Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Rauswurf-Revolte gegen AfD-Chef Meuthen
Brandenburgs Landtagsfraktion hält zum geschassten Rechtsaußen Kalbitz – Die Bundesspitze wackelt
GBERLIN - Nach dem Parteiausschluss des brandenburgischen AfD-Landesund Parteichefs Andreas Kalbitz eskaliert der Flügelstreit in der Partei: Die Landtagsfraktion stellte sich am Montag hinter den Parteilosen. Bei einer Sondersitzung änderte sie mit 18 von 21 Stimmen eigens die Satzung, damit ihr bisheriger Chef im Landtag bleiben kann.
Damit revoltieren die Potsdamer offen gegen den knappen Beschluss des Bundesvorstands, der mit sieben zu fünf Stimmen fiel. Der hatte noch am Freitag auf Betreiben von Parteichef Jörg Meuthen mit knapper Mehrheit die Mitgliedschaft des Rechtsextremisten für nichtig erklärt. KalbitzUnterstützer drehten den Spieß nun um und griffen Meuthen an: Sie fordern einen Sonderparteitag, um ihm das Vertrauen zu entziehen.
Der Rückhalt für den 58-Jährigen, der seit 2015 an der Spitze der Partei steht, bröckelt. Bereits am Wochenende hatten sich führende AfDler wie Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel oder Meuthens Co-Vorsitzender Tino Chrupalla gegen den Kalbitz-Rauswurf gewendet. Weidels Mit-Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland lobte den Potsdamer Abgeordnetenaufstand am Montag als Ausdruck von Loyalität, „die ich für richtig halte, dass man nicht jemanden wie eine heiße Kartoffel fallen lässt, wenn etwas umstritten ist“.
Kalbitz ist in der AfD nicht irgendwer. Der Ex-Soldat gilt als strategischer Kopf des im April formal aufgelösten rechtsextremen „Flügels“der Partei. Dessen Frontmann, Thüringens Parteichef Björn Höcke, hatte Meuthen und Beatrix von Storch am Samstag den Rauswurf angelastet: „Wer die Argumente von Parteigegnern aufgreift und sie gegen Parteifreunde wendet, der begeht Verrat an der Partei“, sagte Höcke.
Er spielt damit auf Vorwürfe gegen Kalbitz an: Dessen Parteiausschluss wird mit fehlenden Angaben beim Eintritt begründet. So soll er die frühere Mitgliedschaft in der inzwischen verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“(HDJ) sowie bei den Republikanern verschwiegen haben. Ein Gutachten des Verfassungsschutzes geht davon aus, dass Kalbitz HDJ-Mitglied war. Er selbst bestreitet dies und will sich juristisch gegen den Rauswurf wehren.
Für den beurlaubten Kehler Hochschulprofessor Meuthen wäre der Verbleib von Kalbitz eine schwere Niederlage. Zwar betont der, dass der Entscheid von Potsdam „keine Kampfansage“an den Vorsitzenden sei. Doch die braucht es auch nicht mehr: Der von früheren Dauererfolgen zeitweise übertünchte ewige Richtungsstreit bricht angesichts sinkender Zustimmungsraten offen aus. Das Flüchtlingsthema scheint erschöpft. Und in der Coronakrise sucht die Partei noch eine Linie. Zudem macht die Prüfung durch den Verfassungsschutz Meuthen nervös.
Erst im April musste der in der AfD-Gründerzeit zum wirtschaftsliberalen Flügel gerechnete Parteichef einen Vorschlag zur Spaltung der Partei in einen „freiheitlich-konservativen“und „sozialpatriotischen“Teil zurücknehmen. Dass es zwischen Meuthen und den Rechten kriselt, wurde im Februar 2019 in Stuttgart klar, als er „rücksichtslose Radikale“kritisierte. Dabei hatte Meuthen jahrelang mit den Rechten paktiert, die deutschnationalen Kyffhäuser-Treffen besucht und sich programmatisch nicht festgelegt.
Das war auch eine Lehre aus dem Schicksal der Meuthen-Vorgänger in Bund und Ländern, die die gut organisierte AfD-Rechte herausgefordert hatten. 2015 musste Parteigründer Bernd Lucke gehen, 2017 scheiterte seine Nachfolgerin Frauke Petry am Versuch, den Rechtsaußen Höcke aus der Partei zu werfen.
Die Gräben zwischen den Lagern sind tief: Auf der einen Seite stehen vor allem westdeutsche „Gemäßigte“, die die AfD als konservativ-bürgerliche Kraft und möglichen CDUKoalitionspartner regierungsfähig machen wollen. Sie fürchten, dass Flügelianer wie Höcke und Kalbitz bürgerliche Stimmen kosten. Auf der anderen Seite verweisen deren Anhänger darauf, dass die AfD in Thüringen und Brandenburg nicht trotz, sondern wegen der völkischen Sprüche ihrer Anführer so stark ist. 2019 holten diese bei den Landtagswahlen fast jede vierte Stimme.
Meuthen und von Storch „wollen eine andere Partei“, warnte Höcke am Samstag per Video. Deutschland brauche eine „schwarz-rot-goldene FDP“aber ebenso wenig wie eine zweite „Werte-Union“. Er werde die „Spaltung und Zerstörung unserer Partei“nicht zulassen, drohte er.