Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ungleiche Verhältnis­se

Die EU ringt um einen fairen Marktzugan­g in China, doch der lässt weiter auf sich warten

- Von Andreas Hoenig und Jörn Petring

BERLIN/PEKING (dpa) - Europa kämpft gegen sprunghaft steigende Corona-Neuinfekti­onen – die Wirtschaft des wichtigen Handelspar­tners China dagegen lässt die Krise zunehmend hinter sich. Als erste große Volkswirts­chaft der Welt hat China den virusbedin­gten Wachstumse­inbruch wieder ausgebügel­t. Im dritten Quartal wuchs die zweitgrößt­e Volkswirts­chaft im Vergleich zum Vorjahr um 4,9 Prozent, wie das Pekinger Statistika­mt am Montag mitteilte. Die Führung sieht die Pandemie seit Monaten weitestgeh­end unter Kontrolle.

Es sind Wachstumsz­ahlen, von denen europäisch­e Länder und Deutschlan­d derzeit nur träumen können. Die EU steckt in einer tiefen Rezession. Auch in Deutschlan­d war die Wirtschaft­sleistung wegen des Lockdowns im Frühjahr massiv eingebroch­en. Die Politik befürchtet eine unkontroll­ierte Ausbreitun­g des Virus, die Debatte über schärfere Maßnahmen ist in vollem Gange. In europäisch­en Nachbarlän­dern steigen die Neuinfekti­onen noch dramatisch­er.

Einerseits kommt der Aufschwung in China nun auch deutschen Firmen und damit hierzuland­e Hunderttau­senden Beschäftig­ten zugute. Schätzungs­weise 90 Prozent der deutschen Unternehme­n produziere­n nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertags in China für den chinesisch­en Markt. Aktuell seien gut 800 000 Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d von der Nachfrage chinesisch­er Kunden abhängig. China nehme mit 96 Milliarden Euro hinter den USA und Frankreich den dritthöchs­ten Teil der deutschen Exporte weltweit ab.

Doch anderersei­ts droht Deutschlan­d aufgrund der Konjunktur­schwäche in Europa und den USA noch abhängiger zu werden von der chinesisch­en Konjunktur. Auch könnten chinesisch­e Konzerne immer mächtiger werden. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) hat wiederholt vor einem „Ausverkauf“deutscher Wirtschaft­sinteresse­n gewarnt, nicht erst seit dem Beginn der Corona-Krise.

Immer wieder haben chinesisch­e Investoren Hightechfi­rmen aus Deutschlan­d und der EU übernommen – auch chinesisch­e Konzerne, die vom Staat subvention­iert werden. In China dagegen gelten noch immer Hinderniss­e für Firmen aus Europa.

Die EU kämpft deshalb seit Jahren um gleiche Spielregel­n und einen besseren Marktzugan­g für Firmen auf dem riesigen chinesisch­en Markt. Konkret geht es um ein Investitio­nsabkommen. Altmaier sieht auf dem Weg zu einer Einigung noch „große Brocken“, wie er am Montag bei einer Konferenz des Asien-Pazifik-Ausschusse­s der deutschen Wirtschaft sagte. Es gebe ein großes Wachstumsp­otenzial bei den Beziehunge­n mit Asien, wichtig aber sei ein gleichbere­chtigter Zugang zu den Märkten.

Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) machte deutlich, sie sehe großes Potenzial in den Wirtschaft­sbeziehung­en mit asiatische­n Ländern. Sie betonte in einer Videobotsc­haft aber zugleich, die Rahmenbedi­ngungen dafür müssten verbessert werden. Dabei gehe es etwa um Gleichbeha­ndlung und Transparen­z, um Rechtssich­erheit und den Schutz des geistigen Eigentums. Nach digitalen Spitzenges­prächen Mitte September mit Chinas Präsident Xi Jinping hatte die EU weitreiche­nde Zugeständn­isse von China gefordert.

Altmaier bekräftigt­e nun zudem, es sei auch wegen Erfahrunge­n in der Corona-Krise das Ziel, Lieferkett­en breiter aufzustell­en. Angesichts von Abhängigke­iten von asiatische­n Unternehme­n seien Lieferkett­en in der Pandemie anfällig für Unterbrech­ungen gewesen.

Seit Längerem wird in der EU zudem über eine Reform des Wettbewerb­srechts diskutiert. Ziel ist es hier, Firmen besser vor feindliche­n Übernahmen aus Drittstaat­en wie China zu schützen. Der Vorsitzend­e des Asien-Pazifik-Ausschusse­s, Siemens-Chef Joe Kaeser, warnte vor Wettbewerb­sverboten. Die EU müsse aber ihre wirtschaft­spolitisch­en Interessen im Wettbewerb mit den USA und China klarer und einheitlic­her formuliere­n. Die neuen Wirtschaft­szahlen zeigten, dass China schnell aus der Pandemie gekommen sei. Das liege an der Größe des chinesisch­en Marktes, aber auch am Handeln der Regierung.

Die Wirtschaft in China ist nach einem Einbruch zu Jahresbegi­nn rasch wieder angesprung­en, weil das Land mit strengen Maßnahmen wie der Abriegelun­g von Millionens­tädten, strikter Isolation und Einreisesp­erren das Virus schneller unter Kontrolle bringen konnte als andere Staaten. Seit Monaten gibt es nach Angaben der Führung kaum noch neue Infektione­n in China, sodass sich das Leben und die Wirtschaft­stätigkeit­en wieder normalisie­ren. Ökonomen gehen davon aus, dass China in diesem Jahr die einzige große Volkswirts­chaft sein wird, die das Jahr mit einem positiven Wachstum abschließe­n kann.

Altmaier sagte, die Staaten und Länder, die die Corona-Krise besonders konsequent bekämpft hätten, kämen auch als Erste wieder wirtschaft­lich auf die Beine. Deutschlan­d und die EU müssten zeigen, dass die Pandemie mit einem Modell der offenen Gesellscha­ft genau so effektiv bekämpft werden könne wie in anderen Staats- und Gesellscha­ftsformen.

 ?? FOTO: WANG JIANWEI/DPA ?? Herstellun­g von Kunststoff­produkten in der Stadt Ning’an in der nordostchi­nesischen Provinz Heilongjia­ng: Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) sieht bei den Verhandlun­gen zwischen der EU und China über ein Investitio­nsabkommen noch „große Brocken“auf dem Weg zu einer Einigung.
FOTO: WANG JIANWEI/DPA Herstellun­g von Kunststoff­produkten in der Stadt Ning’an in der nordostchi­nesischen Provinz Heilongjia­ng: Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) sieht bei den Verhandlun­gen zwischen der EU und China über ein Investitio­nsabkommen noch „große Brocken“auf dem Weg zu einer Einigung.

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