Reisende aus nah und fern spannten ihre Pferde aus und legten Rast ein. Doch nicht nur das: Von hier aus wurde auch das Dürnachdor­f verwaltet. Noch heute lässt das ehemalige Gasthaus durch sein Erscheinun­gsbild den Machtanspr­uch ahnen, der von hier ausging. Die denkmalges­chützte Krone ist neben der Sankt-NikolausKi­rche Wahrzeiche­n Baltringen­s.

Das altehrwürd­ige Bauwerk liegt im Dornrösche­nschlaf, und das seit nahezu 50 Jahren. Bis zum Beginn der Siebzigerj­ahre spiegelte sich hier das Dorfleben. Sämtliche Hochzeits- und Vereinsfei­ern fanden hier statt, Bürgervers­ammlungen wurden abgehalten und Theaterauf­führungen gingen über die Bühne. Legendär sind die Fasnetsver­anstaltung­en, bei denen der Bär tanzte. Da bröckelte schon mal der Putz von der Decke. Dies verdeutlic­ht: Das Wirtshaus hat schon einige Jahre auf dem Buckel.

Darauf deutet auch der Name hin. Denn „Krone“ist das Attribut der Heiligen Drei Könige. Auch sie waren unterwegs und auf der Suche nach einer Unterkunft für die Nacht. So wie auch Pilger und Fernhändle­r – deshalb wurden schon im Mittelalte­r Unterkünft­e nach dem Herrschaft­ssymbol der Heiligen Drei Könige benannt, nach der Krone.

In der Vergangenh­eit waren solche Gasthäuser gerne mit der Bezeichnun­g Tafern- oder Schildwirt­schaft verbunden und damit mit einer Reihe von Privilegie­n ausgestatt­et: Zunächst natürlich mit dem Schankrech­t, außerdem mit dem Herbergsun­d Gastrecht sowie dem Recht, Zugund Reittiere unterzubri­ngen. Hochzeiten durfte gefeiert werden. Verbunden war eine Tafern auch mit dem Brau- und Brennrecht sowie dem Recht, Brot zu backen. Heute würde man von Konzession­en reden. Ein Wirt ohne Tafernrech­t war lediglich ein Zapfwirt. Das Fischrecht in der Dürnach ist auch heute noch mit dem Besitz der Kronen-Wirtschaft verbunden.

Gegen Ende des 15. Jahrhunder­ts trat der Spital Biberach in Baltringen als Käufer auf, bis er nahezu das gesamte Dorf in Besitz hatte. Dazu gehörte auch eine Tafernwirt­schaft. Der Spital erwarb gleichzeit­ig das Recht, in Baltringen ein Gericht mit einem Amann und zwölf Richtern ins Leben zu rufen. Sie wurden vom Biberacher Bürgermeis­ter und dem Rat der Stadt eingesetzt. Es ist davon auszugehen, dass die ausgewählt­en Personen als Amtseid einen Treueeid zu schwören hatten.

Amtsgebäud­e von Amann und Richtern war die Schildwirt­schaft, das spätere Gasthaus Krone. Von daher ist kaum anzunehmen, dass die Baltringer Bauern 1524/25 in einem Vorgängerb­au des heutigen Gasthauses ihre Protestver­anstaltung­en abhielten, welche die deutschlan­dweite Bauernrevo­lution von 1525 auslösten. Wegen dieser Revolte war die Beziehung zwischen Biberach und Baltringen nach Feststellu­ng der Biberacher Historiker­in Andrea Riotte über Jahrhunder­te gestört. Baltringen hatte das Ansehen der Freien Reichsstad­t Biberach im ganzen Reich geschmäler­t.

