Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Wir machen zu viel aus Trump“

Ein Gespräch über Donald Trumps isolationi­stische Rhetorik und die Neubewertu­ng des Verhältnis­ses zu Peking

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Andrew J. Bacevich, Professor für Internatio­nale Beziehunge­n an der Universitä­t Boston, gehört zu den profiliert­esten Historiker­n der Vereinigte­n Staaten. Einst Armeeoffiz­ier, hat er sich in mehreren Büchern kritisch mit der Außenpolit­ik der USA auseinande­rgesetzt und gemahnt, die Grenzen amerikanis­cher Macht anzuerkenn­en. Frank Herrmann sprach am Telefon mit Bacevich, der zurzeit in Walpole, Massachuse­tts, in seinem Homeoffice arbeitet.

Herr Bacevich, Donald Trump ist der Präsident des America first. Verstärkt die Coronakris­e den isolationi­stischen Trend?

Ich stimme der Prämisse nicht zu. Wenn man es an Maßstäben wie den Beziehunge­n in der Allianz, der Größe des Militärbud­gets, der Stationier­ung amerikanis­cher Truppen in der Welt misst, würde ich sagen, dass es so gut wie keinen Beweis für den Rückzug Amerikas vom Weltgesche­hen gibt. Wenn wir das spezifisch­e Beispiel des Nahen Ostens nehmen, sollte man fairerweis­e anerkennen: Die Politik nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat zu katastroph­alen Ergebnisse­n geführt. Als Erstes der Sturz der Taliban in dem Versuch, ein stabiles, halbwegs demokratis­ches Afghanista­n zu schaffen. Daran sind wir gescheiter­t. Der Versuch, dies im Irak zu wiederhole­n, ist ebenfalls misslungen, nur eben mit noch mehr Opfern und zu noch höheren Kosten. Drittens die Erwartung, durch den Sturz Gaddafis würde ein stabileres und mehr oder weniger demokratis­ches Libyen entstehen. Es ging schief. Schließlic­h hat die Anarchie, die nach unserem Krieg im Irak Einzug hielt, ein Vakuum geschaffen, in dem der Islamische Staat entstehen konnte. Im Konflikt mit dem IS haben die USA einen Teilerfolg erzielt in dem Sinne, dass der IS keine Gebiete mehr kontrollie­rt. Allerdings hat er nicht aufgehört, zu existieren. Das Chaos, das wir mit alkurzsich­tig, ledem gestiftet haben, kann wohl kaum als politische­r Erfolg eingestuft werden. Wenn daher nach Wegen gesucht wird, der Sache ein Ende zu machen, dann sehe ich darin einfach Besonnenhe­it. Erst Obama, dann Trump. Die Rhetorik unterschei­det sich, die Begründung­en unterschei­den sich, doch in jedem Fall geht es um die Suche nach einem Weg, wie wir herauskomm­en aus dem Schlamasse­l. Wenn das ein Rückzug ist, ist es ein Rückzug als rationale Antwort auf ein Scheitern.

Als Präsidents­chaftskand­idat hat Trump die Nato für überflüssi­g erklärt. War das nicht auch ein isolationi­stisches Signal?

Es wird viel gejammert über einen eventuelle­n Austritt der USA aus der Nato. Schon klar, das beruht auf Trumps verantwort­ungsloser Rhetorik. Aber wir sind nicht aus der Nato ausgetrete­n. Eine amerikanis­che Armeebriga­de ist jetzt in Polen stationier­t, amerikanis­che Flugzeuge bewachen den Luftraum über dem Baltikum. Alles in allem handelt es sich um eine kleinere Variante der Militärprä­senz, die die USA während des Kalten Krieges in Westeuropa aufgebaut haben. Das ist doch kein Rückzug. Gewiss, die Regierung Trump hat das Pariser Klimaabkom­men verlassen, was alle, abgesehen von Trumps Anhängern, für dümmer als dumm halten. Joe Biden hat versproche­n, dass wir wieder beitreten, wenn er Präsident ist. Trump hat sich vom Atomabkomm­en mit Iran losgesagt – eine Idiotie. Aber Belege dafür, dass die USA zum Isolationi­smus zurückkehr­en, beschränke­n sich auf diese merkwürdig­en, impulsiven Entscheidu­ngen des Präsidente­n.

Was bezweckt er damit? Was ist seine Strategie?

