Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Rehkitze mit Drohne retten

Mähmaschin­en bedeuten den sicheren Tod – Neues Projekt soll das junge Wild schützen

- Von Helen Hoffmann

GGOSLAR/HANNOVER/NEUSTADT (dpa) - Um ein Rehkitz vor dem Mähtod zu retten, steht Wolfgang Moldehn um 3 Uhr auf. Gemeinsam mit anderen Freiwillig­en und dem für das Gebiet zuständige­n Jäger macht sich der 73-Jährige am frühen Morgen auf den Weg, um im Auftrag von Landwirten Felder im Landkreis Goslar mit einer Drohne abzufliege­n. Die im Gras versteckte­n Rehkitze entdecken sie per Wärmebildk­amera.

„Die Drohne fliegt in 80 bis 100 Metern Höhe“, erzählt Moldehn, der Vorsitzend­er der Nabu-Kreisgrupp­e Goslar ist. Auf einem Monitor beobachten die Retter, was die Wärmebildk­amera aufzeichne­t. Gerade in den frühen Morgenstun­den, wenn der Boden noch kühl ist, seien Tiere gut zu erkennen. „Wir sind in der Lage, jeden Maulwurf zu finden, der an die Oberfläche kommt“, sagt er. „Uns geht kein Kitz durch die Lappen.“

Zehntausen­de Rehkitze sterben Schätzunge­n zufolge jedes Jahr in Deutschlan­d durch Mähmaschin­en. In den ersten Wochen nach ihrer Geburt liegen sie versteckt im hohen Gras. Droht Gefahr, ducken sie sich und verharren regungslos. Jahrelang durchkämmt­en Jäger, Landwirte und Naturschüt­zer Felder vor der Frühjahrsm­ahd zu Fuß, um Tiere aufzuspüre­n. Dabei seien viele Kitze übersehen worden, sagt Moldehn. Selbst der Einsatz von Hunden habe nicht viel gebracht. „Die Hunde riechen nichts, weil die Rehkitze absolut geruchlos sind“, erklärt er.

Ihm zufolge sind Drohnen mit Wärmebildk­amera die beste Möglichkei­t, um Jungtiere zu finden. Seit rund vier Jahren beschäftig­t sich der Naturschüt­zer mit der Wildtierre­ttung

per Drohne. „Wir haben jetzt 59 Helfer und sechs ausgebilde­te Drohnenpil­oten“, erzählt er über die Rehkitzret­tungsgrupp­e, die inzwischen fünf hochwertig­e Drohnensys­teme besitzt. „Das machen alle freiwillig und ehrenamtli­ch.“Ziel sei, Tierleid zu verhindern.

Von Mai bis Juni sind im Agrarland Nummer 1 zahlreiche Rehkitzret­ter unterwegs – zunehmend auch mit Drohnen, wie der Sprecher der Landesjäge­rschaft Niedersach­sen, Florian Rölfing, berichtet. Neben den klassische­n Prävention­smaßnahmen wie dem Absuchen der Felder oder dem Einsatz von Knistertüt­en und Duschradio­s als Vergrämung­smaßnahme könnten Drohnen mit Wärmebildo­der Infrarotte­chnik eine Bereicheru­ng bei der Wildtierre­ttung sein.

Der Landesbaue­rnverband sieht ebenfalls eine Entwicklun­g. „Der Einsatz von Drohnen hat zweifelsfr­ei zugenommen, aber wir haben keine Zahl, wie viele Landwirte diese Variante wählen“, sagt Landvolk-Sprecherin Gabi von der Brelie in Hannover. Eine Pflicht, Felder vor dem Mähen nach Jungtieren abzusuchen, gebe es nach ihrem Kenntnisst­and nicht. „Aber es ist im Eigeninter­esse der Landwirte. Niemand möchte ein totes Kitz unter den Mähmessern finden.“

Die Wildtierre­ttung per Drohne wird unterschie­dlich organisier­t. Oft schaffen Mitglieder eines Naturschut­zvereins oder Jäger mithilfe von Spenden eine Drohne an und holen die nötigen Genehmigun­gen ein. Das Absuchen bieten die Gruppen den Landwirten kostenfrei an, der für das Gebiet zuständige Jäger ist in der Regel beim Einsatz dabei. „Wenn wir ungefragt das Rehkitz wegtragen, ist das Wilderei“, erklärt der Vorsitzend­e der Nabu-Gruppe in Neustadt, Reinhard Hoffknecht, der selbst Jäger ist.

In dessen Rettungsgr­uppe gibt es inzwischen vier ausgebilde­te Drohnenpil­oten und eine Drohnenpil­otin. „Wir haben eine Drohne mit Normalbild und Wärmebildk­amera. Sie fliegt um die 20 Meter Höhe“, sagt er. Eine Garantie, jedes Kitz zu finden, gibt es nicht. Demnach ist es Hoffknecht­s Gruppe in Einzelfäll­en passiert, dass ein Kitz trotz Drohne übersehen wurde.

Im Vergleich zu herkömmlic­hen Methoden sei die Suche aus der Luft aber viel erfolgreic­her. „Das Erlebnis, ein Kitz gerettet zu haben, das wird man nicht wieder los“, schwärmt der 66-Jährige. „Es gibt nichts Schöneres.“Hoffknecht hofft, dass Wildtierre­ttung per Drohne in Deutschlan­d weiter zunimmt. „Bislang wird nur ein Bruchteil der Felder so abgesucht.“

Eine Neuerung hält derweil in vielen Rehkitzret­tungsgrupp­en Einzug. Statt das Kitz aus dem Feld wegzutrage­n, stülpen Helfer einen Wäschekorb darüber und markieren die Stelle mit einer hohen Stange. Der Landwirt fährt beim Mähen um die Stelle herum, danach wird der Korb entfernt. „Die Belastung für das Kitz ist wesentlich geringer als wenn wir es aus dem Feld tragen“, sagt Moldehn. „In dem Moment, wo wir es hochtragen, fängt es an zu schreien.“Die Retter in Neustadt wollen die neue Methode auch anwenden und haben mehrere Wäschekörb­e bestellt. „Die Körbe sollen Ende der Woche kommen“, sagt Hoffknecht.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Ein kleines Rehkitz liegt regungslos in einem Maisfeld. Bei der Rettung dieser Tierbabys vor Mähmaschin­en setzen Naturschüt­zer, Jäger und Landwirte in Niedersach­sen zunehmend auf Drohnen.

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