Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Nur ein Impfstoff kann Evobus wirklich helfen
Pandemie lässt im Neu-Ulmer Buswerk die Auftragslage komplett einbrechen – Betriebsratschef im Gespräch
NEU-ULM - Die Ausnahmesituation ist mit bloßem Auge zu erkennen: Wer die Otto-Hahn-Straße in NeuUlm entlang fährt, sieht so viele Busse wie schon lange nicht mehr: Neue und Gebrauchte so weit das Auge reicht. Der Bus-Gebrauchtmarkt, dessen Zentrum der Neu-Ulmer „Bus-Store“auf dem Evobus-Gelände steht, ist wegen Corona völlig zusammengebrochen. Und mehr nagelneue Busse stehen hier ungenutzt herum, etwa weil der Käufer vom Hersteller Daimler Zahlungsaufschub bekommen hat. Oder weil der Auftrag gleich komplett storniert wurde.
Neue Aufträge für Reisebusse gibt es derzeit so gut wie keine in NeuUlm: „Es ist nichts im Rohr. Eine Katastrophe“, sagt Betriebsratschef Hansjörg Müller im Gespräch mit unserer Zeitung. Derzeit würde zwar unter „Vollgas“bei den 3850 Beschäftigten des größten industriellen Arbeitgebers der Region gearbeitet. Ein Ende sei in Sicht, wenn die bestehenden Aufträge abgearbeitet sind.
Nach der „Blockpause“im Zuge der Pandemie im März und April habe es zunächst "volles Programm" in den Neu-Ulmer Werken gegeben: Bestellte Busse mussten termingerecht ausgeliefert werden, damit sie noch nach der alten Brandschutznorm zugelassen werden konnten. Im Mai habe der letzte Leiharbeiter das Werk verlassen. Im August und September wurde dann kurz gearbeitet zwei Tage in der Produktion und in der Verwaltung einer. Nun, im Oktober, werden "unter Hochdruck" vor allem Überlandbusse fertiggestellt, die vor allem von kommunalen Auftraggebern schon vor Corona bestellt worden seien. Doch neue Aufträge kämen so gut wie keine rein. Deswegen sei jetzt schon absehbar, dass mit dem November das Werk langsam runter gefahren werde. Weit früher als sonst zum Jahresende üblich. Eine komplette Schließung ein paar Tage vor Weihnachten bis nach Heilige-Drei-Könige ist zwar seit Jahren Standard, doch dieses Jahr drohe die Pause viel länger zu werden. Die wenigen Aufträge, die nur sehr vereinzelt einträfen, werden gesammelt, bis die Produktionskette wieder geschlossen werden kann und eine geordnete Produktion wieder möglich ist.
Wie lange dauert das? "Das weiß niemand. Das macht mir und allen Beschäftigten schon große Sorgen", sagt Müller, der im Juli sein 40. Jahr im Betrieb feierte. Krisen hat der 59jährige Bermaringer schon viele mitgemacht: die Unsicherheit nach dem Aus für die Ur-Firma Kässbohrer oder die Auftragseinbrüche nach dem 11. September 2001. Doch eine solche Hilflosigkeit wie derzeit habe er noch nie verspürt. Erst wenn es den Reisebusunternehmen wieder besser geht, wenn wieder Busreisen gemacht werden und die Omnibusunternehmen wieder Geld verdienen, dann geht es auch Evobus wieder besser. Denn wer seine Reisebusse abgemeldet hat, der braucht keine neuen.
Nachdem es monatelang verboten war, eine Busreise anzutreten, habe sich die Angst in den Köpfen festgesetzt. Diese müsse nun bekämpft werden, etwa mit neuartigen Luftfilteranlagen, die nun bei Evobus eingebaut werden. „Heraus kommt Luft fast in Laborqualität“, sagt Müller. Alle zwei Minuten werde die komplette Luft ausgetauscht: „Mehr Frischluft gibt s nur im Cabrio." Eine staatliche Förderung solcher Anlagen
würde Arbeitsplätze retten, ist sich Müller sicher. "Dies wäre sicher eine gute Hilfsleistung für die Omnibusbetreiber."
Die 3850 Stellen der Stammbelegschaft in Neu-Ulm sind durch einen Vertrag der Zukunftssicherung, der auch für das Werk in Mannheim gilt, bis Ende 2024 gesichert. Betriebsbedingte Kündigungen sind ausgeschlossen. Mit der Geschäftsführung um Spartenchef Till Oberwörder werden auch Gespräche über Sparmaßnahmen vereinbart. Müller: „Wir haben die berechtigte Hoffnung, dass wir auf dieser Grundlage durch die Krise kommen und in den Gesprächen vernünftige Lösungen vereinbart werden.“Denn wenn es hoffentlich spätestens 2022 wieder anlaufe, würde jeder Beschäftigte gebraucht.
Dass die ursprünglich bis Ende 2020 befristeten Regelungen zum vereinfachten und erhöhten Bezug von Kurzarbeitergeld bis Ende 2021 verlängert wurden, rettet nach Überzeugung von Müller sehr viele Arbeitsplätze. „Nicht nur bei Evobus, auch in der gesamten Wirtschaft.“Dass derzeit Stadtbusse aus Mannheimer Fertigung sich besser verkaufen als Reisebusse, hilft Neu-Ulm auch in begrenztem Maße: Denn hier werden auch Teile produziert und Busse aus Mannheim oder dem Werk im französischen Ligny lackiert.
Für diese Krise gibt es keinen Schuldigen, Corona hat niemand erfunden, so Müller. Das vergangene Jahr sei eines der besten für Evobus gewesen. Im Januar und Februar sei das Werk in Neu-Ulm noch richtig gut ausgelastet gewesen, und es hatte den Anschein, dass es auch im Jahr 2020 so erfolgreich wird. Deswegen werde in verschiedenen Bereichen auch weiterhin an Zukunftsthemen gearbeitet. „Dass wir auch nach der Krise der erfolgreichste Omnibushersteller sind. Das ist unser Antrieb und gibt Motivation und macht mich persönlich auch optimistisch."