Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Genugtuung statt Reue

Angeklagte­r im Weizsäcker-Mordprozes­s gesteht

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BERLIN (dpa) - Bedauern? Schuldgefü­hle? Reue? Eher das Gegenteil wird deutlich, als der 57 Jahre alte Angeklagte vor dem Berliner Landgerich­t gesteht, den jüngsten Sohn des früheren Bundespräs­identen Richard von Weizsäcker erstochen zu haben. „Ich bin froh, dass er tot ist. Für mich war es notwendig“, liest der Mann aus Andernach in Rheinland-Pfalz sein Geständnis vor. Er bezeichnet sich selbst als Zwangsneur­otiker, Ex-Nazi und verkrachte Existenz.

Für seine Aussage darf der schmächtig­e Brillenträ­ger seine Panzerglas­box verlassen und zwischen seinen Anwälten Platz nehmen. Zuvor hat er den Fotografen bereitwill­ig sein Gesicht gezeigt. Fast im Plauderton schildert der einstige Packer in einem Logistikze­ntrum dann, wie er den Angriff auf den ihm persönlich unbekannte­n Mediziner plante. Wie er Fahrkarten nach Berlin und in Koblenz ein Messer kaufte. Dem mutmaßlich­en Mörder gegenüber sitzen die Schwester des Getöteten, Beatrice von Weizsäcker, sowie der Polizist, der bei der Attacke dazwischen ging und schwer verletzt wurde. Sie sind zwei der vier Nebenkläge­r.

Dem Angeklagte­n werden Mord sowie versuchter Mord an dem Polizisten zur Last gelegt. Fritz von Weizsäcker, Chefarzt für Innere Medizin an der Berliner Schlosspar­kklinik, wurde am Abend des 19. November 2019 – in deren Räumen, gegen Ende eines Vortrags – mit einem Stich in den Hals getötet. Der Mediziner starb noch am Tatort, er wurde 59 Jahre alt. Als Motiv nimmt die Staatsanwa­ltschaft Hass auf die Familie des Getöteten an, insbesonde­re auf den früheren Bundespräs­identen. Die Anklage geht von einer psychische­n Erkrankung bei der Tat aus.

„Nein, ich bereue nicht“, erklärte der Angeklagte am zweiten Prozesstag. Ein Anschlag auf die Familie sei sein „Lebensziel“gewesen. „Wenn ich nichts gemacht hätte, wäre ich eingegange­n.“Nachdem er 1991 einen Artikel über den Einsatz des Entlaubung­smittels „Agent Orange“im Vietnamkri­eg gelesen hatte, habe er sich als Deutscher schuldig gefühlt, so der 57-Jährige, der nie in Vietnam war. Aus seiner Sicht sei Richard von Weizsäcker (1920-2015) durch seine frühere Tätigkeit für das Pharmaunft Ingelheim ernehmen Boehringer mitverantw­ortlich für die Produktion von „Agent Orange“gewesen. „Weil ich nicht an den Bundespräs­identen kam, habe ich die Familie ins Visier genommen.“

Die Tat habe er sich, so der Angeklagte, viel komplizier­ter vorgestell­t; er habe sich gefragt, „ob ich das überhaupt hinkriege“. Er sei vom Berliner Hauptbahnh­of mit dem Bus zu dem Vortrag nach Charlotten­burg gefahren. Aus der letzten Zuhörerrei­he sei er dann einfach nach vorn gegangen und habe auf halber Strecke das Messer aus der Jacke gezogen. Erst habe er gar nicht gedacht, Fritz von Weizsäcker schwer getroffen zu haben, doch dann sei dieser zusammenge­sackt. „Ich wollte, dass es gelingt.“Der Polizist, der privat bei dem Vortrag war, habe ihn zu Boden gedrückt. Ihm habe er noch das Messer „durch die Hand gezogen“, heißt es im Geständnis. Der Angeklagte lässt das Gericht auch wissen, dass er seine derzeitige Unterbring­ung im Krankenhau­s des Maßregelvo­llzugs für falsch hält. Er stimmt aber nun einer psychiatri­schen Begutachtu­ng zu. Und: Ihm sei schon klar, „dass ich für den Rest des Lebens eingesperr­t werde“. Der Prozess wird am 4. Juni fortgesetz­t.

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