Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ein Künstler mit Humor, kein Rassist

Diskussion um Münsterkri­ppe schlägt hohe Wellen – Kunsthisto­riker ordnet Urheber ein

- Von Dagmar Hub

ULM - Die Diskussion um die Krippe des in Neu-Ulm geborenen expression­istischen Künstlers Martin Scheible beschäftig­te im Oktober praktisch den gesamten deutschspr­achigen Raum. Der Kunsthisto­riker Marco Hompes, früher am Museum Ulm tätig und jetzt Leiter des Museums Villa Rot, hat sich 2016 intensiv mit dem Künstler Martin Scheible beschäftig­t und eine Ausstellun­g im Museum Ulm kuratiert, in der auch Krippenfig­uren Scheibles zu sehen waren.

Aus dieser Beschäftig­ung heraus hat der Kunsthisto­riker eine klare Einschätzu­ng: Er habe zu Martin Scheible nichts gefunden, was auf eine rassistisc­he Haltung hindeutet.

Der Kunstbeauf­tragte der evangelisc­hen Landeskirc­he in BadenWürtt­emberg war ein Künstler, der sich sehr ernsthaft mit sakraler Kunst beschäftig­te (was beispielsw­eise seine noch erhaltenen Arbeitsbüc­her belegen), der aber abseits der sakralen Kunst viel Humor bewies, wenn es um Details an seinen Darstellun­gen ging. Die Krippe, die Martin Scheible für die ihm nahe stehende Ulmer Familie Mößner schuf, ist (einschließ­lich der Vor-Figuren) seine einzige bekannte Krippe und es wäre gut, sie als Gesamtkuns­twerk in einem Museum zu zeigen, findet Hompes. Dort könne man sie wissenscha­ftlich einordnen und die Darstellun­gen vermitteln.

„Zur Krippe gehen ja meistens Kinder“, überlegt Marco Hompes. Möglicherw­eise waren die vielen Neffen und Nichten, die die Auftraggeb­er der Krippe das Kaufmannse­hepaar Julius und Emilie Mößner hatten, für Martin Scheible Beweggrund für die humorvolle­n Details, mit denen er die Krippe ausstattet­e. „Aber das ist reine Spekulatio­n“, sagt Hompes.

Fakt ist: Martin Scheible war über einen Schwager mit der Familie Mößner verwandt, die ihn künstleris­ch sehr schätzte, und kannte die Familienmi­tglieder, für die er die 26 Figuren aus Lindenholz schuf. Im Urmodell, in dem Maria, Josef und das Kind in der Krippe als Familie in einem Block gestaltet sind, ist auch ein Hund dabei, über den Marco Hompes schmunzelt. „Denn ein Hund hat ja mit einer Krippe eigentlich gar nichts zu tun.“Soweit bekannt, handelt es sich in der Darstellun­g um Scheibles Hund. Witzig gemeint war sicher auch der Hirte, der mit Cowboystie­feln samt Sporen auf einem Pferd sitzt. An Fantasie und an Lust an der Gestaltung scheint es Martin Scheible nicht gefehlt zu haben, der in späteren Jahren auch als Maler tätig war und Gedichte schrieb, die teilweise einen glossieren­den Unterton haben.

Als karikaturi­stisch empfindet Marco Hompes auch Züge der Scheible-Krippenfig­uren die Rauschebär­te der hellhäutig­en Könige beispielsw­eise oder eben der Umstand, dass der dunkelhäut­ige König dem Kind eine Brezel bringt. Man müsse sehen, dass das Bild anderer Kulturen in den 20er- und 30er-Jahren, als die Krippenfig­uren entstanden, exotischer geprägt war als heute. „Heute geht man damit differenzi­erter um“, sagt Hompes. Man müsse Werke aber aus ihrer Entstehung­szeit heraus einordnen.

Scheible, 1873 in Neu-Ulm geboren und gelernter Steinmetz, studierte in München, hatte dort mit einem Studienkol­legen bis 1901 ein Atelier und kehrte 1909 nach Ulm zurück. Vieles deutet darauf hin, dass sich Scheible in der Zeit des Nationalso­zialismus weder als widerständ­isch noch als Nationalso­zialist einordnen lässt, sondern sich politisch heraushiel­t und in die Malerei flüchtete.

Seine expression­istische Kunstausri­chtung dürfte ihn für die Nationalso­zialisten unattrakti­v gemacht haben. Zudem war Scheible Freimaurer.

Einen großen Unterschie­d sieht Marco Hompes darin, ob ein Kunstwerk in einer Kirche der Versunkenh­eit und Anbetung dient, oder ob es in einem Museum steht und dort künstleris­ch-wissenscha­ftlich vermittelt wird. „Der Schlüssel ist die Vermittlun­g des konkreten Kontextes.“Man könnte für das Münster eine zeitgenöss­ische Krippe anschaffen. Damit, Neues zu schaffen, habe er kein Problem. Allerdings dürfe man nicht den Urheber der Krippe aus der Sicht der heutigen Zeit einstufen.

Ein Wechsel der Krippe, für die nach mündlicher Überliefer­ung auch einige Ulmer Bürger als Modelle dienten, in ein Museum hätte allerdings einen Haken: Die Münstergem­einde habe sich gerne verpflicht­et, die Krippe jedes Jahr aufzustell­en, schrieb der frühere Münsterpfa­rrer Frank Banse.

Von Betroffenh­eit und Verärgerun­g unter den Nachfahren der Stifter berichtet Brigitte Kärn, Tochter von Mathilde Kärn, die 1992 gemeinsam mit Helene Klein die ScheibleKr­ippe dem Ulmer Münster stiftete. „Die Nachfahren sind äußerst betroffen, zum Teil aufgebrach­t über die Diskussion­en“, sagt sie. Der StifterGed­anke habe dem Münster gegolten, mit dem sich die Familie eng verbunden gefühlt habe.

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FOTO: DAGMAR HUB (REPRO) Martin Scheible um 1950 am Illerkanal in Neu-Ulm.
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FOTO: FURTHMAIR Gegenstand der Diskussion: die Figur des schwarzen Königs (li.).

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