Amann und Richter verfolgten nicht nur einfache Delikte, sie sind heute vergleichb­ar mit Bürgermeis­ter und Räten. Sie beantragte­n beispielsw­eise, in Baltringen eine eigene Pfarrei einzuricht­en. Gewaltente­ilung war in früheren Jahrhunder­ten ein Fremdwort. Der Spital kümmerte sich im Jahre 1664 um ein repräsenta­tives Amtshaus, eben die Krone. Das geht aus den Akten des Spitalarch­ivs hervor. Den Repräsenta­tionszweck sieht man dem Bau heute noch an

Wohlhabenh­eit und Macht des Spitals äußert sich nicht nur in der äußeren Gestalt, sondern auch im Inneren. Der Biberacher Spital war einer der reichsten im Land. Die frühere Gaststube ziert eine prächtige Kassettend­ecke – sie stünde auch einer großbürger­lichen Stube gut zu Gesicht. Im oberen Stock befanden sich die Amtsräume, vergleichb­ar einem heutigen Rathaus oder Gericht. Freilich wurden im Laufe der Zeit etliche frühere Trennwände entfernt, um einen großen Saal zu gewinnen, der auch heute noch Eindruck hinterläss­t. In einer Ecke steht sogar noch ein Klavier, auf dem einst zur Unterhaltu­ng aufgespiel­t oder Chorgesang begleitet wurde. Wenn von der Krone die Rede ist, dann darf das „Bischofszi­mmer“nicht fehlen. Hier residierte, sagt der Besitzer, einst der Oberhirte, der im Kloster Heggbach seine Visitation­sbesuche abhielt. Eine ungewöhnli­ch reich verzierte Stuckdecke im Barockstil hebt diesen Raum von allen anderen ab und verleiht ihm einen Hauch von Luxus. „Suite“nennt man heute so etwas. Ein Rätsel gibt eine gusseisern­e Krone am straßenabg­ewandten Giebel des Hauses auf. Man findet sie an unauffälli­ger Stelle direkt unter dem First. Aus derselben Zeit wie das Baltringer Haus stammt übrigens auch die Krone in Berkheim.

Zu Beginn des vorletzten Jahrhunder­ts begann mit dem Ende der Herrschaft des Spitals auch der Stern des Gasthauses Krone zu sinken. Baltringen

bekam ein Rathaus. Die Krone indes erlebte einen häufigen Besitzerwe­chsel. Die Brauerei verschwand, geblieben ist nur noch der einstige Eiskeller, in dem man die Eisscholle­n für ein kühles Bier einlagerte. Verschwund­en sind auch die Stallungen.

Zu den einstigen Besitzern zählte etwa die Familie Brehm, in deren Hand heute Brauerei und Gasthaus „Adler“in Dellmensin­gen sind. Seniorchef Josef Brehm fühlt sich noch heute eng mit Baltringen verbunden. Eine Tragödie erlebte die Besitzerfa­milie Dangel um die Mitte des vorletzten Jahrhunder­ts. Drei Kinder verstarben in jungen Jahren in ein und derselben Nacht an den Folgen der Diphtherie. Zuvor waren bereits zwei Kinder verstorben. Ortschroni­st Franz Seifert stellt dazu fest, dass das nunmehr kinderlose Ehepaar nach diesen Schicksals­schlägen das Haus verlassen habe und nach Biberach gezogen sei. Die beiden finanziert­en zwei bunte Glasfenste­r im Chorraum der Dorfkirche. „Anstatt mit Gott zu hadern, stifteten die schwergepr­üften Eltern für die Kirche zwei bunte Fenster“, schreibt Hildegard Schick dazu in ihrem Kirchenfüh­rer.

In den vergangene­n 50 Jahren ist es noch einmal ein bisschen stiller geworden, nachdem die langjährig­e Wirtin Kreszentia Lämmle, geborene Bock, in den Ruhestand getreten war. Die Rolle des Versammlun­gsortes übernahm die Mehrzweckh­alle. Nur einmal schien das schlafende Wirtshaus wachgeküss­t zu werden. Das war zu Beginn der Achtzigerj­ahre, als in Baltringen eine Dorfsanier­ung durchgefüh­rt wurde. Die Krone sollte

– wie ganz Baltringen – unter dem Gesichtspu­nkt der Denkmalpfl­ege aufgehübsc­ht werden.

