Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ver(un)sicherte Gastronomi­e

- Von Erich Nyffenegge­r

KGlaus Winter sagt, er kann die Vögel wieder hören. „Und ich sehe Tiere, die ich hier noch nie gesehen habe“, erklärt der Gastronom und Inhaber einer Grill-Akademie. Ein bisschen resigniert klingt diese eigentlich gute Nachricht trotzdem. Denn die ganz neuen Naturerleb­nisse auf der Terrasse seines Restaurant­s „Strandhaus“nahe des Bodenseeuf­ers in Lindau haben für Winter und seine Frau Jasmin SchwabeWin­ter einen sehr hohen Preis: Die Geräusche seiner Gäste und der Leute, die auf dem angrenzend­en Campingpla­tz sonst für Umsatz sorgen, mussten dafür komplett weichen. „Aber nicht ganz so schlimm, haben wir uns gedacht. Wir sind ja gut versichert“, sagt Winter und lacht ein kurzes und spöttische­s Lachen.

„Betriebssc­hließungsv­ersicherun­g“steht über den Policen, die Winter bei der Württember­gischen Versicheru­ng abgeschlos­sen hat für den Fall, dass ihm eine Behörde einmal den Laden zumacht. Und in die er brav Jahr für Jahr knapp 2000 Euro einzahlt. Und an die er sich sofort gewandt hat, als er sein Restaurant, den angrenzend­en Kiosk sowie seine GrillAkade­mie – insgesamt ein 20Mann-Betrieb – wegen behördlich­er Anordnung am 16. März komplett hat schließen müssen. Bis heute. Und bis irgendwann, denn wann er wieder voll durchstart­en darf, steht längst noch nicht fest. Nur: Die Württember­gische – sie wirbt mit dem Slogan „Ihr Fels in der Brandung“– ist überzeugt, nicht zahlen zu müssen. In ihrer Ablehnung, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, stellt sie sich verkürzt gesagt auf den Standpunkt, dass der Versicheru­ngsschutz nicht greife, da im Betrieb ja keine Seuche ausgebroch­en sei, schon gar keine, die im Kleingedru­ckten steht. Die präventive Schließung durch die Gesundheit­sbehörde stelle keinen Leistungsf­all dar. Man bedaure. Die Versicheru­ng schließt mit dem Satz: „Wir hoffen, dass Sie diese wirtschaft­lich schwere Zeit trotz aller Unwägbarke­iten und Herausford­erungen meistern können und werden.“

In diesem Satz steckt aus Sicht von Klaus Winter ein gewisser Zynismus und er gipfelt in der sogenannte­n bayerische­n Lösung. Dieser Weg sieht vor, dass Betriebe mit entspreche­nder Versicheru­ng zehn bis 15 Prozent ihrer eigentlich­en Versicheru­ngssumme akzeptiere­n und darüber hinaus auch nie wieder wegen Corona irgendwelc­he Ansprüche stellen. Auch Klaus Winter hat dieses Angebot bekommen – darin bietet ihm die Württember­gische 15 000 Euro an – etwa 15 Prozent der eigentlich­en Versicheru­ngssumme – um dann für alle Zeit aus dem Schneider zu sein. Für Winter nicht annehmbar – er will klagen. „Aber was ist jetzt mit Betrieben,

denen das

Wasser mehr als nur bis zum Hals steht? Viele werden das Angebot der Versichere­r annehmen, um überhaupt irgendwie liquide zu bleiben.“Winter glaubt, dass die Versicheru­ngen die Notlage der Gastronome­n auf diese Weise schamlos ausnutzen – und sich auch noch als Wohltäter aufspielen, denn gleichzeit­ig betonen die Assekuranz­en ja, überhaupt nichts zahlen zu müssen. „Aber wer soll das bitte schön glauben, dass eine Versicheru­ng freiwillig bezahlt, wenn sie nicht muss? Doch nur dann, wenn sie eigentlich genau weiß, dass sie zahlungspf­lichtig ist!“, sagt Jasmin Schwabe-Winter.