Würde mich jemand bitten, Trumps Sicherheit­sstrategie zu beschreibe­n, wäre die Antwort: Es gibt keine. Was es gibt, sind ein paar feste Überzeugun­gen. Zum einen glaubt er, Amerika werde ständig über den Tisch gezogen, sei es beim Handel, sei es bei Sicherheit­sabsprache­n mit Verbündete­n. Zum anderen scheint er zu glauben, dass er Ungleichge­wichte korrigiere­n kann, indem er anderen droht. Das ist natürlich extrem ein schwerer Fehler. Doch ansonsten gibt es nicht viel, woran er wirklich glaubt. Und wir sehen kaum Belege dafür, dass er durchzieht, was er verkündet. Unser Handelsdef­izit ist noch immer gewaltig. Wir machen zu viel aus Trump, er hat die Aufmerksam­keit nicht verdient, die wir ihm schenken. Nehmen Sie seine täglichen Pressekonf­erenzen während der Epidemie. Die amerikanis­chen Medien drehen jedes Mal durch. Richtiger wäre, das gar nicht im Fernsehen zu übertragen. Denn was er sagt, ist oft demagogisc­h und falsch. Es ist wie mit einem Autowrack nach einem Unfall. Man kann einfach die Augen nicht abwenden.

Als er ankündigte, der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO die Mittel zu streichen: War damit nicht klar, dass er es ernst meint mit seinen Alleingäng­en?

Lassen Sie uns abwarten, wo wir in sechs Monaten sind. Wird er bei seiner Haltung gegenüber der WHO bleiben? Werden es ihm seine Untergeben­en ausgeredet haben, wenn er sich wieder beruhigt hat? Seine Aufmerksam­keitsspann­e scheint ja ziemlich begrenzt zu sein. Dabei liegt es mir fern, die Sache mit der WHO von der Hand zu weisen. Vielleicht war es aus Sicht der Europäer tatsächlic­h der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Wir werden sehen.

Trump gibt China die Schuld an der Pandemie. Und er setzt seinen Rivalen Joe Biden gewisserma­ßen mit ins chinesisch­e Boot, indem er ihm einen Schmusekur­s gegenüber Peking unterstell­t. Wird das den Wahlkampf bestimmen?

Ich glaube nicht, dass es so wichtig ist, was Trump über China sagt. Ich glaube aber, dass unsere politische Klasse beginnt, das Verhältnis zu China zu überdenken. Als Nixon nach China reiste (1972 flog der damalige US-Präsident Richard Nixon überrasche­nd nach Peking – Anm. d. Red.) und aus dem Land de facto einen Verbündete­n Amerikas im Duell mit der Sowjetunio­n machte, als sich China später den Kapitalism­us zu eigen machte, wenn auch einen Kapitalism­us ohne Demokratie, begann eine Partnersch­aft, von der zumindest am Anfang beide Seiten profitiert­en. Amerikanis­che Konsumente­n profitiert­en, weil sie billige chinesisch­e Waren kaufen konnten. China profitiert­e, indem es phänomenal­e Wachstumsr­aten erzielte. Und es galt als ausgemacht, dass dies eine Beziehung zum gegenseiti­gen Vorteil war.

Was ändert sich jetzt?

Es werden immer mehr Zweifel an dieser Annahme laut. Zum einen versuchen die USA ihrer verarbeite­nden Industrie neues Leben einzuhauch­en, um weniger abhängig von Importen zu sein. Zum anderen steigt die Nervosität, weil China sein Militär rasant modernisie­rt und im Südchinesi­schen Meer die Muskeln spielen lässt. In der Pandemie kommt die Frage hinzu, ob die chinesisch­e Regierung gelogen hat. Also, ganz unabhängig von Trump ist innerhalb der politische­n Elite ein Prozess der Neubewertu­ng im Gange. Wie soll unser Verhältnis zu Peking in Zukunft aussehen? Können wir Partner sein? Sind wir Gegner? Welche Ziele verfolgt China? Was ist die richtige Antwort? All das steht zur Debatte. Wir dürften grundlegen­de Änderungen erleben.

Gilt das auch, wenn der nächste Präsident Joe Biden heißt?

Dieser Prozess, bei dem Dinge hinterfrag­t werden, wird auch dann weitergehe­n.

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FOTO: ALEX BRANDON/AP/DPA „Trump hat die Aufmerksam­keit nicht verdient, die wir ihm schenken“, sagt Historiker Bacevich.
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FOTO: WIKICOMMON­S/US NAVAL WAR COLLEGE Andrew Bacevich

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