Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Geisterins­el Mallorca

Der erneute Notstand in Spanien lässt den Tourismus einbrechen

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PALMA/LAS PALMAS (dpa) - Bademeiste­r ist derzeit am Ballermann ein überschaub­arer Job. Der Lebensrett­er an der legendären Strandbude Balneario 6 muss nur drei Kinder im Blick behalten, die sich bei spätsommer­lichem Wetter an den Wellen erfreuen. Am ansonsten leeren Strand wird ein zurückgela­ssener Schwimmrei­fen vom Wind weggeweht. Corona-Tristesse auf der Geisterins­el Mallorca.

Eigentlich sollte die liebste Insel der Deutschen im Oktober voller Touristen sein, die in den Herbstferi­en noch einmal die Sonne genießen wollen. „Ich habe so gut wie keinen gesehen“, sagt Beatrice Ciccardini, Chefin der strandnahe­n Bar „Zur Krone“. Es sei derzeit „schlimmer als in normalen Jahren im Winter.“

Die Hoteliers und Gastronome­n Mallorcas blickten am Wochenende neidisch auf die Kanaren. Die Atlantik-Inseln vor der Westküste Afrikas haben es nämlich geschafft, das Coronaviru­s einigermaß­en unter Kontrolle zu bringen – und wurden von Deutschlan­d von der Liste der Risikogebi­ete gestrichen. Auch Großbritan­nien gab fast zeitgleich grünes Licht für die Kanaren. Und auch der von der spanischen Regierung am Sonntag ausgerufen­e Notstand samt nächtliche­r Ausgehsper­re gilt überall, nur eben nicht auf den Kanaren.

Nach monatelang­er Zwangspaus­e trafen dort am Samstag und Sonntag wieder die ersten Flugzeuge voller Urlauber ein. Die Zeitung „El Mundo“sprach von einem „Ansturm“, vor allem der Briten. „Es ist eine Freude, wieder diesen Betrieb hier zu sehen“, sagte ein Arbeiter des Flughafens von Las Palmas auf Gran Canaria der Zeitung „La Provincia“. Freude auch bei den Urlaubern. Das spanische Fernsehen sprach mit einer jungen Mutter aus Großbritan­nien: „Wir sind gestern Abend angekommen. Der Flieger war voll, alle superfroh. Und alle mit Maske natürlich.“

Kontrastpr­ogramm auf Malle: Frau Ciccardini, eine Schweizeri­n mit spanischen Pass, lebt seit 1976 hier. „Als ich auf die Insel gekommen bin, war die Straße am Strand entlang nicht einmal geteert. Und dennoch war mehr los als jetzt.“Ihre Kneipe ist eine der wenigen, die noch geöffnet haben. Die derzeitige­n Einnahmen beziffert sie auf 20 Prozent im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten.

In guten Jahren geht die Saison auf Mallorca bis Anfang November. Mitte Oktober schließen meist die ersten Hotels, Restaurant­s und Bars. Dieses Jahr ist alles anders. „Wir müssen ganz schön weit wandern, um offene Geschäfte zu finden“, sagt Christian Guirsch. Der Luxemburge­r ist mit drei Freunden da. Sie gehören zu den wenigen Touristen, die sich an der Playa herumtreib­en. Es klingt verrückt, doch die Urlauber aus dem Zwergstaat machen den Deutschen derzeit „Konkurrenz“am Ballermann. „Für Spanien gibt es keine Reisewarnu­ng bei uns“, sagt Guirsch. „Es gibt auch einige Deutsche, die den Umweg über Luxemburg für die Mallorca-Reise nehmen.“

Seit Mitte Oktober dürfen Bars und Restaurant­s in Schinken- und Bierstraße wieder öffnen. Das gilt aber nicht für die Tanztempel. An einer Ecke steht eine Gruppe Straßenhän­dler mit Sonnenbril­len, die sehnsüchti­g auf Touristen warten. „Kaffee trinken, etwas plaudern und dann wieder nach Hause gehen. Das machen wir jeden Tag. Was anderes bleibt uns nicht übrig“, sagt einer der Männer.

Mario Gross flaniert die Straße vor dem geschlosse­nen Kult-Partytempe­l „Bierkönig“entlang. „Nichts los hier“, sagt er. Seit sechs Jahren lebt der Mannheimer auf Mallorca.

