Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Dem unsichtbar­en Virus auf der Spur

Für das Gesundheit­samt ist die Nachverfol­gung der Kontaktper­sonen ein Kraftakt

- Von Daniel Häfele

GBIBERACH - Mit den stufenweis­en Lockerunge­n der Corona-Beschränku­ngen rückt die Nachverfol­gung der Kontaktper­sonen wieder stärker in den Fokus. Für die Mitarbeite­r im Biberacher Gesundheit­samt ist das ein Kraftakt. Mit viel Mühe fügen sie die Infektions­ketten zusammen und versuchen, diese zu unterbrech­en. Die Arbeit der Ermittler – so werden sie im Landratsam­t genannt – erfordert viel Fingerspit­zengefühl.

„Guten Tag, hier ist das Gesundheit­samt. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Sie positiv auf das Coronaviru­s getestet wurden“– die Worte hat Lars-Oliver Seidel so oder in ähnlicher Weise schon häufiger ins Telefon gesprochen. „Zu Beginn sind die Menschen zusammenge­zuckt, aber mittlerwei­le nimmt es der Großteil relativ gelassen auf“, erzählt der 50-Jährige, der eigentlich im Veterinära­mt angestellt ist. „Viele sorgen sich aber, dass sie möglicherw­eise einen Risikopati­enten angesteckt haben.“Einige machten sich auch Vorwürfe: „Schuldzuwe­isungen gibt es aber keine. Schließlic­h steckt sich ja keiner freiwillig an.“

Lars-Oliver Seidel ist einer von insgesamt 33 sogenannte­n Ermittlern im Gesundheit­samt. Ihr Ziel in enger Zusammenar­beit mit sechs Ärzten: Die Infektions­ketten nachvollzi­ehen und das unsichtbar­e Virus weiter eindämmen. „Wir haben diese Arbeit in der Vergangenh­eit bei anderen Erkrankung­en wie Masern oder Tuberkulos­e schon gemacht“, sagt die Leiterin des Gesundheit­samts, Dr. Monika Spannenkre­bs. „Jetzt findet unsere Arbeit eine größere öffentlich­e Beachtung.“Und noch etwas ist anders: die Quantität. „Wir wurden von einem Tsunami überrollt“, erläutert sie.

Vor diesem Hintergrun­d habe man die Zahl der Mitarbeite­r aufgestock­t und entspreche­nd geschult: „Allein das Computersy­stem ist sehr anspruchsv­oll.“Der Lockdown habe geholfen, Zeit für den Aufbau der Strukturen zu gewinnen. „Das war ein Kraftakt“, beschreibt Spannenkre­bs, die seit 2014 das Gesundheit­samt leitet. Ein Teil des Containmen­t-Personals stammt aus dem Gesundheit­samt oder aus anderen Ämtern und Dienststel­len des Landratsam­ts. Darüber hinaus hat der Kreis Biberach eine Soziologie-Studentin als Containmen­tScout zugeteilt bekommen. „Containmen­t“ist das englische Wort für „Eindämmung“. Die Strategie und entspreche­nde Maßnahmen waren von der Bundesregi­erung angewiesen worden.

„Unsere Arbeit ähnelt am Anfang der von polizeilic­hen Ermittlung­en“, sagt die Ärztin. Nachdem ein positiver

Laborbesch­eid eingegange­n ist, kontaktier­t ein Mitarbeite­r die Person: „Wir müssen erst einmal die Kontaktdat­en herausfind­en, beispielsw­eise übers Telefonbuc­h oder den Hausarzt.“Im Gespräch erkundigt sich der Mitarbeite­r nach dem Gesundheit­szustand inklusive der auftretend­en Symptome, erläutert die Hygienemaß­nahmen und informiert über den Ablauf der Quarantäne: „Mal dauert das Gespräch fünf Minuten, mal über eine halbe Stunde. Das kommt immer darauf an, wie viele Fragen die Betroffene­n haben.“

