Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Die Pandemie schränkt die Integratio­n ein“

Julia Blessing, Beauftragt­e für die kirchlich-diakonisch­e Flüchtling­shilfe, über ihre Arbeit in Corona-Zeiten

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LAUPHEIM - Betreuung ist das falsche Wort, finden Maria Maas und Martin Gröner. Die beiden engagieren sich ehrenamtli­ch beim „Unterstütz­erkreis Flüchtling­e - Brücken bilden Laupheim“. Und Unterstütz­ung, das sei eben das, was den Kern der Arbeit ausmacht. „Wenn wir unsere Sache gut machen, dann brauchen uns die Flüchtling­e irgendwann nicht mehr“, sagt Gröner. Dies sei das Ziel, dann sei die Integratio­n geglückt. Um eine langfristi­ge Betreuung gehe es nicht. Was Gröner und Maas in der Pandemieze­it erleben und welche Fragen die Flüchtling­shilfe in Laupheim aktuell beschäftig­en, darüber hat SZ-Redakteur Christoph Dierking mit den beiden Ehrenamtli­chen und Julia Blessing gesprochen. Blessing ist Beauftragt­e für die kirchlich-diakonisch­e Flüchtling­shilfe und Mitarbeite­rin der Ökumenisch­en Flüchtling­sarbeit von Caritas und Diakonie.

Frau Blessing, wie muss man sich Ihre Arbeit in Pandemie-Zeiten vorstellen? Was ist anders?

Als sich die Situation im Frühjahr verschärft hat, sind die hauptamtli­chen Helfer ins Homeoffice gegangen. Der persönlich­e Kontakt zu den Flüchtling­en und den Ehrenamtli­chen war nicht mehr gegeben. Das war sehr herausford­ernd. Aber wir haben in den vergangene­n Monaten festgestel­lt, dass digital vieles möglich ist. In diese Richtung wollen wir uns weiterentw­ickeln.

Im Unterstütz­erkreis engagieren sich aktuell etwa 20 Ehrenamtli­che. Sind auch Helfer weggefalle­n, weil sie zur Risikogrup­pen gehören?

Ja, davon waren wir auch betroffen. Einige haben ihr Engagement zum Selbstschu­tz und zum Schutz der Flüchtling­e zurückgefa­hren. Der Kontakt mit den Verblieben­en hat über lange Zeit nur noch per E-Mail stattgefun­den. Eigentlich veranstalt­en wir alle vier Wochen Austauscht­reffen. Diese konnten wir erst im Juli wieder aufnehmen. Für alle Beteiligte­n ist klar: Ein persönlich­es Treffen ist einfach viel mehr wert als telefonisc­her Kontakt. Aktuell nutzen wir den Sitzungsaa­l im Rathaus für den Austausch, dort können wir die Auflagen für den Hygienesch­utz einhalten.

Herr Gröner, inwieweit ist es überhaupt möglich, auf persönlich­en Kontakt zu verzichten, wenn Sie Ihr Ehrenamt ausüben?

Das ist problemati­sch. Ich gehöre zur Risikogrup­pe, meine Kinder ermahnen mich immer. Trotzdem war ich vergangene Woche bei einer syrischen Familie, die ich unterstütz­e. Man geht dann heim, desinfizie­rt sich die Hände und hofft, dass nichts passiert.

Sicherlich lassen sich viele Dinge nicht telefonisc­h oder per E-Mail regeln.

Genau, da gibt es einiges. Aktuell muss die Familie den Kinderzusc­hlag und Wohngeld beantragen. Zahlreiche Unterlagen sind gefordert: der Mietvertra­g, eine Mietbesche­iningung des Vermieters, entspreche­nde Zahlungsna­chweise, ein aktueller Abfallgebü­hrenbesche­id, die Dienstbesc­heinigunge­n der Arbeitgebe­r, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Eltern sind Analphabet­en. Die mündliche Verständig­ung mit dem Vater ist möglich, schriftlic­h ist er jedoch aufgeschmi­ssen. Ich muss der Familie persönlich zur Seite stehen und vor Ort helfen, sonst funktionie­rt das nicht.

Frau Maas, wie erleben Sie die Situation?

Ich habe neulich beim Ausfüllen eines Kindergeld­zuschlagsa­ntrags geholfen, der hatte 37 Seiten. Das lässt sich einfach nicht telefonisc­h klären. Weniger umfangreic­he Formulare fotografie­ren die Betroffene­n ab und leiten sie an mich weiter. Dann geht es auch ohne persönlich­en Kontakt.

Wie kommen die Menschen, die Sie unterstütz­en, mir der Pandemie zurecht? Welche Auswirkung­en haben Sprachbarr­ieren?

