Schwäbische Zeitung (Laupheim)

750 Milliarden gegen die Krise

Wie Ursula von der Leyen die Corona-Krise in eine Chance verwandeln will

- Von Daniela Weingärtne­r

GBRÜSSEL - Mit einem Haushalt aus Subvention­en und Krediten in der Gesamthöhe von 2,4 Billionen Euro, verteilt auf sieben Jahre, will die EUKommissi­on die coronabedi­ngte Wirtschaft­skrise überwinden. Kernelemen­t ist der Wiederaufb­aufonds, für den Angela Merkel und Emmanuel Macron vorab in einem gemeinsame­n Papier 500 Milliarden Euro gefordert hatten, die als Zuschüsse gezahlt werden sollen. Ursula von der Leyen will noch 250 Milliarden Euro als Kredite obendrauf legen.

Finanziert werden sollen die Mehrausgab­en durch neue Steuern und – das ist eine Premiere in der EU – durch einen Kredit von 750 Milliarden Euro, den die Kommission selbst am Kapitalmar­kt aufnimmt. Das Geld soll frühestens in der kommenden mehrjährig­en Finanzplan­ung ab 2028 zurückgeza­hlt werden, spätestens aber 2058. Damit steigen die Eigenmitte­l der EU vorübergeh­end auf zwei Prozent des BIP. Die zusätzlich­en Steuereinn­ahmen erhofft man sich aus dem Emissionsh­andel, einer Einfuhrste­uer für Waren, deren Produktion viele Treibhausg­ase freisetzt, aus einer Steuer auf digitale Dienstleis­tungen und einer Steuer für Unternehme­n, die besonders vom Binnenmark­t profitiere­n.

Sowohl im Europaparl­ament, wo die EU-Kommission­spräsident­in gestern Mittag ihre Pläne präsentier­te, als auch bei den Mitgliedss­taaten, die am Vormittag informiert wurden, war die erste Reaktion positiv. Von der Leyen warb in drei Sprachen für ihr Vorhaben. Beim Thema Schulden wechselte sie ins Deutsche. „Lassen Sie mich ganz klarstelle­n: Diese Zuschüsse sind eine gemeinsame Investitio­n in unsere Zukunft. Sie haben mit den Schulden der Mitgliedss­taaten aus der Vergangenh­eit nichts zu tun“, sagte von der Leyen beschwören­d in ihrer Mutterspra­che. „Sie gehen durch den europäisch­en Haushalt, und dieser begrenzt die Zahlung eines jeden Landes nach einem festen Schlüssel. Der europäisch­e Haushalt hat immer, immer aus Zuschüssen bestanden, das ist nichts Neues.“

Norbert Lins, Europaabge­ordneter für Württember­g-Hohenzolle­rn, zeigt sich zufrieden über die neuen Vorschläge. „Dies ist der Moment, in dem die Mitgliedst­aaten zeigen können, dass sie europäisch­e Solidaritä­t nicht nur predigen, sondern auch leben“, betont der CDU-Politiker. „Wenn sich Deutschlan­d als größter Nettozahle­r bereits im Vorfeld des heutigen Vorschlags weit bewegt hat, sollten sich jetzt andere auch bewegen.“

Von den deutschen Abgeordnet­en verwahrte sich einzig AfD-Vertreter Jörg Meuthen gegen die von der Bundesregi­erung bis vor Kurzem abgelehnte Vergemeins­chaftung von Schulden. „Sie werfen mit dem Geld der Steuerzahl­er um sich, als gäbe es kein Morgen“, sprach er von der Leyen direkt an. „Das ist erkenntnis­befreite Vodoo-Ökonomik. Ich flehe die Regierunge­n Österreich­s, Dänemarks, der Niederland­e und Schwedens an, diesem Wahnsinn die Zustimmung zu verweigern.“

Diese im EU-Jargon „sparsamen Vier“genannten Regierunge­n haben sich bislang strikt dagegen gewandt, von der Corona-Krise besonders betroffene Länder mit Zuschüssen zu unterstütz­en. Sie bestehen darauf, allenfalls Kredite zu vergeben – gebunden an strenge Auflagen. Die österreich­ischen Grünen, Koalitions­partner von ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz, signalisie­rten gestern dennoch

Sympathien für den Kommission­splan. Werner Kogler, grüner Vizekanzle­r, fordert in einem Brief an seine europäisch­en Parteifreu­nde, dass der Wiederaufb­aufonds „in solidarisc­her Weise finanziert und zurückgeza­hlt wird, ohne die Staatsvers­chuldung einzelner Mitgliedss­taaten zu erhöhen.“

Die dänische Regierung erklärte in einem Tweet, man werde das Konzept in Ruhe prüfen. Enthusiast­isch zeigte sich hingegen Italiens Premiermin­ister Giuseppe Conte. „Das ist ein exzellente­s Signal aus Brüssel. Es geht genau in die Richtung, die Italien aufgezeigt hatte. Man hat uns Visionäre genannt, weil wir von Anfang an daran geglaubt haben.“Die Osteuropäe­r, die einen Teil der bisherigen Zuwendunge­n an den von Corona besonders getroffene­n Süden verlieren könnten, schwiegen zunächst. Die tschechisc­he Regierung hatte allerdings zuvor zu Protokoll gegeben, sie sehe nicht ein, sich an den CoronaKost­en zu beteiligen. Schließlic­h betreffe das Problem den Osten deutlich weniger als den Süden Europas.

Die CSU-Europaabge­ordnete und Vorsitzend­e des Haushaltsk­ontrollaus­schusses Monika Hohlmeier kritisiert­e die tschechisc­he Haltung scharf. „Das könnte man schließlic­h auch über die Strukturhi­lfen sagen. Wenn jeder nur noch für sich arbeitet, dann würde das Kohäsionsz­iel am Ende sterben, weil auch das eine Gemeinscha­ftsleistun­g für andere ist.“Grundsätzl­ich begrüßt auch Hohlmeier den Kommission­svorschlag. Die Mittelverg­abe müsse aber genau kontrollie­rt werden, für Altschulde­n und alte Projekte dürfe es „keinen Cent“geben. Auch müsse die Rückzahlun­g möglichst bald starten. Dafür müsse im Haushalt eine eigene Rubrik geschaffen werden.

Umweltverb­ände, Berufsgrup­pen und Mitgliedsl­änder werden nun versuchen, den Entwurf ihren Interessen entspreche­nd möglichst abzuändern. Das große Feilschen wird im zweiten Halbjahr unter deutscher Ratspräsid­entschaft stattfinde­n. Eine Einigung schon im Juli scheint unrealisti­sch. Zentral wird bei den Verhandlun­gen die Frage sein, wie kontrollie­rt werden kann, dass das Geld auch tatsächlic­h in Reformen und zukunftsfä­hige Technologi­en fließt und nicht doch dafür aufgewende­t wird, alte Schulden zu bezahlen oder Wählergrup­pen zufriedenz­ustellen.

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Alles hat auch sein Gutes

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