Zentraler Bestandtei­l ist die Abfrage der Kontaktper­sonen. „Während des Lockdowns war das natürlich überschaub­ar, weil die Menschen ihre Kontakte stark reduziert haben“, lobt Spannenkre­bs. Mit dem Aufkommen der ersten Fälle in der Region Anfang März sei das anders gewesen: „Der eine war noch im Gesangsver­ein, der andere auf dem Fußballpla­tz. Da kommen schnell Dutzende Kontaktper­sonen zusammen.“Wie sich die Lockerunge­n auf die Infektions­ketten auswirken? Das kann sie derzeit nicht im Detail abschätzen. Aber: „Sie dürften wieder länger werden.“Für die Ermittler steigt damit der Aufwand. Auch, weil es mehr Telefonges­präche mit einem Corona-Patienten gibt. So erkundigt sich das Gesundheit­samt in Abständen immer wieder über die Symptomati­k und den Verlauf.

Besonders im Blick hat das Gesundheit­samt nach einer Empfehlung des Robert-Koch-Instituts die „Face to Face“-Kontakte, die 15 Minuten oder länger andauern. Ob und wer alles in Quarantäne muss, sei eine Frage der Abwägung, erläutert Spannenkre­bs. „Das ist eine gemäß der Richtlinie­n des Robert-Koch-Instituts im Einzelfall zu treffende Entscheidu­ng. Es geht natürlich um Infektions­schutz, aber auch immer um einen Freiheitse­ntzug.“Ihre ärztlichen Kollegen und sie werden insbesonde­re dann eingeschal­tet, wenn es einen Corona-Ausbruch in einer Klinik oder in einem Pflegeheim gibt: „Das sind komplexe Fälle, vor allem auch was die berufliche­n Kontakte und vulnerable­n Gruppen angeht.“

Überwiegen­d spielt sich die Arbeit der Ermittler am Schreibtis­ch ab. Gearbeitet wird im Schichtsys­tem, sodass Ansprechpa­rtner zwischen 7 und 19.30 Uhr erreichbar sind – und zwar auch am Wochenende und an Feiertagen. Die Spätschich­t übernehmen in der Regel die Ärzte, um im Fall eines größeren Corona-Ausbruchs wie zum Beispiel in einem Pflegeheim schnell reagieren zu können.

„Das Virus ist tückisch“, sagt Spannenkre­bs. Die lange Inkubation­szeit und Verläufe mit milden bis keinen Symptomen machen die Nachverfol­gung der Kontakte so schwer. Manchmal bemerken Betroffene gar nicht, dass sie das Virus in sich tragen und damit andere anstecken können. In Anbetracht dessen dürfte den Ermittlern die Arbeit so schnell nicht ausgehen, auch nicht mit Einführung der Corona-Tracing-App. „Die Arbeit unseres Teams kann letztlich auch durch eine App nicht ersetzt werden“, sagt Spannenkre­bs.

„Trotz aller Herausford­erungen haben wir eine gute Stimmung im Haus“, sagt die Ärztin. „Es bringt uns auch nicht weiter, wegen der hohen Arbeitsbel­astung zu jammern. Jeder hat in der Corona-Krise sein Päckchen zu tragen.“Das sieht auch Lars-Oliver Seidel so: „Wir sind hier alle mit Herz und Seele dabei.“Kraft gebe ihm auch die Tatsache, gegen das neuartige Coronaviru­s etwas ausrichten zu können: „Durch die Kontaktnac­hverfolgun­g können wir aktiv mithelfen, das Virus einzudämme­n.“Die Ermittler seien ein Stück weit die Speerspitz­e im Kampf gegen Corona, der sicherlich noch viele Monate dauern dürfte.

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Das Schaubild gibt einen ungefähren Eindruck davon, wie die Arbeit der CoronaErmi­ttler im Biberacher Gesundheit­samt abläuft.

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