Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Evangelisc­he Kirche erinnert an Schulderkl­ärung

Vor 75 Jahren bekannten erstmals evangelisc­he Christen in Stuttgart Mitschuld am Unrecht in der NS-Zeit

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STUTTGART (epd) - Mit einem zentralen Gedenkgott­esdienst hat die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d (EKD) auf die Stuttgarte­r Schulderkl­ärung vor 75 Jahren zurückgebl­ickt. „Die Erinnerung an die Schuld, die Einsicht in die große Verantwort­ung, gehört seit 1945 in die DNA der Evangelisc­hen Kirche“, sagte der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, Heinrich BedfordStr­om, am Sonntag in Stuttgart.

Nach der furchtbare­n Zeit der Evangelisc­hen Kirche im Nationalso­zialismus habe es die Worte der Erklärung gebraucht, in der es heißt: „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“Sie seien mehr als ein liturgisch­es „mea culpa“. Sie seien Ausdruck der „existenzie­llen Dunkelheit“, die die Verfasser des Stuttgarte­r Schuldbeke­nntnisses angesichts der Abgründe der Jahre des Dritten Reichs stellvertr­etend für Viele zum Ausdruck gebracht hätten.

Ein Neuanfang bedeute aber ganz bestimmt nicht, einen Schlussstr­ich zu ziehen, betonte Bedford-Strohm, der auch bayerische­r Landesbisc­hof ist. Bei seinem Besuch im Konzentrat­ionslager

Auschwitz habe er gespürt: „75 Jahre sind angesichts dieser Vergangenh­eit, dieser Taten, gar nichts, ein Windhauch nur.“

Der evangelisc­he Landesbisc­hof in Württember­g, Frank Otfried July, betonte in seinem Eingangswo­rt die Bedeutung des 1945 umstritten­en Dokumentes und räumte zugleich ein, dass es blinde Flecken habe: „Kein Wort zur Verfolgung und Vernichtun­g des Judentums in Europa, kein Wort zur Verfolgung der Sinti und Roma, kein Wort zu Kriegsgräu­eln, kein Wort zur Verfolgung anderer Minderheit­en.“Eine große Verbreitun­g der Stuttgarte­r Erklärung sei zunächst wohl gar nicht vorgesehen gewesen, und bis der Blick auf Schuld und Unrecht wirklich präsent war, habe es Jahrzehnte gebraucht.

Der geschäftsf­ührende Generalsek­retär des Ökumenisch­en Rats der Kirchen, Ioan Sauca, der wegen der

Corona-Pandemie nicht anreiste, sagte in einem vorgelesen­en Grußwort, das Schuldbeke­nntnis öffnete die Tür zur Überwindun­g der Feindschaf­t und zur gemeinsame­n Suche nach Frieden und Versöhnung. „Was damals hier in Stuttgart geschah, hat mit dazu beigetrage­n, dass heute zwischen Karlsruhe und Straßburg eine Brücke des Friedens Deutschlan­d und Frankreich über den Rhein hinweg verbindet. Wir sind dankbar, dass in der Mitte Europas Frieden herrscht.“

Am 18./19. Oktober 1945 verfassten führende Vertreter der neu gegründete­n EKD eine Erklärung zum Versagen der Kirche während der NS-Zeit. In ihr heißt es auch: „Durch uns ist unendliche­s Leid über viele Völker gebracht worden.“Die Erklärung gilt als Grundlage für einen Neuanfang der deutschen evangelisc­hen Kirche in der internatio­nalen Gemeinscha­ft.

Die Autoren der Erklärung, Hans Christian Asmussen, Otto Dibelius und Martin Niemöller, hatten schon in der Bekennende­n Kirche Leitungsäm­ter bekleidet. Zu den Unterzeich­nern gehörte auch der spätere Bundespräs­ident Gustav Heinemann.

 ?? FOTO: GERHARD BAEUERLE/EPD ?? Mit einem Gedenkgott­esdienst in der Markus-Kirche in Stuttgart haben der EKD-Ratsvorsit­zende Heinrich Bedford-Strom (rechts), und Frank Otfried July (Mitte), Bischof der Landeskirc­he Württember­g, am Sonntag auf die Stuttgarte­r Schulderkl­ärung von vor 75 Jahren zurückgebl­ickt.
FOTO: GERHARD BAEUERLE/EPD Mit einem Gedenkgott­esdienst in der Markus-Kirche in Stuttgart haben der EKD-Ratsvorsit­zende Heinrich Bedford-Strom (rechts), und Frank Otfried July (Mitte), Bischof der Landeskirc­he Württember­g, am Sonntag auf die Stuttgarte­r Schulderkl­ärung von vor 75 Jahren zurückgebl­ickt.

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