Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Hier denkt man, Psychologie sei für Verrückte“
Auf fünf Millionen Einwohner kommt in der Zentralafrikanischen Republik eine Psychologin
des Landes. 680 000 Zentralafrikaner sind als Binnenvertriebene auf der Flucht. Fast genauso viele flohen ins Ausland. Unterdessen ist die Angst groß, dass der Konflikt vor den Wahlen am Jahresende erneut aufflammt.
Als der Konflikt ausbrach, lebte Samba in Kanada. Sie hatte mit 15 ihre Heimat verlassen. Später studierte sie in Frankreich Psychologie. „Vor langer Zeit konnte man auch in der Zentralafrikanischen Republik Psychologie studieren; doch der Studienzweig wurde eingestampft. Hier denkt man, Psychologie sei für Verrückte“, sagt Samba. Der Bürgerkrieg habe ein Umdenken gebracht: „Die Leute entwickelten ein seltsames Gefühl, das sie zuvor nicht kannten. Sie hatten plötzlich das Bedürfnis, mit jemandem darüber zu reden.“Die Psychologin wusste das Gefühl zu benennen: Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Eine Folge des Gesehenen, des Erlebten.
2017 kehrte die Mutter dreier Kinder nach Zentralafrika zurück und gründete in Bangui die Hilfsorganisation Obouni. „In Frankreich und Kanada gab es bereits genügend Psychologen,
in Zentralafrika keinen. Ich wollte den Menschen in meinem Land mit meinen Fähigkeiten helfen.“Zwar gebe es eine Handvoll Psychotherapeuten im Land. Doch sie sind entweder im Ruhestand oder arbeiten turnusmäßig für internationale Hilfsorganisationen, sodass sie nur selten eine Beziehung zu Patienten
aufbauen. Samba bildet Zentralafrikaner zu psychotherapeutischen Hilfskräften aus. „Sie können zwar keine Diagnosen stellen; aber sie können erkennen, ob bestimmte Verhaltensweisen auf Krankheiten wie Psychosen, Depressionen oder PTBS hindeuten.“
Ihre Aufgabe bezeichnet sie lächelnd als „schwierig“. Das betreffe zum einen die Einstellung mancher Auszubildenden. Viele glaubten, psychologische Begleitung sei eine einfache Aufgabe – an der sie dann scheitern. Zum anderen, räumt die in Europa und Nordamerika aufgewachsene Ärztin ein, erschwerten kulturelle Unterschiede ihre Arbeit. „Man kann die Probleme in Zentralafrika nicht so anpacken, wie man das im westlichen Kontext tun würde. Man muss sich anpassen.“
Ihre Behandlungsmethoden umfassen neben herkömmlicher Psychotherapie auch Atem- und Dehntechniken sowie traditionelle Tänze. Depressionen gebe es in allen Ländern und Kulturen; doch der Umgang sei grundverschieden, berichtet Samba. „Berührungen sind tabu. Denn wenn jemand vergewaltigt wurde oder Gewalt durchlebte, versetzt ihn die Berührung unmittelbar in diese Situation zurück.“
Derzeit arbeiten sieben ausgebildete Helfer für Obouni. Der Name der Organisation ist gleichzeitig Sambas Credo; übersetzt heißt er: „Egal was kommt, wir werden Erfolg haben.“Samba und ihre Laien-Therapeuten arbeiten mit der Regierung in Bangui, internationalen Nichtregierungsorganisationen und den Vereinten Nationen zusammen. Auf diese Weise erreichen sie Menschen selbst in entlegenen Dörfern.
Optimismus äußert Samba über den Berufswunsch Psychologe. Langsam, nicht zuletzt dank Fernsehen und Internet, werde dieser auch für junge Zentralafrikaner attraktiv. „In US-Serien sehen Jugendliche Profiler – und plötzlich interessieren sie sich für Psychologie. Sie beginnen sich zu fragen, wie sie den Leuten helfen können.“
Psychologin Flora Samba
„Man kann Probleme in Zentralafrika nicht so anpacken, wie man das im westlichen Kontext tun würde.“