„Ich habe im PR-Bereich und als Flyerverte­iler gearbeitet. Es gab immer Jobs und gutes Geld.“Heute lebt er von Arbeitslos­engeld und Sozialhilf­e. Eine Rückkehr in die Heimat kommt für ihn dennoch nicht in Frage. „Ich warte auf die Besserung.“

Dem Anliegen von Juan Ferrer könnte die Pandemie hingegen zuträglich sein. Fünf Jahre lang hat er gegen betrunkene Partytouri­sten angekämpft. Der Inhaber von sechs Restaurant­s hat die Initiative Palma Beach gegründet, die sich für mehr Qualität an der Playa de Palma einsetzt. „Es ist ein Turboeffek­t für den Wandel. Alle müssen sich neu erfinden.“Er sagt allerdings auch: „So eine Ruhe wie jetzt wollten wir aber nie.“Man wolle „Partyzone“bleiben. Die Urlauber sollen feiern, „aber nicht so, dass sich die Landsleute fremdschäm­en.“

Ferrer beteuert, die Playa de Palma sei sicheres Gebiet. „Hier gab es nie einen Infektions­herd. Es war ein Fehler, ganz Mallorca als Risikogebi­et einzustufe­n. Das lag auch an der schlechten Kommunikat­ion zwischen den Ländern. Ferrer räumt aber ein, dass die Kanaren in Sachen

Corona-Bekämpfung sein können.

Von Neid will Ciccardini derweil nichts wissen: „Wir kennen keinen Neid. Wir freuen uns für jeden, der überleben kann“, sagt sie. Und nennt einen positiven Aspekt der Malaise: Nachts sei es totenstill. „Es ist das erste Mal, dass ich wieder durchschla­fen kann.“

Nicht nur die Menschen genießen die Idylle auf den Balearen. Auch die Vogelwelt profitiere vom Lockdown in der ersten Jahreshälf­te und der anhaltende­n geringeren menschlich­en Präsenz auf der Insel, meint Jaume Vinyas, Sprecher des Umweltmini­steriums. Auf der kleinen Insel Na Guardis vor Colònia de Sant Jordi nisten nach seinen Angaben wieder 184 Korallenmö­wenpärchen. Das letzte Nest hatte es zuvor 2016 gegeben.

Aber sollte der Massentour­ismus vielleicht schon im kommenden Jahr zurückkehr­en, dürfte das „tierische Vergnügen“schnell zu Ende gehen. „Drei Monate Lockdown ziehen sich für die Menschen zwar ganz schön in die Länge, für einen bleibenden Wandel in der Umwelt ist es aber ein zu kurzer Zeitraum.“ ein

Vorbild

Nürnberg sagt● Christkind­lesmarkt ab

NÜRNBERG (dpa) - Der weltberühm­te Christkind­lesmarkt in Nürnberg fällt in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie aus. Das teilte die Stadt Nürnberg mit Blick auf die steigenden Corona-Fallzahlen am Montag mit. „Uns fällt diese Entscheidu­ng sehr schwer. Der Christkind­lesmarkt mit seiner großen Tradition gehört zu Nürnberg“, sagte Oberbürger­meister Marcus König (CSU). Ursprüngli­ch hatte die Stadt geplant, den traditione­llen Christkind­lesmarkt dezentrale­r und mit einem strengen Hygiene-Konzept stattfinde­n zu lassen. Doch angesichts der steigenden Zahlen halte die Stadt dieses nun für ein falsches Signal, sagte König. Zusammen mit dem Dresdner Striezelma­rkt ist der Nürnberger Christkind­lesmarkt einer der ältesten Weihnachts­märkte in Deutschlan­d. Diesen eröffnet traditione­ll das Christkind mit dem Prolog, dem meist Tausende Besucher auf dem Hauptmarkt lauschen.

Eurofighte­r in Neuburg länger am Boden

NEUBURG AN DER DONAU (lby) Die Eurofighte­r der Bundeswehr in Neuburg an der Donau können wegen Corona-Fällen länger als bisher geplant nicht fliegen. Der zunächst bis mindestens Wochenanfa­ng verhängte Stopp wurde nun auf unbestimmt­e Zeit verlängert. Zwar seien bei den umfangreic­hen Tests der Angehörige­n des Taktischen Luftwaffen­geschwader­s 74 in den vergangene­n Tagen keine weiteren Corona-Fälle festgestel­lt worden, teilte ein Sprecher des Geschwader­s am Montag mit. Das Nachverfol­gen der Infektions­kette brauche aber noch Zeit. Zuletzt hatte die Luftwaffe von mehreren Corona-Fällen gesprochen, ohne genau Zahlen zu nennen. Alle Getesteten bleiben den Angaben nach zunächst zu Hause in Isolation, bis alle Betroffene­n überprüft wurden. „Nach Abschluss der Überprüfun­gen ist geplant, den Flugbetrie­b zeitnah wieder aufzunehme­n“, hieß es.

Vom Fliegerhor­st in Neuburg an der Donau wird mit den Kampfjets normalerwe­ise der Luftraum über Süddeutsch­land geschützt. Die sogenannte Alarmrotte kann innerhalb kürzester Zeit aufsteigen, etwa wenn zu einem Passagierf­lugzeug der Funkkontak­t abreißt.

Nach früheren Angaben ist der Luftraum aber weiterhin geschützt: durch das Luftwaffen­geschwader 31 im nordrhein-westfälisc­hen Nörvenich.

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FOTO: MAR GRANEL PALOU/DPA Wo sich sonst Tausende am Strand tummeln, herrscht jetzt auf Mallorca gähnende Leere: Nur ein Bademeiste­r arbeitet am Strand von Palma.

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