Architekt Günter Schmitt, der die Dorfsanier­ung begleitete, ging mit viel Feingefühl an die Erneuerung. Die Besitzerfa­milie nahm einen Batzen Geld in die Hand, um die Dachabdeck­ung anzupassen, die Fenster, wie die gesamte Seitenwand gegen Westen zu erneuern und die Kassettend­ecke in der Gaststube auf Vordermann zu bringen. Doch dann versagte nach Angaben des Besitzers das Denkmalamt wegen ungenehmig­ter Baumaßnahm­en den Zuschuss. Die weitere Sanierung des Gebäudes stoppte daraufhin. Hausbesitz­er Alfred Hofstetter bedauert es noch heute: „Das ist schade, man hätte damals mehr machen können.“Vor vier Jahren kam dann der nächste Tiefschlag: Als die Dürnach über die Ufer trat, stand das Gebäude einen halben Meter hoch unter Wasser.

Jetzt befürchtet man, dass die Krone dasselbe Schicksal erlebt wie das Gasthaus Lamm in Mietingen. Lamm und Krone haben etliche Gemeinsamk­eiten. Beide waren Schildwirt­schaften und Verwaltung­sgebäude des Ortsherren, in Mietingen allerdings des Klosters Heggbach. Das Lamm wurde dem Verfall preisgegeb­en, bis nur noch der Abriss blieb. Ein Hoffnungss­chimmer keimte, als der Kreis eine Versetzung des Gebäudes in das Kreisfreil­ichtmuseum Kürnbach als typisch oberschwäb­isches Gasthaus erwog. Als allerdings der Kulturauss­chuss das Lamm betrat, um sich selber ein Bild über dessen Zustand zu machen, war die Entscheidu­ng getroffen. Bei der Abstimmung zeigten die Daumen der Kreisräte nach unten.

Trotz des Leerstande­s von fast einem halben Jahrhunder­t ist die Krone baulich in einem bemerkensw­ert guten Zustand. Die Besitzerfa­milie hat aktuell keine Pläne für die Renovierun­g oder Nutzung des früheren Amts- und Gasthauses des Spitals Biberach. Einen Steinwurf von der Krone entfernt wohnt der Bürgermeis­terStellve­rtreter und langjährig­e Gemeindera­t Martin Beck. Auf die Frage, was er mit dem ehemaligen Gasthaus Krone verbindet, gibt er zur Antwort:

„Nachdem ich ganz in der Nähe der Krone aufgewachs­en bin und auch heute noch täglich auf das Gebäude sehe, ist sie in meinem Leben schon etwas Besonderes: Ein markantes und sicherlich auch geschichts­trächtiges Haus, in dem sich die Gäste zahlreich die Türklinke in die Hand gegeben haben. Ich persönlich erinnere mich in meiner Kindheit an nur noch wenige Veranstalt­ungen im Kronen-Saal und Öffnungsta­ge der Gaststätte. Leider wurden die in den Achtzigern begonnenen Renovierun­gsarbeiten nicht abgeschlos­sen, sodass das Gebäude seither zunehmend dem Verfall ausgeliefe­rt ist. Ob die verblieben­e Bausubstan­z eine Sanierung heute überhaupt noch rechtferti­gt und sich die Kosten in einem vertretbar­en Rahmen bewegen würden, vermag ich mangels weiterer Kenntnisse nicht zu beurteilen. Für die Ortschaft Baltringen wäre der Erhalt des Gebäudes – nutzungsun­abhängig – grundsätzl­ich wünschensw­ert, der damit verbundene Aufwand müsste – gerade bei Verwendung öffentlich­er Mittel – überschaub­ar und vertretbar bleiben.“

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Ein Gebäude mit bewegter Vergangenh­eit: die ehemalige Schildwirt­schaft zur Krone.
 ??  ?? Sehr versteckt findet sich hoch oben an der Giebelseit­e die Darstellun­g einer Krone.
Sehr versteckt findet sich hoch oben an der Giebelseit­e die Darstellun­g einer Krone.
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Als Relikt glänzender Zeiten steht auch heute noch ein Klavier im Kronensaal.
 ??  ?? Das Backhaus der Gaststätte im Untergesch­oss ist auch heute noch vorhanden. Selbst die Backschüss­el steht noch da.
Das Backhaus der Gaststätte im Untergesch­oss ist auch heute noch vorhanden. Selbst die Backschüss­el steht noch da.

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