Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Agrarminister verteidigt Behörden in Schlachthof-Skandal
Rund 400 Corona-Infizierte in Pforzheimer Schlachthof – SPD und FDP werfen Hauk Untätigkeit vor
GSTUTTGART - Fragwürdige Arbeitsbedingungen, zu wenige Kontrollen, möglichst billiges Fleisch für den Kunden: Die Corona-Krise hat die Probleme der Fleischbranche aufgezeigt. Weil sich seit April fast 400 Mitarbeiter eines Schlachthofs in Pforzheim mit dem Virus infiziert hatten, stand Agrarminister Peter Hauk (CDU) am Dienstag in Stuttgart Rede und Antwort. Was jetzt passieren muss und warum es Streit um den richtigen Kurs gibt:
Die Firma Müller Fleisch betreibt den Schlachthof in Pforzheim, ebenso wie einen weiteren in Ulm. Die gesamte Branche setzt Mitarbeiter vor allem aus Osteuropa ein, Deutsche finden sich für die schlecht bezahlten Jobs kaum. Die Vertragsarbeiter werden von Subunternehmern angeheuert. In Pforzheim lebten viele in beengten Gemeinschaftsunterkünften – laut „Spiegel“zum Beispiel 16 Personen auf 117 Quadratmetern. Deshalb und wohl auch wegen nicht eingehaltener Mindestabstände im Betrieb steckten sich viele der rumänischen Mitarbeiter des Schlachthofs gegenseitig mit dem Virus an – knapp 400 von 1100. Laut Hauk sei niemand schwer erkrankt, aktuell gebe es noch 17 Patienten. Sein Fazit: „Sowohl das Unternehmen als auch die Behörden vor Ort haben rechtskonform gehandelt.“Damit ist eines der Probleme benannt: Anders als andere Bundesländer hat BadenWürttemberg keine Vorgaben für die Unterbringung der Arbeiter.
Allerdings fehlt es nicht nur an Vorschriften. Auch wenn diese existieren, zeichnen unterschiedliche Behörden für die Kontrollen verantwortlich. Auf Hygiene und Tierwohl schauen Beamte der Kreise im Auftrag des Agrarministeriums, den Arbeitsschutz verantwortet das Wirtschaftsministerium, das Gesundheitsministerium hat die CoronaAuflagen im Blick.
Überall mangelt es an Kontrolleuren. Im Bereich Arbeitsschutz sinkt die Zahl der Betriebsbesuche seit
Jahren. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hatte mehr als 110 neue Posten dafür beantragt, drang aber damit nicht durch. „Die Vorkommnisse in den Schlachthöfen sind besorgniserregend und zeigen deutlich, wie wichtig eine effektive Arbeitsschutzverwaltung für die Sicherheit und Gesundheit der Menschen in unserem Land ist. Die Arbeitsschutzverwaltung in BadenWürttemberg ist über alle Verwaltungsebenen hinweg personell nur unzureichend ausgestattet“, sagte die Ministerin am Dienstag. Deswegen werde sie weiter für die zusätzlichen Stellen kämpfen.
Seit 2018 schuf das Land dagegen 80 neue Posten in der Veterinärverwaltung. Damit reagiert GrünSchwarz unter anderem auf Skandale wie jenen im Alb-Donau-Kreis, wo Schweine unter erbärmlichen Bedingungen vor sich hin vegetierten. Es fehlten Amtstierärzte für regelmäßige Kontrollbesuche auf Höfen, aber auch bei den Schlachtbetreibern.
Die Bundesregierung will wegen der Missstände in der Fleischbranche Werkverträge für Schlachthöfe verbieten. Die Betriebe sollen die Mitarbeiter direkt beschäftigen. Damit gelten für sie strengere Vorgaben. Hauk hält diesen Weg anders als viele CDU-Parteifreunde für falsch. Man nehme den Firmen und den Angestellten die nötige Flexibilität. Das
Problem liege anderswo: Deutsche Kunden zahlten zu wenig für Fleisch. Dieses müsse also möglichst billig produziert werden. „Entscheidend ist, dass wir die regionale Produktion stärken. Wir müssen deutlich machen: Hier wird Fleisch nach unseren Regeln für Arbeitsschutz und Tierwohl produziert. Für dieses ethisch verantwortbare Produkt lohnt es sich, mehr Geld in die Hand zu nehmen“, so Hauk.
Doch der Minister bekommt selbst vom Regierungspartner Gegenwind. Alexander Schoch (Grüne) monierte, grundsätzlich seien die niedrigen Preise Ergebnis einer falschen Agrarpolitik, die Masse subventioniere statt hochwertige, verantwortlich erzeugte Lebensmittel.
SPD-Politiker Jonas Weber kritisierte, dass sich die Minister gegenseitig die Verantwortung zuschöben, statt einzuschreiten. „Es ist schon spannend, wenn die obersten Landesbehörden sich nicht zuständig fühlen – immerhin war es der erste und größte Corona-Ausbruch in einem Schlachthof in Deutschland“, sagte Weber. Das betonte auch FDPAgrarexperte Klaus Hoher: „Der Minister hat alles darangesetzt, die Verantwortung von sich zu weisen und an den Sozial- oder die Wirtschaftsministerin zu verweisen. An einer Lösung der Probleme ist er ganz offensichtlich nicht interessiert.“