Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ver(un)sicherte Gastronomie
KGlaus Winter sagt, er kann die Vögel wieder hören. „Und ich sehe Tiere, die ich hier noch nie gesehen habe“, erklärt der Gastronom und Inhaber einer Grill-Akademie. Ein bisschen resigniert klingt diese eigentlich gute Nachricht trotzdem. Denn die ganz neuen Naturerlebnisse auf der Terrasse seines Restaurants „Strandhaus“nahe des Bodenseeufers in Lindau haben für Winter und seine Frau Jasmin SchwabeWinter einen sehr hohen Preis: Die Geräusche seiner Gäste und der Leute, die auf dem angrenzenden Campingplatz sonst für Umsatz sorgen, mussten dafür komplett weichen. „Aber nicht ganz so schlimm, haben wir uns gedacht. Wir sind ja gut versichert“, sagt Winter und lacht ein kurzes und spöttisches Lachen.
„Betriebsschließungsversicherung“steht über den Policen, die Winter bei der Württembergischen Versicherung abgeschlossen hat für den Fall, dass ihm eine Behörde einmal den Laden zumacht. Und in die er brav Jahr für Jahr knapp 2000 Euro einzahlt. Und an die er sich sofort gewandt hat, als er sein Restaurant, den angrenzenden Kiosk sowie seine GrillAkademie – insgesamt ein 20Mann-Betrieb – wegen behördlicher Anordnung am 16. März komplett hat schließen müssen. Bis heute. Und bis irgendwann, denn wann er wieder voll durchstarten darf, steht längst noch nicht fest. Nur: Die Württembergische – sie wirbt mit dem Slogan „Ihr Fels in der Brandung“– ist überzeugt, nicht zahlen zu müssen. In ihrer Ablehnung, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, stellt sie sich verkürzt gesagt auf den Standpunkt, dass der Versicherungsschutz nicht greife, da im Betrieb ja keine Seuche ausgebrochen sei, schon gar keine, die im Kleingedruckten steht. Die präventive Schließung durch die Gesundheitsbehörde stelle keinen Leistungsfall dar. Man bedaure. Die Versicherung schließt mit dem Satz: „Wir hoffen, dass Sie diese wirtschaftlich schwere Zeit trotz aller Unwägbarkeiten und Herausforderungen meistern können und werden.“
In diesem Satz steckt aus Sicht von Klaus Winter ein gewisser Zynismus und er gipfelt in der sogenannten bayerischen Lösung. Dieser Weg sieht vor, dass Betriebe mit entsprechender Versicherung zehn bis 15 Prozent ihrer eigentlichen Versicherungssumme akzeptieren und darüber hinaus auch nie wieder wegen Corona irgendwelche Ansprüche stellen. Auch Klaus Winter hat dieses Angebot bekommen – darin bietet ihm die Württembergische 15 000 Euro an – etwa 15 Prozent der eigentlichen Versicherungssumme – um dann für alle Zeit aus dem Schneider zu sein. Für Winter nicht annehmbar – er will klagen. „Aber was ist jetzt mit Betrieben,
denen das
Wasser mehr als nur bis zum Hals steht? Viele werden das Angebot der Versicherer annehmen, um überhaupt irgendwie liquide zu bleiben.“Winter glaubt, dass die Versicherungen die Notlage der Gastronomen auf diese Weise schamlos ausnutzen – und sich auch noch als Wohltäter aufspielen, denn gleichzeitig betonen die Assekuranzen ja, überhaupt nichts zahlen zu müssen. „Aber wer soll das bitte schön glauben, dass eine Versicherung freiwillig bezahlt, wenn sie nicht muss? Doch nur dann, wenn sie eigentlich genau weiß, dass sie zahlungspflichtig ist!“, sagt Jasmin Schwabe-Winter.
Daniel Ohl, Pressesprecher des Dehoga Baden-Württemberg (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband), muss sich ein wenig konzentrieren, um beim Thema Betriebsschließungsversicherungen höflich zu bleiben. Er sagt den diplomatischen Satz: „Die Versicherungswirtschaft verspielt durch ihr Verhalten derzeit jede Menge Vertrauen in unserer Branche.“Darüber hinaus empfehle sein Landesverband seinen Mitgliedern die bayerische Lösung nicht. Jeder einzelne Vertrag müsse zwar geprüft werden, weil die Versicherungsbedingungen variierten. „Aber das Angebot zu akzeptieren, kommt nur für Betriebe infrage, die keine Zeit und ein Liquiditätsproblem haben.“Solche, die es sich nicht leisten könnten, ihren Anspruch in längeren Prozessen durchzuklagen. Allen anderen empfiehlt der Verband den Weg vor die Gerichte.
Der Dehoga in Bayern vertritt indes eine ganz andere Linie – hat der Verband dort doch maßgeblich am Zustandekommen der bayerischen Lösung mitgewirkt. Thomas Geppert, Geschäftsführer des dortigen Dehoga, gibt vor einer Ablehnung des Angebots der Versicherer zu bedenken, dass es aus seiner Sicht „so schlecht nicht ist“. Seine Argumentation geht so: Etwa 70 Prozent der Ausfälle in der Gastronomie würden durch Kurzarbeitergeld sowie Soforthilfen von Bund und Ländern aufgefangen. „Ungefähr für die restliche Hälfte von 30 Prozent treten die Versicherer mit ihrem Angebot von zehn bis 15 Prozent ein.“Es müsse jeder selbst für sich entscheiden, ob es klüger sei, vielleicht über Jahre hinweg zu prozessieren – und zwar mit ungewissem Ausgang. Denn sonnenklar sei die Angelegenheit in den Untiefen der Versicherungsbedingungen nämlich nicht. Außerdem: „Was würde es dem Gastronomen denn bringen, wenn er nach langen Verfahren gegen die Versicherung gewinnt – aber im Gegenzug Kurzarbeitergeld und staatliche Soforthilfen wieder zurückzahlen müsste?“, fragt Geppert.
