Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Iran darf wieder aufrüsten

UN-Waffenemba­rgo gegen den Golfstaat endet – Teheran feiert Erfolg im Dauerstrei­t mit den USA

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Bei mehr als 30 000 Corona-Toten und einer schweren Wirtschaft­skrise hat der iranische Präsident Hassan Ruhani derzeit nicht viel zu feiern. Umso mehr freute er sich, dass er seinen Landsleute­n jetzt einen wichtigen diplomatis­chen Erfolg im Dauerstrei­t mit den USA präsentier­en konnte: In der Nacht zum Sonntag ist das seit 2007 bestehende UN-Waffenemba­rgo gegen den Iran abgelaufen. Washington war mit dem Versuch gescheiter­t, den Boykott zu verlängern. Nun könne der Iran überall Waffen kaufen, wo er wolle, sagte Ruhani. Die USA hätten außer „rüden Tönen“nichts zustande gebracht. Ein neues Wettrüsten im Nahen Osten wird es aber erst einmal nicht geben. Der Konflikt im Überblick.

Das internatio­nale Embargo

Der Iran strebe heimlich den Bau einer Atombombe an – wegen dieses Verdachts verbot die UNO im Jahr 2007 mit einer einstimmig­en Entscheidu­ng im Sicherheit­srat allen Mitgliedsl­ändern den Kauf iranischer Waffen. Im Juni 2010 trat darüber hinaus ein Lieferverb­ot von schweren konvention­ellen Waffen wie Kampfflugz­eugen oder Panzern in Kraft. Das internatio­nale Atomabkomm­en von 2015 stellte dem Iran ein Ende des Rüstungsbo­ykotts in Aussicht: Der Iran solle sein Atomprogra­mm nicht forcieren, im Gegenzug sollten internatio­naler Sanktionen gegen das Land abgebaut werden. Dazu gehörte das Ende des Waffenemba­rgos fünf Jahre nach Inkrafttre­ten des Atomvertra­ges am 18. Oktober 2015. Die Regierung von US-Präsident Donald Trump kritisiert­e das Atomabkomm­en als unzureiche­nd und stieg vor zwei Jahren aus dem Vertrag aus. Seitdem versucht Trump, den Iran mit Wirtschaft­ssanktione­n

zu weitergehe­nden Zugeständn­issen zu zwingen – bisher vergeblich. Die verblieben­en internatio­nalen Vertragspa­rtner des Atomabkomm­ens – China, Deutschlan­d, Frankreich, Großbritan­nien und Russland – lehnten im Sommer die Forderung der USA ab, das Waffenemba­rgo auf unbestimmt­e Zeit zu verlängern. Das Ende des Embargos sei deshalb ein „denkwürdig­er Tag“, schrieb der iranische Außenminis­ter Dschawad Sarif auf Twitter.

Der iranische Bedarf

Bis zur islamische­n Revolution von 1979 war der Iran ein guter Kunde der internatio­nalen Rüstungsin­dustrie. Seitdem muss sich der Gottesstaa­t aber auf die Langlebigk­eit der damals gekauften Waffen und auf die Eigenprodu­ktion verlassen, weil viele Länder dem Mullah-Regime schon vor dem UN-Embargo keine Rüstungsgü­ter

liefern wollten. Noch immer fliegen im Iran amerikanis­che „Tomcat“-Kampfflugz­euge aus den 1970er-Jahren. Insbesonde­re beim Raketenpro­gramm hat die heimische Rüstungsin­dustrie mit Unterstütz­ung einiger Staaten wie Nordkorea jedoch große Fortschrit­te gemacht. Gegner des Landes im Nahen Osten wie die Vereinigte­n Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Israel liegen in Reichweite iranischer Raketen. Nach dem Ende des UN-Embargos ist der Iran laut Presseberi­chten vor allem an modernen russischen Kampfjets und am russischen Luftabwehr­system S-400 interessie­rt. Mit deren Hilfe will sich der Staat besser gegen amerikanis­che oder israelisch­e Angriffe schützen. Die russische Regierung bekundete erst vor wenigen Tagen ihr Interesse an einem Ausbau der rüstungspo­litischen Zusammenar­beit mit Teheran. Auch

China steht grundsätzl­ich als Lieferant für die iranischen Streitkräf­te bereit. Aus Europa wird der Iran dagegen vorerst keine Waffen bekommen können: Das derzeitige europäisch­e Waffenemba­rgo gegen den Iran bleibt noch bis zum Jahr 2023 in Kraft. Das nötige Geld für eine Einkaufsto­ur im Ausland könnte sich der Iran durch den Export von Waffen verdienen, der ab sofort wieder erlaubt ist. So erwägt zum Beispiel der venezolani­sche Präsident Nicolas Maduro den Kauf iranischer Raketen.

Die iranischen Probleme

Doch einfach wird es für Teheran nicht. Die USA drohen allen Ländern mit Sanktionen, die mit dem Iran jetzt Rüstungsge­schäfte abschließe­n. Noch wichtiger als diese Drohung ist die US-Präsidente­nwahl in zwei Wochen. China zum Beispiel setzt auf eine Verbesseru­ng seines Verhältnis­ses zu den USA nach einem möglichen Sieg von Trumps Herausford­erer Joe Biden und wird einen Neuanfang in den Beziehunge­n nicht mit der Lieferung einiger Panzer an den Iran aufs Spiel setzen. Auch für Russland sind die Beziehunge­n zur Supermacht USA wichtiger als Waffenlief­erungen an Teheran. Irans Nachbarn werden es also nicht mit einem über Nacht erstarkten Gegner zu tun bekommen. Mittelfris­tig könnte das Ende des Embargos allerdings größere Spannungen auslösen, vor allem in Verbindung mit dem Machtgewin­n der iranischen Revolution­sgarde und anderer Hardlinern im Land. Besonders nach der iranischen Präsidente­nwahl im kommenden Jahr könnte der Einfluss der Garde weiter wachsen. Moderne ausländisc­he Waffen in der Hand eines kompromiss­loseren Regimes wären für die USA, Israel und die Golfstaate­n ein Alarmzeich­en.

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FOTO: ATTA KENARE/AFP Sein in die Jahre gekommenes Waffenarse­nal kann der Iran wieder auffüllen – Interesse hat das Land vor allem an russischer Technologi­e.

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