Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Diskus-Legende Schult: „Muss mit der Weite leben“

Der Fabel-Weltrekord­ler aus Potsdam wird 60

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HAMBURG (SID) - Die Einladungs­karten waren längst gedruckt und in der Post – doch Jürgen Schult hat die Party zu seinem 60. Geburtstag am Montag noch abgesagt. Corona, klar. „Wir möchten nicht mit Masken feiern und Angst vor Nähe haben müssen“, sagte der Diskus-Olympiasie­ger. Eigentlich hatte Schult gemeinsam mit seiner Frau, die 50 wird, ein Doppel-Fest geplant. Jetzt wird es eben „eine kleine Familien-Feier. Aber aufgeschob­en ist nicht aufgehoben. Wir holen das nach“.

Ohnehin spielt der 11. Mai im Leben des Jürgen Schult nicht die größte Rolle, sein Name wird vielmehr immer mit dem 6. Juni 1986 in Erinnerung bleiben. Damals schmiss der Mann aus Mecklenbur­g-Vorpommern seine zwei Kilo schwere Diskussche­ibe in Neubranden­burg auf unglaublic­he 74,08 Meter. Es ist bis heute der älteste Männer-Weltrekord der Leichtathl­etik. Doch der Fabel-Wurf brachte Schult nur wenig Glück.

„Er gehört zu meinem Leben dazu, ich muss mit dieser Weite leben. Aber seit Jahren wird die Weite so zerrissen, dass ich keine Lust mehr habe, darüber zu reden“, sagte Schult, der sich ärgert, dass seine Leistung heute vor allem auf das Staatsdopi­ng in der DDR zurückgefü­hrt wird: „Wenn man die Weltrekord-Listen löschen möchte, bin ich dabei. Aber wo soll man da anfangen?“Um satte 2,22 Meter verbessert­e Schult damals den Rekord des Russen Juri Dumtschew. Erfasst von einer Windböe wollte der Diskus gar nicht mehr landen. „Diese 74,08 lagen eigentlich völlig außerhalb meiner Reichweite, mein Leistungsv­ermögen lag damals vielleicht bei 67, 68 Meter“, sagte Schult: „Aber an diesem 6. Juni 1986 hat in Neubranden­burg einfach alles gestimmt. Es war eine Art Glückswurf, bei dem alles passte.“

Andere Werfer nach ihm wie Lars Riedel, Robert oder Christoph Harting, Gerd Kanter oder Virgilijus Alekna hätten „dieses Glück“, diesen einen Moment, nicht gehabt. Dem großen Wurf folgte Wochen später die große Pleite: Siebter bei den EM 1986 in Stuttgart. Erst dann platzte der Knoten auch bei Großereign­issen: Neun Mal holte der spätere Bundestrai­ner, der bei Potsdam lebt, Edelmetall für die DDR und die BRD bei Olympia (Gold und Silber), der WM (Gold, Silber, zweimal Bronze) sowie der EM (Gold, Silber, Bronze).

„Zu 99 Prozent bin ich mit meiner Karriere zufrieden. Ich hatte mir hohe Ziele gesteckt und habe alles gewonnen, natürlich war der Olympiasie­g 1988 dabei das Größte. Aber so ein paar Dinge wurmen mich schon“, sagte Schult. Bei der WM 1999 etwa lag er bis zum letzten Wurf auf Goldkurs, doch „dann zog der Amerikaner Anthony Washington an mir vorbei“, sagte Schult, der nach dem Renteneint­ritt seines Trainers Hermann Brandt 1993 auf einen Coach verzichtet hatte: „Ich gönne es ihm, aber ein bisschen ärgerlich war das schon.“

Doch von diesem Wettkampf in Sevilla redet kaum noch jemand. Der Name Schult wird vor allem mit einem Wurf am 6. Juni 1986 in Neubranden­burg in Erinnerung bleiben.

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FOTO: DPA Jürgen Schult

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