Klaus Winter kann sich dieser Haltung nicht anschließen. „Das ist allein schon meinen Mitarbeitern gegenüber nicht fair.“Denn das
Kurzarbeitergeld beträgt lediglich 60 Prozent des üblichen Lohns. Ist die Versicherung leistungspflichtig, wovon Winter fest überzeugt ist, bekommen sie 100 Prozent Lohnausgleich von der Württembergischen. „Außerdem darf man ja nicht vergessen: Die Versicherung bezahlt höchstens für 30 Tage Betriebsschließung. Bestimmte Fördermittel vom Staat sind aber als Liquiditätshilfen für einen Zeitraum von mehreren Monaten gedacht.“Das eine mit dem anderen komplett aufzurechnen, sei schon deshalb nicht stichhaltig und eine Milchmädchenrechnung.
Der Bitte der „Schwäbischen Zeitung“um eine Stellungnahme kommt die Württembergische Versicherung schriftlich nach. Die Betriebsschließungsversicherung beziehe sich zwar auf behördliche Betriebsschließungen vor dem Hintergrund des Infektionsschutzes. Aber: „Hier gilt: Die Württembergische Versicherung leistet Entschädigung, wenn die zuständige Gesundheitsbehörde aufgrund der in den Bedingungen genannten Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte schließt und wenn die auslösende Krankheit oder der auslösende Krankheitserreger in den Bedingungen namentlich aufgeführt ist. Das Coronavirus 2019-nCov ist dabei, wie Sie den von Ihnen erwähnten ,Zusatzbedingungen’ entnehmen können, nicht namentlich genannt.“Dass die Gesundheitsbehörden das Virus im Februar zur meldepflichtigen Krankheit im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes erklärt haben, spielt für die Württembergische dabei keine Rolle. Die von ihr angebotene „unbürokratische Entschädigungsquote von bis zu 15 Prozent“sei ein Zeichen der „Solidarität mit den Kunden in ihrer schwierigen Situation“.
Der Kasseler Fachanwalt für Versicherungsrecht, Stephan Schmid, von den Winters beauftragt, sich ihres Falles anzunehmen, muss bei dieser Aussage doch deutlich die Stirn runzeln und sagt: „Die Versicherer wissen ganz genau, dass sie sich hier auf dünnem Eis bewegen. Sie sehen ein erhebliches Prozessrisiko – darum versuchen sie, sich aktiv mit 15 Prozent der Versicherungssumme herauszukaufen.“Natürlich gebe es unterschiedliche Versicherungsbedingungen. Jene von Klaus Winter hält er aber für eindeutig und verweist auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH). Der entscheide tendenziell verbraucherfreundlich und setze voraus, dass Verträge mit gesundem Menschenverstand erfasst werden könnten. „Ein Vertrag, der eine Betriebsschließung wegen der Gefahr eines Infektionsrisikos versichert, gehört unbedingt dazu – auch wenn der Erreger noch gar nicht bekannt war“, glaubt Schmid.
Die Winters – die mehrfach betonen, bislang immer zufrieden mit ihrem Versicherer gewesen zu sein, und bei der Württembergischen seit 35 Jahren praktisch sämtliche Verträge privat und geschäftlich abgeschlossen haben – sind enttäuscht und ärgern sich besonders „über das SamariterGetue“. „Wenn die Versicherung wirklich fair wäre, würde sie die zehn bis 15 Prozent erst mal ohne Bedingungen zahlen und darauf verweisen, dass endgültig abgerechnet wird, wenn Gerichte im Grundsatz entschieden haben.“Wer das Vergleichsangebot annimmt, muss aber auf sämtliche Ansprüche – auch für zukünftige CoronaAusbrüche – verzichten.
Dass die Versicherungsbranche wegen der Policen ernsthaft ins Wanken kommen könnte, wenn sie alle Ansprüche voll bezahlen müsste, glauben weder die Winters noch Fachanwalt Schmid: „Versicherungen kalkulieren ihre Tarife nach dem möglichen Risiko. Wenn der Versicherungsfall eintritt, dann mag das zwar unangenehm sein für die Versicherung – aber es ist ganz sicher nicht das Problem des Kunden.“Der Dehoga Bayern schätzt, dass in Bayern etwa 25 Prozent der Gastronomen eine Versicherung dieser Art haben, deutschlandweit etwa 20 Prozent. Vor dem Hintergrund, dass diese Versicherungen grundsätzlich nur für Schließungen bis maximal 30 Tage zahlen, werden Gesellschaften, die außerdem wiederum rückversichert sind, nicht in Schwierigkeiten kommen, glaubt Schmid.
Klaus Winter mag Vögel. Und er freut sich über jedes Wildtier, das sich seiner Restaurantterrasse nähert. Doch das Grundrauschen von Menschen, die bei ihm essen und trinken und nebenan auf dem Campingplatz ihren Spaß haben, ist ihm noch etwas lieber. Und eigentlich hat er gar keine Lust, sich mit seiner Versicherung zu streiten, die sich ihm stets als „Fels in der Brandung“empfohlen hat und die er, jetzt, wo es darauf ankommt, so wahrnimmt: „Als Kiesel in der Pfütze.“