Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Empörung im Arbeitgeberlager
Südwestmetall weist die Lohnvorstellungen der IG Metall für die anstehende Tarifrunde scharf zurück
RAVENSBURG/STUTTGART - Der Arbeitgeberverband Südwestmetall hat die Forderungen der IG Metall für die anstehende Tarifrunde scharf zurückgewiesen. „Wir sind uns geschlossen einig: In der aktuellen Situation sehen wir überhaupt keinen Spielraum für Kostensteigerungen“, sagte der Verbandsvorsitzende Stefan Wolf am Donnerstag nach einer Sitzung der Verbandsgremien in Stuttgart: „Viele von uns benötigen doch gerade genau das Gegenteil: Entlastungen und niedrigere Arbeitskosten.“
Wolf kritisierte, dass die IG Metall zwar anerkenne, wie viel Beschäftigungssicherung angesichts der immensen Herausforderungen durch Corona und die Transformation, in der sich viele Unternehmen der Metallindustrie befinden, koste: „Aber das Geld dafür will sie erst einmal über eine kräftige Lohnerhöhung bei den Unternehmen einsammeln. An einen eigenen Beitrag der Beschäftigten denkt sie nicht. Das wird so nicht klappen.“
Am Montag hatte der Vorstand der IG Metall seine Empfehlung für die anstehende Tarifrunde verkündet. Demnach will die Gewerkschaft für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten in der deutschen Metall- und Elektroindustrie – 969 000 davon in Baden-Württemberg – ein Volumen von bis zu vier Prozent fordern. Davon soll ein Teil in normale Lohnerhöhungen fließen, ein anderer Teil in einen Lohnausgleich, falls Betriebe die Arbeitszeit auf eine Vier-TageWoche kürzen, um Jobs zu erhalten, sagte der Erste Vorsitzende Jörg Hofmann.
Die Empfehlung ist noch nicht die endgültige Forderung. Diese wird am 17. November in den regionalen Tarifkommissionen und noch einmal neun Tage später vom Vorstand abschließend beschlossen. So viel scheint aber sicher: Nachdem der 2018 abgeschlossene Tarifvertrag im Frühjahr 2020 ohne Tabellenerhöhung um weitere neun Monate verlängert wurde, will sich die IG Metall auf ein weiteres Stillhalten mit Lohnverzicht zur Sicherung von Arbeitsplätzen nicht mehr einlassen.
Das verspricht eine schwierige Tarifrunde, denn der SüdwestmetallChef warnte eindringlich davor, die passablen Ergebnisse einiger weniger Unternehmen im dritten Quartal als Zeichen einer deutlichen Erholung zu verstehen: „Das wäre ein Riesentrugschluss. Denn diese Ergebnisse sind größtenteils nur durch Einsparungen und Kostenentlastungen zustande gekommen, die nicht dauerhaft und nachhaltig sind.“Als Beispiele nannte Wolf die Kostenübernahme durch die Arbeitsagenturen bei der Kurzarbeit oder den Wegfall von Messeauftritten und Dienstreisen: „Hinzu kommen die erheblichen Unsicherheiten angesichts des hohen Corona-Infektionsgeschehens. Für das Gros der Firmen wird die vollständige Erholung länger dauern als erhofft. Derzeit kann ich mir nur schwer vorstellen, dass wir in der Fläche vor 2023 wieder das Vorkrisenniveau erreichen.“
Südwestmetall zufolge liegt der Auftragseingang der Metall- und Elektroindustrie von Januar bis September um 12,6 Prozent unter dem des entsprechenden Vorjahreszeitraums. Die Produktion ist im selben Zeitraum um 17,6 Prozent eingebrochen und die Kapazitätsauslastung liegt nach dem beispiellosen Absturz im Frühjahr dieses Jahres aktuell mit 80 Prozent noch immer deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt von 85 Prozent. Knapp 60 Prozent der Unternehmen in der Branche würden 2020 entweder Verluste schreiben oder eine Nettoumsatzrendite von weniger als zwei Prozent erwirtschaften – „ein Zustand, der keinen Spielraum für Wachstum und Investitionen und schon gar nicht für Entgeltsteigerungen lässt“, sagte der Geschäftsführer der SüdwestmetallBezirksgruppe Schwarzwald-Hegau, Markus Fink.
Ähnlich äußerte sich auch Gabriel Berger, Leiter Tarifpolitik beim Arbeitgeberverband Südwestmetall. „Vier Prozent in der Hochlohnbranche Metall und Elektro, in der das jährliche Durchschnittseinkommen bei 65 000 Euro liegt, ist ein starkes Stück“, sagte Berger. Mit dieser Forderung verschließe die IG Metall nicht nur die Augen vor der Realität, auch die Begründung des Gewerkschaftsvorstands zu Höhe und Struktur der Empfehlung sei nicht nachvollziehbar.
Traditionell berücksichtigt die IG Metall bei ihrer Entgeltforderung drei Komponenten: die Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent, die einen Reallohnverlust verhindern und die Kaufkraft stützen soll, einen Ausgleich für Produktivitätsteigerungen, um die Beschäftigten an der steigenden Wertschöpfung zu beteiligen, und eine Umverteilungskomponente, die den Arbeitern und Angestellten ihren Anteil am wirtschaftlichen Erfolg und dem gewachsenen Wohlstand sichern sollen. Doch die Inflation in Baden-Württemberg liege seit geraumer Zeit bei Null Prozent, und eine Produktivität von gut einem Prozent werde der Realität nicht mal ansatzweise gerecht, kritisiert Berger. Entsprechend mies sei die Stimmung in den Mitgliedsunternehmen.
Südwestmetall-Chef Wolf kündigte an, dass die Arbeitgeber mit klaren Positionen in die kommende Tarifrunde gehen werden: „Dazu gehören für 2021 neben dem Verzicht auf Kostensteigerungen auch dringende Entlastungen für Firmen, die wirtschaftliche Probleme haben – und zwar automatisch nach klaren Kennzahlen.“Zudem strebe man – sofern unter Corona-Bedingungen überhaupt verhandelt werden könne – eine möglichst lange Laufzeit an, um den Unternehmen Planungssicherheit bei der Bewältigung der Pandemiefolgen und der Transformation zu geben: „Und wir sollten der IG Metall gleich zu Beginn verdeutlichen, dass wir klare, einfache Tariflösungen wollen, die die Betriebe nicht noch bei der Umsetzung zusätzlich belasten.“
Erste Verhandlungen mit der IG Metall soll es Mitte Dezember geben. Warnstreiks sind nach Ablauf der Friedenspflichten vom 1. März 2021 an möglich.