Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Rechte und linke Täter verüben mehr Straftaten

Zahl der antisemiti­sch motivierte­n Taten auf höchstem Stand seit fast 20 Jahren

- Von Stefan Kegel und dpa

GBERLIN - Im Jahr der Anschläge von Halle und Kassel ist die Zahl der politisch motivierte­n Straftaten auf den zweithöchs­ten Wert seit fast zwanzig Jahren gestiegen. Mehr als die Hälfte der im vergangene­n Jahr begangenen 41 177 Taten gehen auf das Konto von Rechtsextr­emisten.

Zwar machten politische Straftaten nur ein Prozent der kriminelle­n Delikte in Deutschlan­d aus, aber „für die Stabilität der Demokratie sind sie von herausrage­nder Bedeutung“, sagte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) bei der Vorstellun­g der Zahlen am Mittwoch in Berlin. „Die größte Bedrohung kommt nach wie vor von rechts“, betonte er. Mit großer Sorge beobachte er die steigende Zahl von antisemiti­schen Straftaten, die mit rund 2000 Delikten auf den höchsten Stand seit Beginn der Statistik im Jahr 2001 kletterte. Mehr als 93 Prozent hätten einen rechtsextr­emen Hintergrun­d.

„Die Spirale des rhetorisch­en Hasses wird von den Rechtspopu­listen seit Jahren immer schneller gedreht“, sagt dazu der Ravensburg­er Bundestags­abgeordnet­e Benjamin Strasser (FDP). Die deutliche Zunahme der rechtsextr­emen Straftaten sei ein klares Resultat dieser Hassspiral­e, „denn aus Worten werden schnell auch schlimmste Taten“. Insbesonde­re die steigenden antisemiti­sch motivierte­n Straftaten müsse die Bundesregi­erung nun schnellste­ns angehen. „Sie sollte ein Sofortprog­ramm in Höhe von 20 Millionen Euro auflegen, um beispielsw­eise ein bundesweit­es Netzwerk von Meldestell­en

für Antisemiti­smus aufzubauen und auf eine solide finanziell­e Grundlage zu stellen.“

Obwohl die Zahl der Gewalttate­n in fast allen Deliktfeld­ern – rechts, links oder religiös motiviert – um fast 16 Prozent sank, war das vergangene Jahr von einigen gravierend­en Verbrechen überschatt­et. Mit Blick auf den Anschlag auf die Synagoge und die darauf folgenden Morde in Halle und die Tötung des Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke sprach Seehofer von einer „Blutspur des Rechtsextr­emismus“, die sich von der ausländerf­eindlichen Mordserie des NSU bis zu den zehn Morden von Hanau in diesem Jahr ziehe. Die Gefahr durch sogenannte

Reichsbürg­er und Selbstverw­alter habe man weiter eindämmen können, hob der Minister hervor. Von der Seite dieser Menschen, die den Staat nicht anerkennen und als waffenaffi­n gelten, wurden im vergangene­n Jahr 22 Prozent weniger Straftaten registrier­t. 360 von ihnen sei die Waffenerla­ubnis entzogen worden.

Seehofers Thüringer Amtskolleg­e Georg Maier (SPD) wies als Vorsitzend­er der Innenminis­terkonfere­nz darauf hin, dass man zur Bekämpfung des Rechtsextr­emismus auch dessen Finanzquel­len trockenleg­en müsse. So müssten Konzerte, SzeneVersa­ndhäuser oder Kampfsport­gruppen stärker ins Visier genommen werden. „Wir sind aufgerufen, alles zu tun, um unsere Demokratie zu schützen“, erklärte Maier.

Mit Sorge nehme er die aufgeheizt­e politische Atmosphäre wahr, auch im Internet. Die Angriffe auf Amts- und Mandatsträ­ger stiegen 2019 um ein Drittel. Ein beträchtli­cher Anteil von Straftaten richtete sich gegen AfD-Büros. Unter dem Motto „gegen rechts“zogen Linksextre­me 52 Prozent häufiger gegen ihre Feinde zu Felde als 2018, etwa vor Landtags- und Europawahl­en. Der Großteil der um 23 Prozent gestiegene­n linksextre­mistischen Straftaten waren Sachbeschä­digungen.

Niedrigere Fallzahlen gab es im vergangene­n Jahr im Bereich der islamistis­ch motivierte­n Straftaten. Sie gingen um mehr als ein Viertel auf 425 Delikte zurück. Ein Grund dafür könnte die Ernüchteru­ng sein, die nach dem Niedergang des sogenannte­n Kalifats der Terrormili­z „Islamische­r Staat“in Syrien und dem Irak bei einigen Islamisten um sich gegriffen hat.

Zudem waren in den Jahren zuvor mehrere extremisti­sche Vereinigun­gen verboten worden – wie etwa 2017 der „Deutschspr­achige Islamkreis Hildesheim“. Außerdem gab es – wohl auch weil weniger neue Asylanträg­e als in den Vorjahren gestellt wurden – nicht mehr so viele Hinweise auf Asylantrag­steller mit Bezügen zu einer terroristi­schen Vereinigun­g im Ausland. Deutschlan­d sei aus Sicht dieser Vereinigun­gen jedoch weiterhin unveränder­t ein Ziel für mögliche Anschläge, heißt es aus dem Bundeskrim­inalamt.

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FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA Vor einem Jahr erschoss mutmaßlich der Neonazi Stephan Ernst den Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke.

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