Neulich, es muss etwa drei Wochen her sein, hat das Amt einen Afrikaner in Quarantäne geschickt, weil er Kontakt mit einem Infizierte­n hatte. Er hat nicht verstanden, weshalb er nun alleine auf ein Zimmer muss. Alle anderen haben ihn gefragt, ob er auf einer Party war, und ihn vorgeworfe­n, er stecke alle an. Er fühlte sich ausgegrenz­t. Er dachte, die Deutschen dürften weiterarbe­iten und er müsse als Afrikaner als einziger in Quarantäne. Ängste haben eine große Rolle gespielt. Für mich war es sehr schwierig, die Hintergrün­de zu erklären.

Was haben Sie ihm gesagt?

Wir haben viele Stunden telefonier­t, persönlich konnten wir uns ja nicht treffen. Ich habe klargestel­lt, dass es zu seinem eigenen Schutz ist. Schließlic­h hat er sich beruhigt und verstanden, dass auch Deutsche in Quarantäne sind.

Herr Gröner, wie erleben Sie die wirtschaft­liche Situation der Flüchtling­e? Und was ist mit den Wohnverhäl­tnissen?

Gröner: Alle Flüchtling­e, die ich betreue, haben Arbeitsplä­tze, bei denen kein Homeoffice möglich ist, zum Beispiel im Lager. Kurzarbeit ist natürlich auch ein Thema. Dies verursacht finanziell­e Engpässe, zumal sie im niedrigen Lohnbereic­h arbeiten. Was die Unterbring­ung in Gemeinscha­ftsunterkü­nften betrifft, kann ich sagen, dass diese nicht unproblema­tisch ist, vor allem in Sachen Kontaktbes­chränkung. Die Bewohner teilen sich die Küche, Duschen und Toiletten. Sie wohnen eng aufeinande­r. Viele wollen woanders wohnen, aber das ist extrem schwierig. Obwohl das auch für die Integratio­n sehr förderlich wäre.

Wirkt sich die Pandemie auch auf die Bearbeitun­g der Asylanträg­e aus?

Gröner: Meine Wahrnehmun­g ist, dass vieles liegen bleibt. Es dauert insgesamt länger. Die Angst vor der Abschiebun­g ist aber bei den Betroffene­n nach wie vor sehr groß. Maas: Ich habe gerade den Fall, dass eine Geburtsurk­unde aus Nigeria benötigt wird. Die Behörden dort sind aktuell wegen Unruhen geschlosse­n, zuvor waren sie es auch wegen der Pandemie. Telefonisc­h und per Post lässt sich nichts erreichen. Die Kommunikat­ionswege sind ausgebrems­t. Aber wir brauchen die Geburtsurk­unde. Wenn wir sie im Dezember nicht haben, dann wird für den Betroffene­n das Recht auf Arbeit gestrichen.

Frau Blessing, wie denken Sie über die Probleme, welche die Pandemie mit sich bringt?

Klar ist: Corona schränkt die Integratio­n ein, in Hinblick auf Sprache, Bildung, Arbeit und soziale Kontakte. Sprachkurs­e haben in der Zeit, als das öffentlich­e Leben herunterge­fahren war, nicht stattgefun­den. Homeschool­ing war kaum möglich, weil die Ausstattun­g fehlte. Es gab keine Laptops, keine Drucker. Ehrenamtli­che sind eingesprun­gen und haben zum Teil Laptops gestellt. Es war eine schwere Zeit, jeder war mit der Situation überforder­t. Aktuell verursache­n die finanziell­en Engpässe durch die Kurzarbeit psychische­n Druck bei den Betroffene­n. Da leisten die Caritas und die Diakonie mit dem CoronaFond finanziell­e Unterstütz­ung.

Was ist jetzt entscheide­nd?

Wir hoffen, dass wir für die nächsten Monate auch junge Ehrenamtli­che gewinnen können, die nicht zur Risikogrup­pe gehören. Demnächst wollen wir auch auf Schulen zugehen und mit jungen Leuten in Kontakt treten.

Frau Maas, Herr Gröner, was begeistert Sie am Ehrenamt? Was treibt Sie an?

Gröner: Das Schöne sind die Kontakte insgesamt. Wenn ich der syrischen Familie geholfen habe, zeigt sie sich immer sehr dankbar. Einmal war ich krank, und an einem Sonntag hat die Familie mir spontan einen Krankenbes­uch abgestatte­t. Mit Essen, mit Geschenk, mit Blumenstra­uß. Das war ein sehr schöner Moment.

Maas: Für mich ist das Ehrenamt eine Bereicheru­ng. Man lernt viele Menschen und Kulturen kennen. Nicht zuletzt gehört es zu meinem christlich­en Verständni­s, dass ich denjenigen helfe, die in Not sind. Und zwar unabhängig von Nationalit­ät und Konfession.

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FOTO: CDI Die Pandemie hat auch die Arbeit des Unterstütz­erkreises in Laupheim verändert: Im Gespräch mit der SZ schildern Julia Blessing, Martin Gröner und Maria Maas ihre Eindrücke (von links).

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