Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Den geborenen Denunzianten gibt es nicht“
Corona-Verstöße melden: Ist das eine nötige Maßnahme gegen die Pandemie?
existieren verschiedene Überlegungen, was ein Denunziant überhaupt ist. Zusammengefasst handelt es sich um einen unterprivilegierten Menschen, der seine Machtgelüste, Hassgefühle und Rachefantasien durch die Denunziation ausleben kann. In aller Regel hat er schlechte Erfahrungen gemacht.
Welche Erfahrungen meinen Sie damit?
Ich spreche von psychosozialen Entwicklungsstörungen wie beispielsweise von schwierigen Familienverhältnissen, Problemen in der beruflichen Laufbahn oder charakterlichen Eigenschaften. Hierbei kann ich den Psychotherapeuten Wolfgang Albrecht zitieren. Demnach fühle sich der Denunziant im Recht zur Anzeige, weil sich aus seiner Sicht ein Ehegatte, Verwandter, Freund, Arbeitskollege oder Nachbar falsch verhalten hat. Eine Rolle spielt in den meisten Fällen immer ein geringes Selbstwertgefühl. Mit der Rache kann er sich eine narzisstische Euphorie
verschaffen, auch wenn diese nur von kurzer Dauer ist.
Bin ich automatisch ein Denunziant, wenn ich beispielsweise meinen Nachbarn verpfeife, weil er die Corona-Regeln ignoriert?
Nein, es gibt unterschiedliche Dinge in diesem Bereich, die man auseinanderhalten und diskutieren muss. Neben der Denunziation gibt es die Anzeige im Rahmen von schweren Straftaten wie Mord oder Vergewaltigung sowie den sogenannten Whistleblower. Bei schweren Straftaten ist man sogar verpflichtet, Anzeige zu erstatten.
Ist es in Ordnung, wenn man mit Blick auf die Corona-Regeln auch die Nachbarschaft im Blick hat?
Grundsätzlich ist es schwer zu kontrollieren, wie viele Menschen sich in einer Wohnung treffen. Man greift in höchstpersönliche Sphären ein und sollte sich auch mit Anschuldigungen zurückhalten. Im Wesentlichen geht es nur über Appelle – und nicht über eine Art Hilfspolizei. Sollte ein Nachbar sicher sein, CoronaRegeln werden missachtet, und ärgert sich darüber, sollte er erst einmal das Gespräch suchen.
Mit welchem Ziel soll ich mit dem Nachbarn sprechen?
In so einem Gespräch kann man zum Beispiel darauf hinweisen, dass das Verhalten nicht nur einem selbst schadet, sondern auch sogenannten Risikogruppen. Ändert sich nichts, und der Verdacht ist wirklich begründet, hat meines Erachtens ein Nachbar schon auch das Recht, dies zu melden. Es geht schließlich um die Gesundheit anderer Personen und Corona-Verstöße sind ja auch mit Strafen belegt.
Wie schmal ist denn der Grat zwischen Hobbypolizist und aufmerksamem Zeugen?
Natürlich gibt es da einen schmalen Grat. Allerdings wird es auch zu sehr hochgespielt. Ich würde sagen, das sind nur wenige, die Nachbarn, Freunde oder Familienmitglieder anschwärzen. Zudem glaube ich, die Appelle der Politik kommen in der Corona-Krise bei den meisten Menschen an.
Die Politik schwankt ja immer wieder zwischen Appellen und Bestrafung. Was bringt uns Menschen mehr dazu, unser Verhalten zu ändern?
(lacht) Es sollte eine gute Mischung aus Appellen und Bestrafung sein. Ich neige zu sagen, Appelle sind das Wichtigere. Sicherlich gibt es auch die ein oder anderen Gruppen, bei denen die mündlichen Aufforderungen auf taube Ohren stoßen. Da muss der Staat dann schon deutlich machen, dass die Überschreitung der Regeln Geld kostet und mit einer Strafe zu rechnen ist.