Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Das Geheimnis des Coronavirus lüften
Ulmer Forscher wollen verstehen, warum die Infektionen ganz verschieden verlaufen
GULM - Die Auswirkungen einer Infektion durch das neue Coronavirus Sars-CoV-2 reichen von vollständiger Abwesenheit von Symptomen bis hin zu lebensbedrohlichen Lungenerkrankungen – manchmal mit Todesfolge. So sehr unterschiedlich (und bisher nicht zu erklären) fallen diese Reaktionen aus, dass sich Ulmer Forscher fragen: „Was sind die Ursachen für den unterschiedlichen Verlauf der Infektion mit diesem neuartigen Virus?“
Am Institut für Molekulare Virologie der Ulmer Universitätsmedizin will ein Team unter der Leitung von Institutsdirektor Professor Frank Kirchhoff im Projekt „Immunaktivierung und Hemmung von Sars-CoV-2“(Restrict Sars-CoV-2) in den nächsten 18 Monaten Antworten finden, um das Zusammenspiel verschiedener Coronaviren mit der körpereigenen Immunreaktion besser zu verstehen. Die Erkenntnisse aus dem Projekt könnten zur Entwicklung wirksamer Immuntherapien gegen Sars-Coronaviren beitragen.
Wenn Professor Kirchhoff das neue Forschungsprojekt vorstellt, für das er beim Bundesministerium für Bildung und Forschung 542 000 Euro eingeworben hat, erklärt er zunächst die beste Reaktion des Körpers: „Das Virus löst eine starke Immunreaktion aus, die dazu führt, dass der Erreger schnell und effektiv kontrolliert wird und der Infizierte rasch gesund wird.“
Auch das andere Extrem führt möglicherweise nur zu schwachen Krankheitssymptomen: „Wenn das Virus keine oder nur eine sehr schwache Immunantwort hervorruft, werden keine Interferone ausgeschüttet, also Proteine, mit denen der Körper das Virus bekämpft, die jedoch auch Fieber oder Gliederschmerzen hervorrufen“, sagt Kirchhoff. „Vorläufige Untersuchungen deuten darauf hin, dass unter diesen Bedingungen das Virus zwar nicht wirksam kontrolliert wird, es jedoch auch kaum zu Krankheitssymptomen kommt.“
Beim Virus Sars-CoV-2 gibt es mitunter schwere Verläufe: „Bei einer zu langsamen und schwachen Immunreaktion gelingt es den Coronaviren, die Lunge und andere Organe zu infizieren“. Mit manchmal fatalen Folgen: „Der Körper reagiert, indem er später, aufgrund der hohen Viruslast, eine überschießende Abwehrreaktion entwickelt. Beim Infizierten kann dies dann zu schweren, mitunter tödlichen Krankheitsverläufen führen. Die Ursachen dieser unterschiedlichen Infektionsverläufe sind noch weitgehend unklar und Gegenstand intensiver Untersuchungen.“
Professor Frank Kirchhoff sagt: „Dementsprechend untersuchen wir sowohl die Fähigkeit von Coronaviren, die körpereigene Immunantwort zu manipulieren, als auch die Verteidigungsmechanismen der Zielzellen.“
Im Labor der Universitätsmedizin erforscht im ersten Schritt ein Team aus Biologen, Biochemikern und Molekularbiologen, welche Interferone – also jene Abwehrproteine – die stärkste antivirale Wirkung zeigen: „Zunächst werden humane Lungenkrebszellen in Nährstofflösung mit Interferonen stimuliert und anschließend mit Sars-CoV-2 infiziert.“Nach ein bis zwei Tagen wissen die Forscher, welches Interferon die Produktion neuer Viren am besten unterdrückt.
Erstes Projektziel ist ein tieferes Verständnis der biologischen Eigenschaften verschiedener Coronaviren. Welche Fähigkeiten ermöglichen es den Erregern, die antivirale Immunantwort ihres Wirts auszuschalten? Weshalb können einige Coronaviren die Artgrenze vom Tier zum Menschen überspringen? Zudem soll erforscht werden, inwiefern sich SarsCoV-2 im Verlauf der Pandemie an den Menschen anpasst.
Vor allem aber will die Gruppe herausfinden, ob sich die körpereigene Immunantwort soweit modulieren lässt, dass eine zuverlässige Kontrolle von Sars-CoV-2 gelingt. Kirchhoff erklärt: „Wir wollen wissen, welche Mechanismen dazu führen, dass Patienten so unterschiedlich reagieren: Nach aktuellem Kenntnisstand zeigen viele Infizierte keine Symptome, während insbesondere ältere und Menschen lebensbedrohlich erkranken können.“
„Wir wollen wissen, welche Mechanismen dazu führen, dass Patienten so unterschiedlich reagieren.“Professor Frank Kirchhoff
Außerdem beschäftigt sich ein weiteres Forscherteam mit der Übertragung des Virus. Im Mittelpunkt stehen dabei sogenannte Spike-Proteine, die aus der Oberfläche des Coronavirus herausragen und bei dessen Verbreitung eine Schlüsselrolle spielen. Die Forscher erhoffen sich bessere Einblicke und Ansatzpunkte für Therapien.
Die beiden neuen Forschungsvorhaben ergänzen das bereits am Ulmer Institut für Molekulare Virologie angesiedelte EU-Projekt Fight-nCoV, in dem antivirale Wirkstoffe gegen das neue Coronavirus erprobt werden.
Darüber hinaus gilt der LeibnizPreisträger Professor Frank Kirchhoff als führender Experte der HIV/AIDSPandemie. Dabei handelt es sich um die am besten erforschte Infektionskrankheit: Erkenntnisse zum Ursprung von HIV und zur Anpassung des Erregers an den Menschen sind auch für das Verständnis der Coronavirus-Pandemie relevant.