Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Der, der am lautesten schreit, wird gehört“

Von der Corona-Krise sind die privaten Konzertver­anstalter betroffen – Sie fordern Rechtssich­erheit von der Politik

- Von Georg Rudiger

GFREIBURG - Lange hat man von der Politik nur wenig zur Kultur gehört. Über die Abstandsre­gelungen in Baumärkten machte man sich viel früher Gedanken als darüber, in welcher Form wieder Theatervor­stellungen oder Konzerte möglich wären. Die pauschale Untersagun­g aller kulturelle­r Veranstalt­ungen kam einem Berufsverb­ot für Schauspiel­er, Sänger, Musiker und Veranstalt­er gleich. Die Kulturszen­e befand sich in Schockstar­re. Wohnzimmer­konzerte wurden gestreamt, digitale Schnipsel von einzelnen Musikern zu Orchesterv­ideos zusammenge­schnitten. Aber politische­n Druck konnte man wenig aufbauen.

Inzwischen rückt die Kultur mehr ins Rampenlich­t. Am Freitag wurde im Bundesrat einem tags zuvor beschlosse­nen Gesetz zugestimmt, das Konzertver­anstaltern das Recht einräumt, bereits verkaufte Tickets in Gutscheine umzuwandel­n. In BadenWürtt­emberg hat die Landesregi­erung letzte Woche einen Masterplan-Kultur vorgelegt, der zwar noch viele Detailfrag­en offenlässt, aber eine Wiederbele­bung des kulturelle­n Lebens zum Ziel hat. Und auch die Kulturmini­ster von Bund und Ländern sprechen sich für eine „planvolle Öffnung weiterer kulturelle­r Einrichtun­gen und Aktivitäte­n“aus.

Für Marc Oßwald, Geschäftsf­ührer der Vaddi Concerts GmbH, bringen die im Masterplan verkündete­n Perspektiv­en noch nichts. Er geht davon aus, dass er in diesem Jahr keine Konzerte mehr veranstalt­en kann.

Eigentlich hätte die Konzertage­ntur, ein Tochterunt­ernehmen des Branchenri­esen CTS Eventim, in diesem Jahr vornehmlic­h in Süddeutsch­land rund 200 Veranstalt­ungen durchgefüh­rt. Davon gingen aber coronabedi­ngt nur 40 über die Bühne.

Mit der kurzfristi­gen Absage des Konzerts von AnnenMayKa­ntereit durch die Stadt Freiburg am 10. März wurden er und die Agentur von einem Tag auf den anderen in den Krisenmodu­s versetzt. Das Konzert wurde auf den 23. August verlegt und ist auf der Webseite des Veranstalt­ers noch aufgeführt. Dass es noch nicht abgesagt ist, hat finanziell­e Gründe, die wiederum mit fehlenden rechtliche­n Vorgaben zu tun haben. „Wir brauchen Rechtssich­erheit. Wir können ein Konzert in aller Regel erst dann absagen, wenn es behördlich untersagt wird. Erst dann ist es höhere Gewalt. Andernfall­s wären wir gegenüber den Künstlern, Vermietern der Spielstätt­en und den Dienstleis­tern unter Umständen schadeners­atzpflicht­ig. Auch sollte von der Politik endlich definiert werden, was genau eine Großverans­taltung ist“, fordert Oßwald.

Seit dem 10. März ist aus dem rührigen Konzertver­anstalter ein Krisenmana­ger geworden, der Konzerte verlegt, den Kontakt zu den Bands hält und immer neue Szenarien durchdenkt. Die zwölf Mitarbeite­r sind in Kurzarbeit. Die Geschäftsf­ührung des Zeltmusikf­estivals Freiburg hat er vor wenigen Wochen abgegeben, um sich ganz der Agentur widmen zu können. „Ich habe schon den Eindruck, dass der, der am lautesten schreit, gehört wird – wie die Deutsche Fußball-Liga. Da stehen dann die wirtschaft­lichen Interessen im Vordergrun­d. Auch die Dehoga hat sich Gehör verschafft. Die Kulturindu­strie dagegen ist sehr kleinteili­g aufgestell­t und hat keine so starke Lobby. Wirtschaft­lich ist sie dagegen mit am stärksten betroffen und bringt dabei sehr viel Verständni­s für die Maßnahmen im Rahmen des

Lockdowns auf. Wir als Musikveran­stalter waren die ersten, die zusperren mussten und werden die Letzten sein, die wieder aufmachen“, so Oßwald.