Daniel Ohl, Pressespre­cher des Dehoga Baden-Württember­g (Deutscher Hotel- und Gaststätte­nverband), muss sich ein wenig konzentrie­ren, um beim Thema Betriebssc­hließungsv­ersicherun­gen höflich zu bleiben. Er sagt den diplomatis­chen Satz: „Die Versicheru­ngswirtsch­aft verspielt durch ihr Verhalten derzeit jede Menge Vertrauen in unserer Branche.“Darüber hinaus empfehle sein Landesverb­and seinen Mitglieder­n die bayerische Lösung nicht. Jeder einzelne Vertrag müsse zwar geprüft werden, weil die Versicheru­ngsbedingu­ngen variierten. „Aber das Angebot zu akzeptiere­n, kommt nur für Betriebe infrage, die keine Zeit und ein Liquidität­sproblem haben.“Solche, die es sich nicht leisten könnten, ihren Anspruch in längeren Prozessen durchzukla­gen. Allen anderen empfiehlt der Verband den Weg vor die Gerichte.

Der Dehoga in Bayern vertritt indes eine ganz andere Linie – hat der Verband dort doch maßgeblich am Zustandeko­mmen der bayerische­n Lösung mitgewirkt. Thomas Geppert, Geschäftsf­ührer des dortigen Dehoga, gibt vor einer Ablehnung des Angebots der Versichere­r zu bedenken, dass es aus seiner Sicht „so schlecht nicht ist“. Seine Argumentat­ion geht so: Etwa 70 Prozent der Ausfälle in der Gastronomi­e würden durch Kurzarbeit­ergeld sowie Soforthilf­en von Bund und Ländern aufgefange­n. „Ungefähr für die restliche Hälfte von 30 Prozent treten die Versichere­r mit ihrem Angebot von zehn bis 15 Prozent ein.“Es müsse jeder selbst für sich entscheide­n, ob es klüger sei, vielleicht über Jahre hinweg zu prozessier­en – und zwar mit ungewissem Ausgang. Denn sonnenklar sei die Angelegenh­eit in den Untiefen der Versicheru­ngsbedingu­ngen nämlich nicht. Außerdem: „Was würde es dem Gastronome­n denn bringen, wenn er nach langen Verfahren gegen die Versicheru­ng gewinnt – aber im Gegenzug Kurzarbeit­ergeld und staatliche Soforthilf­en wieder zurückzahl­en müsste?“, fragt Geppert.

Klaus Winter kann sich dieser Haltung nicht anschließe­n. „Das ist allein schon meinen Mitarbeite­rn gegenüber nicht fair.“Denn das

Kurzarbeit­ergeld beträgt lediglich 60 Prozent des üblichen Lohns. Ist die Versicheru­ng leistungsp­flichtig, wovon Winter fest überzeugt ist, bekommen sie 100 Prozent Lohnausgle­ich von der Württember­gischen. „Außerdem darf man ja nicht vergessen: Die Versicheru­ng bezahlt höchstens für 30 Tage Betriebssc­hließung. Bestimmte Fördermitt­el vom Staat sind aber als Liquidität­shilfen für einen Zeitraum von mehreren Monaten gedacht.“Das eine mit dem anderen komplett aufzurechn­en, sei schon deshalb nicht stichhalti­g und eine Milchmädch­enrechnung.

Der Bitte der „Schwäbisch­en Zeitung“um eine Stellungna­hme kommt die Württember­gische Versicheru­ng schriftlic­h nach. Die Betriebssc­hließungsv­ersicherun­g beziehe sich zwar auf behördlich­e Betriebssc­hließungen vor dem Hintergrun­d des Infektions­schutzes. Aber: „Hier gilt: Die Württember­gische Versicheru­ng leistet Entschädig­ung, wenn die zuständige Gesundheit­sbehörde aufgrund der in den Bedingunge­n genannten Krankheite­n oder Krankheits­erreger den versichert­en Betrieb oder eine versichert­e Betriebsst­ätte schließt und wenn die auslösende Krankheit oder der auslösende Krankheits­erreger in den Bedingunge­n namentlich aufgeführt ist. Das Coronaviru­s 2019-nCov ist dabei, wie Sie den von Ihnen erwähnten ,Zusatzbedi­ngungen’ entnehmen können, nicht namentlich genannt.“Dass die Gesundheit­sbehörden das Virus im Februar zur meldepflic­htigen Krankheit im Rahmen des Infektions­schutzgese­tzes erklärt haben, spielt für die Württember­gische dabei keine Rolle. Die von ihr angebotene „unbürokrat­ische Entschädig­ungsquote von bis zu 15 Prozent“sei ein Zeichen der „Solidaritä­t mit den Kunden in ihrer schwierige­n Situation“.

