Schwäbische Zeitung (Laupheim)
750 Milliarden gegen die Krise
Wie Ursula von der Leyen die Corona-Krise in eine Chance verwandeln will
GBRÜSSEL - Mit einem Haushalt aus Subventionen und Krediten in der Gesamthöhe von 2,4 Billionen Euro, verteilt auf sieben Jahre, will die EUKommission die coronabedingte Wirtschaftskrise überwinden. Kernelement ist der Wiederaufbaufonds, für den Angela Merkel und Emmanuel Macron vorab in einem gemeinsamen Papier 500 Milliarden Euro gefordert hatten, die als Zuschüsse gezahlt werden sollen. Ursula von der Leyen will noch 250 Milliarden Euro als Kredite obendrauf legen.
Finanziert werden sollen die Mehrausgaben durch neue Steuern und – das ist eine Premiere in der EU – durch einen Kredit von 750 Milliarden Euro, den die Kommission selbst am Kapitalmarkt aufnimmt. Das Geld soll frühestens in der kommenden mehrjährigen Finanzplanung ab 2028 zurückgezahlt werden, spätestens aber 2058. Damit steigen die Eigenmittel der EU vorübergehend auf zwei Prozent des BIP. Die zusätzlichen Steuereinnahmen erhofft man sich aus dem Emissionshandel, einer Einfuhrsteuer für Waren, deren Produktion viele Treibhausgase freisetzt, aus einer Steuer auf digitale Dienstleistungen und einer Steuer für Unternehmen, die besonders vom Binnenmarkt profitieren.
Sowohl im Europaparlament, wo die EU-Kommissionspräsidentin gestern Mittag ihre Pläne präsentierte, als auch bei den Mitgliedsstaaten, die am Vormittag informiert wurden, war die erste Reaktion positiv. Von der Leyen warb in drei Sprachen für ihr Vorhaben. Beim Thema Schulden wechselte sie ins Deutsche. „Lassen Sie mich ganz klarstellen: Diese Zuschüsse sind eine gemeinsame Investition in unsere Zukunft. Sie haben mit den Schulden der Mitgliedsstaaten aus der Vergangenheit nichts zu tun“, sagte von der Leyen beschwörend in ihrer Muttersprache. „Sie gehen durch den europäischen Haushalt, und dieser begrenzt die Zahlung eines jeden Landes nach einem festen Schlüssel. Der europäische Haushalt hat immer, immer aus Zuschüssen bestanden, das ist nichts Neues.“
Norbert Lins, Europaabgeordneter für Württemberg-Hohenzollern, zeigt sich zufrieden über die neuen Vorschläge. „Dies ist der Moment, in dem die Mitgliedstaaten zeigen können, dass sie europäische Solidarität nicht nur predigen, sondern auch leben“, betont der CDU-Politiker. „Wenn sich Deutschland als größter Nettozahler bereits im Vorfeld des heutigen Vorschlags weit bewegt hat, sollten sich jetzt andere auch bewegen.“
Von den deutschen Abgeordneten verwahrte sich einzig AfD-Vertreter Jörg Meuthen gegen die von der Bundesregierung bis vor Kurzem abgelehnte Vergemeinschaftung von Schulden. „Sie werfen mit dem Geld der Steuerzahler um sich, als gäbe es kein Morgen“, sprach er von der Leyen direkt an. „Das ist erkenntnisbefreite Vodoo-Ökonomik. Ich flehe die Regierungen Österreichs, Dänemarks, der Niederlande und Schwedens an, diesem Wahnsinn die Zustimmung zu verweigern.“
Diese im EU-Jargon „sparsamen Vier“genannten Regierungen haben sich bislang strikt dagegen gewandt, von der Corona-Krise besonders betroffene Länder mit Zuschüssen zu unterstützen. Sie bestehen darauf, allenfalls Kredite zu vergeben – gebunden an strenge Auflagen. Die österreichischen Grünen, Koalitionspartner von ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz, signalisierten gestern dennoch
Sympathien für den Kommissionsplan. Werner Kogler, grüner Vizekanzler, fordert in einem Brief an seine europäischen Parteifreunde, dass der Wiederaufbaufonds „in solidarischer Weise finanziert und zurückgezahlt wird, ohne die Staatsverschuldung einzelner Mitgliedsstaaten zu erhöhen.“
Die dänische Regierung erklärte in einem Tweet, man werde das Konzept in Ruhe prüfen. Enthusiastisch zeigte sich hingegen Italiens Premierminister Giuseppe Conte. „Das ist ein exzellentes Signal aus Brüssel. Es geht genau in die Richtung, die Italien aufgezeigt hatte. Man hat uns Visionäre genannt, weil wir von Anfang an daran geglaubt haben.“Die Osteuropäer, die einen Teil der bisherigen Zuwendungen an den von Corona besonders getroffenen Süden verlieren könnten, schwiegen zunächst. Die tschechische Regierung hatte allerdings zuvor zu Protokoll gegeben, sie sehe nicht ein, sich an den CoronaKosten zu beteiligen. Schließlich betreffe das Problem den Osten deutlich weniger als den Süden Europas.
Die CSU-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses Monika Hohlmeier kritisierte die tschechische Haltung scharf. „Das könnte man schließlich auch über die Strukturhilfen sagen. Wenn jeder nur noch für sich arbeitet, dann würde das Kohäsionsziel am Ende sterben, weil auch das eine Gemeinschaftsleistung für andere ist.“Grundsätzlich begrüßt auch Hohlmeier den Kommissionsvorschlag. Die Mittelvergabe müsse aber genau kontrolliert werden, für Altschulden und alte Projekte dürfe es „keinen Cent“geben. Auch müsse die Rückzahlung möglichst bald starten. Dafür müsse im Haushalt eine eigene Rubrik geschaffen werden.
Umweltverbände, Berufsgruppen und Mitgliedsländer werden nun versuchen, den Entwurf ihren Interessen entsprechend möglichst abzuändern. Das große Feilschen wird im zweiten Halbjahr unter deutscher Ratspräsidentschaft stattfinden. Eine Einigung schon im Juli scheint unrealistisch. Zentral wird bei den Verhandlungen die Frage sein, wie kontrolliert werden kann, dass das Geld auch tatsächlich in Reformen und zukunftsfähige Technologien fließt und nicht doch dafür aufgewendet wird, alte Schulden zu bezahlen oder Wählergruppen zufriedenzustellen.