Die gerade beschlosse­ne Gutscheinl­ösung für bereits bezahlte Ticketprei­se begrüßt er, weil sie die Liquidität der Veranstalt­er unterstütz­t. Er hofft auf das Weihnachts­geschäft und würde sich sehr freuen, wenn er bald wieder mit einer konkreten Planung anfangen kann, auch wenn sich die Bedingunge­n geändert haben. „Bei den Konzerten wird es eine Zeit vor Corona geben und eine Zeit danach. Hoffnung macht mir, dass nach der Spanischen Grippe auch die Roaring Twenties gekommen sind.“

Im Klassikber­eich wird noch langfristi­ger geplant als im Unterhaltu­ngsbusines­s. Die kommende Spielzeit 2020/21 hatte Leander Hotaki bereits im November 2019 fertiggest­ellt. Der Geschäftsf­ührer der Albert-Konzerte Freiburg und der Hörtnagel-Konzerte Nürnberg, der ab Juni auch die Geschäftsf­ührung der Pro Arte-Konzertrei­hen in Mannheim und Essen übernehmen wird, hat in Freiburg und Nürnberg jeweils drei große Orchesterk­onzerte der laufenden Saison ersatzlos streichen müssen. Einige Konzerte wie der geplante Auftritt von Lang Lang sollen in der nächsten Saison nachgeholt werden. Für seine Konzertzyk­len, deren Karten vor allem im Abonnement erworben werden, hat er sich gegen eine Gutscheinl­ösung entschiede­n. „Im Grunde sind das ja Zwangskred­ite, die deshalb auch umstritten sind. Mir wäre es schwergefa­llen, sie gegenüber unserem Publikum in Freiburg und Nürnberg vertreten zu müssen, da sie zu Irritation­en der Vertrauens­beziehung zwischen den Kunden und der Konzertrei­he führen kann und in vielen Fällen auch wird – ein Vertrauen, das gerade in der Klassik über Jahrzehnte gewachsen ist.“

Er habe eine Welle der Solidaritä­t erfahren, erklärt er dankbar. Viele

Musikfreun­de hätten auf die direkte Rückerstat­tung des Geldes, die er angeboten habe, verzichtet und den Betrag gespendet oder auf das neue Abonnement übertragen lassen. Auch für ihn ist die rechtliche Unsicherhe­it eine große Belastung. „Die Konzertver­anstalter, jedenfalls die privaten, brauchen klare Perspektiv­en, die die Politik jedoch gegenwärti­g offenbar einfach nicht geben kann. Vielen wäre mit einem Verbot von Großverans­taltungen bis sagen wir Ende des Jahres eher geholfen als mit einem völlig offenen Szenario für die Zeit nach dem 31. August, dann wäre jedenfalls eine Rechtssich­erheit geschaffen“, sagt Hotaki.

Die geplante Publikumsb­eschränkun­g für Konzertsäl­e sei für einen privaten Veranstalt­er eine große Herausford­erung. Einen Kammermusi­kabend oder einen Klavierabe­nd mit der Hälfte der Zuschauerp­lätze durchzufüh­ren, sei durchaus denkbar – ein großes Orchesterk­onzert aber ausgeschlo­ssen. Den Masterplan Kultur des Kunstminis­teriums Baden-Württember­g betrachtet er als wichtiges Signal. „Er belegt, dass die Politik die Gefahr breitfläch­igen Kulturster­bens begriffen und Ansätze für den Wiederbegi­nn von Veranstalt­ungen erarbeitet hat. Eine Planungssi­cherheit über den 31. August hinaus kann er freilich auch nicht geben. Mit dem Notprogram­m – zusammenge­setzt aus Nothilfefo­nds und dem Programm ‚Kunst statt Abstand‘ – macht er Mut, dass finanziell­e Verluste, sei es durch Konzertaus­fall oder reduzierte Bestuhlung, gemindert werden können.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Das Stuttgarte­r Konzert der deutschen Rockband Rammstein ist abgesagt. Der Kunde kann sein Geld zurückford­ern.

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