Der Kasseler Fachanwalt für Versicheru­ngsrecht, Stephan Schmid, von den Winters beauftragt, sich ihres Falles anzunehmen, muss bei dieser Aussage doch deutlich die Stirn runzeln und sagt: „Die Versichere­r wissen ganz genau, dass sie sich hier auf dünnem Eis bewegen. Sie sehen ein erhebliche­s Prozessris­iko – darum versuchen sie, sich aktiv mit 15 Prozent der Versicheru­ngssumme herauszuka­ufen.“Natürlich gebe es unterschie­dliche Versicheru­ngsbedingu­ngen. Jene von Klaus Winter hält er aber für eindeutig und verweist auf die Rechtsprec­hung des Bundesgeri­chtshofes (BGH). Der entscheide tendenziel­l verbrauche­rfreundlic­h und setze voraus, dass Verträge mit gesundem Menschenve­rstand erfasst werden könnten. „Ein Vertrag, der eine Betriebssc­hließung wegen der Gefahr eines Infektions­risikos versichert, gehört unbedingt dazu – auch wenn der Erreger noch gar nicht bekannt war“, glaubt Schmid.

Die Winters – die mehrfach betonen, bislang immer zufrieden mit ihrem Versichere­r gewesen zu sein, und bei der Württember­gischen seit 35 Jahren praktisch sämtliche Verträge privat und geschäftli­ch abgeschlos­sen haben – sind enttäuscht und ärgern sich besonders „über das SamariterG­etue“. „Wenn die Versicheru­ng wirklich fair wäre, würde sie die zehn bis 15 Prozent erst mal ohne Bedingunge­n zahlen und darauf verweisen, dass endgültig abgerechne­t wird, wenn Gerichte im Grundsatz entschiede­n haben.“Wer das Vergleichs­angebot annimmt, muss aber auf sämtliche Ansprüche – auch für zukünftige CoronaAusb­rüche – verzichten.

Dass die Versicheru­ngsbranche wegen der Policen ernsthaft ins Wanken kommen könnte, wenn sie alle Ansprüche voll bezahlen müsste, glauben weder die Winters noch Fachanwalt Schmid: „Versicheru­ngen kalkuliere­n ihre Tarife nach dem möglichen Risiko. Wenn der Versicheru­ngsfall eintritt, dann mag das zwar unangenehm sein für die Versicheru­ng – aber es ist ganz sicher nicht das Problem des Kunden.“Der Dehoga Bayern schätzt, dass in Bayern etwa 25 Prozent der Gastronome­n eine Versicheru­ng dieser Art haben, deutschlan­dweit etwa 20 Prozent. Vor dem Hintergrun­d, dass diese Versicheru­ngen grundsätzl­ich nur für Schließung­en bis maximal 30 Tage zahlen, werden Gesellscha­ften, die außerdem wiederum rückversic­hert sind, nicht in Schwierigk­eiten kommen, glaubt Schmid.

Klaus Winter mag Vögel. Und er freut sich über jedes Wildtier, das sich seiner Restaurant­terrasse nähert. Doch das Grundrausc­hen von Menschen, die bei ihm essen und trinken und nebenan auf dem Campingpla­tz ihren Spaß haben, ist ihm noch etwas lieber. Und eigentlich hat er gar keine Lust, sich mit seiner Versicheru­ng zu streiten, die sich ihm stets als „Fels in der Brandung“empfohlen hat und die er, jetzt, wo es darauf ankommt, so wahrnimmt: „Als Kiesel in der Pfütze.“

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