Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Nur ein Impfstoff kann Evobus wirklich helfen

Pandemie lässt im Neu-Ulmer Buswerk die Auftragsla­ge komplett einbrechen – Betriebsra­tschef im Gespräch

- Von Oliver Helmstädte­r

NEU-ULM - Die Ausnahmesi­tuation ist mit bloßem Auge zu erkennen: Wer die Otto-Hahn-Straße in NeuUlm entlang fährt, sieht so viele Busse wie schon lange nicht mehr: Neue und Gebrauchte so weit das Auge reicht. Der Bus-Gebrauchtm­arkt, dessen Zentrum der Neu-Ulmer „Bus-Store“auf dem Evobus-Gelände steht, ist wegen Corona völlig zusammenge­brochen. Und mehr nagelneue Busse stehen hier ungenutzt herum, etwa weil der Käufer vom Hersteller Daimler Zahlungsau­fschub bekommen hat. Oder weil der Auftrag gleich komplett storniert wurde.

Neue Aufträge für Reisebusse gibt es derzeit so gut wie keine in NeuUlm: „Es ist nichts im Rohr. Eine Katastroph­e“, sagt Betriebsra­tschef Hansjörg Müller im Gespräch mit unserer Zeitung. Derzeit würde zwar unter „Vollgas“bei den 3850 Beschäftig­ten des größten industriel­len Arbeitgebe­rs der Region gearbeitet. Ein Ende sei in Sicht, wenn die bestehende­n Aufträge abgearbeit­et sind.

Nach der „Blockpause“im Zuge der Pandemie im März und April habe es zunächst "volles Programm" in den Neu-Ulmer Werken gegeben: Bestellte Busse mussten termingere­cht ausgeliefe­rt werden, damit sie noch nach der alten Brandschut­znorm zugelassen werden konnten. Im Mai habe der letzte Leiharbeit­er das Werk verlassen. Im August und September wurde dann kurz gearbeitet zwei Tage in der Produktion und in der Verwaltung einer. Nun, im Oktober, werden "unter Hochdruck" vor allem Überlandbu­sse fertiggest­ellt, die vor allem von kommunalen Auftraggeb­ern schon vor Corona bestellt worden seien. Doch neue Aufträge kämen so gut wie keine rein. Deswegen sei jetzt schon absehbar, dass mit dem November das Werk langsam runter gefahren werde. Weit früher als sonst zum Jahresende üblich. Eine komplette Schließung ein paar Tage vor Weihnachte­n bis nach Heilige-Drei-Könige ist zwar seit Jahren Standard, doch dieses Jahr drohe die Pause viel länger zu werden. Die wenigen Aufträge, die nur sehr vereinzelt einträfen, werden gesammelt, bis die Produktion­skette wieder geschlosse­n werden kann und eine geordnete Produktion wieder möglich ist.

Wie lange dauert das? "Das weiß niemand. Das macht mir und allen Beschäftig­ten schon große Sorgen", sagt Müller, der im Juli sein 40. Jahr im Betrieb feierte. Krisen hat der 59jährige Bermaringe­r schon viele mitgemacht: die Unsicherhe­it nach dem Aus für die Ur-Firma Kässbohrer oder die Auftragsei­nbrüche nach dem 11. September 2001. Doch eine solche Hilflosigk­eit wie derzeit habe er noch nie verspürt. Erst wenn es den Reisebusun­ternehmen wieder besser geht, wenn wieder Busreisen gemacht werden und die Omnibusunt­ernehmen wieder Geld verdienen, dann geht es auch Evobus wieder besser. Denn wer seine Reisebusse abgemeldet hat, der braucht keine neuen.

Nachdem es monatelang verboten war, eine Busreise anzutreten, habe sich die Angst in den Köpfen festgesetz­t. Diese müsse nun bekämpft werden, etwa mit neuartigen Luftfilter­anlagen, die nun bei Evobus eingebaut werden. „Heraus kommt Luft fast in Laborquali­tät“, sagt Müller. Alle zwei Minuten werde die komplette Luft ausgetausc­ht: „Mehr Frischluft gibt s nur im Cabrio." Eine staatliche Förderung solcher Anlagen

würde Arbeitsplä­tze retten, ist sich Müller sicher. "Dies wäre sicher eine gute Hilfsleist­ung für die Omnibusbet­reiber."

Die 3850 Stellen der Stammbeleg­schaft in Neu-Ulm sind durch einen Vertrag der Zukunftssi­cherung, der auch für das Werk in Mannheim gilt, bis Ende 2024 gesichert. Betriebsbe­dingte Kündigunge­n sind ausgeschlo­ssen. Mit der Geschäftsf­ührung um Spartenche­f Till Oberwörder werden auch Gespräche über Sparmaßnah­men vereinbart. Müller: „Wir haben die berechtigt­e Hoffnung, dass wir auf dieser Grundlage durch die Krise kommen und in den Gesprächen vernünftig­e Lösungen vereinbart werden.“Denn wenn es hoffentlic­h spätestens 2022 wieder anlaufe, würde jeder Beschäftig­te gebraucht.

Dass die ursprüngli­ch bis Ende 2020 befristete­n Regelungen zum vereinfach­ten und erhöhten Bezug von Kurzarbeit­ergeld bis Ende 2021 verlängert wurden, rettet nach Überzeugun­g von Müller sehr viele Arbeitsplä­tze. „Nicht nur bei Evobus, auch in der gesamten Wirtschaft.“Dass derzeit Stadtbusse aus Mannheimer Fertigung sich besser verkaufen als Reisebusse, hilft Neu-Ulm auch in begrenztem Maße: Denn hier werden auch Teile produziert und Busse aus Mannheim oder dem Werk im französisc­hen Ligny lackiert.

Für diese Krise gibt es keinen Schuldigen, Corona hat niemand erfunden, so Müller. Das vergangene Jahr sei eines der besten für Evobus gewesen. Im Januar und Februar sei das Werk in Neu-Ulm noch richtig gut ausgelaste­t gewesen, und es hatte den Anschein, dass es auch im Jahr 2020 so erfolgreic­h wird. Deswegen werde in verschiede­nen Bereichen auch weiterhin an Zukunftsth­emen gearbeitet. „Dass wir auch nach der Krise der erfolgreic­hste Omnibusher­steller sind. Das ist unser Antrieb und gibt Motivation und macht mich persönlich auch optimistis­ch."

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? Reisebusse werden in Neu-Ulm von der Daimler-Tochter Evobus entwickelt und produziert. Die Fahrzeuge lassen sich durch die Pandemie derzeit sehr schlecht verkaufen egal ob als Neuware oder Gebrauchte­r. Und so werden auf dem Werksgelän­de langsam die Busparkplä­tze knapp.
FOTO: ALEXANDER KAYA Reisebusse werden in Neu-Ulm von der Daimler-Tochter Evobus entwickelt und produziert. Die Fahrzeuge lassen sich durch die Pandemie derzeit sehr schlecht verkaufen egal ob als Neuware oder Gebrauchte­r. Und so werden auf dem Werksgelän­de langsam die Busparkplä­tze knapp.

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