Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Operation ohne Narben

Für viele Eingriffe sind heutzutage gar keine großen Schnitte mehr erforderli­ch – Beispiel Gallenblas­e

- Von Sina Horsthemke

GMÜNCHEN - Die Öffnung, durch die sich das Endoskop in den Bauch schiebt, misst weniger als eineinhalb Zentimeter. Dicht am Nabel hat der Lübecker Chirurg Tobias Keck den Schnitt gesetzt. Eine winzige Lampe liefert grelles Licht – und die Hightech-Kamera an der Spitze des Endoskops macht sichtbar, was bisher im Verborgene­n lag: Darm, Magen und Leber, darunter die entzündete Gallenblas­e. Mit einem Skalpell verschafft sich Keck nun drei weitere Zugänge zum Schauplatz, keiner seiner Schnitte ist größer als fünf Millimeter. Als er eine halbe Stunde später die mit Steinen gefüllte Gallenblas­e in einem Plastikbeu­tel birgt und vorsichtig nach draußen zieht, verfolgt das OP-Team jeden Handgriff am Monitor.

3-D-Brillen im OP-Saal, Kameras im Bauch und winzige Hautschnit­te – solche minimalinv­asiven Eingriffe sind in der Bauchchiru­rgie Routine. „4-Trokar-Technik“heißt der Goldstanda­rd der Gallenblas­enoperatio­n, „nach dem wir fast immer operieren“, erzählt Keck, der als Direktor die Klinik für Chirurgie am Universitä­tsklinikum Schleswig-Holstein leitet. Etwa 200 Patienten lassen sich hier jedes Jahr die Gallenblas­e entfernen, selten sind dabei große Bauchschni­tte nötig. „Offen operieren wir nur noch, wenn die Bauchspieg­elung nicht genug Übersicht bietet“, so Chirurg Keck.

Gallenstei­ne bilden sich vor allem bei Frauen jenseits der 40. Mediziner fassen die Risikofakt­oren etwas uncharmant unter den „sechs Fs“zusammen: „female, fourty, fat, fertile, fair und family“, also weiblich, vierzig, übergewich­tig, mehrere Kinder, ein heller Hauttyp und erbliche Veranlagun­g. Die Gallenblas­e ist ein birnenförm­iges Organ, das acht bis zwölf Zentimeter lang und halb so breit ist. Es befindet sich an der Unterseite des rechten Leberlappe­ns und speichert den Gallensaft, der die Fettverdau­ung unterstütz­t. Täglich produziert die Leber etwa einen Liter davon. Gelangen fetthaltig­e Nahrung, Alkohol oder Kaffee vom Magen weiter in den Zwölffinge­rdarm, sendet dieser das Hormon Cholecysto­kinin aus, das ein Zusammenzi­ehen der Gallenblas­e bewirkt. So entleert sie sich über den Gallengang in den Darm. Gallensaft besteht aus Wasser, Salzen, Abfallprod­ukten der Leber, Cholesteri­n und Bilirubin. Das Abbauprodu­kt der roten Blutkörper­chen verleiht der Flüssigkei­t ihre goldgelbe bis grüne Farbe.

Bei Übergewich­t, einer ballaststo­ffarmen, zuckerreic­hen Ernährung, Bewegungsm­angel sowie Erkrankung­en wie Morbus Crohn oder Leberzirrh­ose gerät die Zusammense­tzung des Gallensaft­s aus dem Gleichgewi­cht. Es bilden sich kleine Kristalle, die mit der Zeit zu hühnereigr­oßen Brocken heranwachs­en können. Je nachdem, welcher Stoff kristallis­iert, entstehen unterschie­dliche Steine: Cholesteri­nsteine sind die häufigsten und haben die Farbe von Karamell, Bilirubins­teine sind rötlich bis schwarz gefärbt. Zu 25 Prozent bestimmen die Gene das Entstehen von Gallenstei­nen, 75 Prozent trägt der Lebensstil bei. Wer einem Gallenleid­en vorbeugen möchte, sollte wenig Zucker, viele Ballaststo­ffe, Omega-3-Fettsäuren und Vitamin C zu sich nehmen, Normalgewi­cht halten und radikale Diäten vermeiden. In Deutschlan­d hat schätzungs­weise jeder

Chirurg Tobias Keck sechste Erwachsene Gallenstei­ne. Verursache­n sie keine Beschwerde­n, muss nichts unternomme­n werden. Entzündet sich die Gallenblas­e jedoch, etwa weil Steine den Gallengang blockieren oder das ganze Organ ausfüllen, sodass dieses sich nicht mehr zusammenzi­ehen kann, ist eine Operation nötig.

„Etwa jeder vierte Patient mit Gallenstei­nen bekommt mit der Zeit Beschwerde­n“, erklärt Jürgen Weitz, ebenfalls Bauchchiru­rg und Direktor der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchiru­rgie der Technische­n Universitä­t Dresden. Was sich zunächst mit Völlegefüh­l und Druck im rechten Oberbauch bemerkbar macht, entwickelt sich mitunter zu schmerzhaf­ten Gallenkoli­ken, vor allem nach sehr fetthaltig­en Mahlzeiten. Zur Diagnose untersucht der Arzt den Bauch per Ultraschal­l oder einer Magenspieg­elung.

Vor einigen Jahren war es anerkannt, Gallenstei­ne mit Stoßwellen zu zertrümmer­n oder sie chemisch aufzulösen. „Das hat sich nicht bewährt“, so Weitz, „da die Auflösung lange dauert und sich bei den meisten wieder Steine bilden.“Die Entfernung der Gallenblas­e ist das Mittel der Wahl – zumal man ohne sie gut leben kann. „Früher hieß es, dass Patienten dann mit fettreiche­m Essen

Probleme bekämen“, erzählt der Lübecker Chirurg Keck. „Doch das ist nicht so. Die Leber produziert ja weiter Gallensaft, und eine Blase voller Steine trägt ohnehin nicht viel zur Fettverdau­ung bei.“

In Deutschlan­d entfernen Ärzte rund 200 000 Gallenblas­en jährlich. Patienten, denen sogar die winzigen Schnitte am Oberbauch zu viel sind, bieten sie Alternativ­en an: Bei der SILS-Technik führen die Operateure alle Geräte durch den Bauchnabel ein. „Wir machen das nur, wenn der Patient es aus kosmetisch­en Gründen ausdrückli­ch wünscht“, sagt Bauchchiru­rg Keck. Sein Dresdner Kollege Weitz sieht das ähnlich: „Bei SILS habe ich immer Sorge, dass später wegen des größeren Schnitts ein Narbenbruc­h entsteht.“Möchte eine Frau partout keine sichtbaren Narben davontrage­n, schlägt Klinikdire­ktor Weitz ihr eine transvagin­ale Operation vor. Dabei wird die Gallenblas­e durch die Scheide entfernt. „Das Risiko einer Wundheilun­gsstörung ist dabei gering, der Eingriff besonders schmerzfre­i, Geschlecht­sverkehr später gefahrlos möglich.“Egal, welche Technik die Ärzte bevorzugen: Länger als eine Stunde dauert der Eingriff nicht, und die meisten Patienten sind nach zwei Wochen Schonfrist wieder belastbar.

„Offen operieren wir nur noch, wenn die Bauchspieg­elung nicht genug Übersicht bietet.“

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FOTO: MANFRED WEIS/IMAGO IMAGES Die minimalinv­asive Chirurgie kommt mit winzigen Schnitten aus, die sehr gut verheilen und optisch kaum sichtbar sind.

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