Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Chef verzweifelt gesucht
Neuer Leiter des Gesundheitsamts nicht in Sicht – Keine einzige Bewerbung trotz Ausschreibung
ULM - Viel Druck bei verhältnismäßig wenig Gehalt. Das ist einer der Gründe, warum Chefposten von Gesundheitsämtern nicht gerade begehrt sind bei Medizinern. Auch die Spitze des gemeinsamen Gesundheitsamts für die Stadt Ulm und den Alb-Donau-Kreis ist verwaist. Bei der jüngsten Stellenausschreibung ging nicht eine Bewerbung ein.
Es sollen persönliche Gründe gewesen sein, die die bisherige Chefin des Gesundheitsamtes Ulm/Alb-Donau dazu bewogen haben, ihren Arztkittel in der Ulmer Schillerstraße an den Nagel zu hängen. Nach nicht einmal neun Monaten im Amt kehrte Dr. Barbara Unger im Spätsommer dem dortigen Gesundheitsamt den Rücken.
Die Einrichtung, die zuständig ist für rund 330 000 Menschen in Ulm und im Alb-Donau-Kreis, ist unter dem Dach des Landratsamtes des Alb-Donau-Kreises angesiedelt. Und die Verwaltung des Landratsamtes sowie das baden-württembergische Sozialministerium, welches für die Wiederbesetzung der Stelle zuständig ist (weil es sich um eine Bediensteten-Stelle des Landes handelt), stehen wieder bei Null.
Gesundheitsämter gehen wichtigen Aufgaben nach – jetzt noch viel mehr in diesen unruhigen CoronaZeiten. Sie sind es, die die Bevölkerung vor gesundheitlichen Gefahren schützen und ermitteln sollen, wo sich Menschen anstecken und die die berüchtigte (weil extrem aufwändige) Kontaktverfolgung betreiben müssen.
Schnell wurde die Leiter-Stelle nach Ungers Abschied ausgeschrieben, die Bewerbungsfrist endete im September. Doch: Es trudelte keine einzige Bewerbung ein beim Sozialministerium in Stuttgart. Die Ausschreibung sei „leider erfolglos“geblieben, so ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“.
Bedauern darüber ist auch im Landratsamt in der Ulmer Schillerstraße
zu vernehmen. Denn natürlich muss der dortige „Fachdienst 33 – Gesundheit“, wo das Gesundheitsamt formal angesiedelt ist, seine Aufgaben trotz fehlendes Chefs erledigen.
Diesen Job teilen sich derzeit kommissarisch Marc Bierkamp, der beim Landratsamt aber eigentlich eine ganz andere Aufgabe hat. Er ist bereits Chef des Fachdienstes „Flurneuordnung“. Ihm zur Seite steht in Christoph Bauer aber ein Fachmann. Bauer leitet das Gesundheitsamt des benachbarten Landkreises Heidenheim, zu 40 Prozent ist er derzeit an das Gesundheitsamt in Ulm abgeordnet.
Die momentane Aufgabenteilung lautet: Bierkamp ist zuständig für das Organisatorische, Bauer fürs Fachlich-Medizinische. Doch um eine „Dauerlösung“, so teilt das Landratsamt in Ulm mit, könne es sich dabei nicht handeln, lediglich um eine „Übergangslösung“. Denn: Die beiden Fachleute werden natürlich auch in den ihnen eigentlich zugedachten Bereichen benötigt. Die Zeit, die sie aufbringen, um die Lücke an der Spitze des Gesundheitsamtes zu stopfen, fehlt an anderer Stelle.
Warum die ausgeschriebene Stelle auf bislang so wenig Resonanz gestoßen ist? Ein Sprecher des Sozialministeriums kann nur mutmaßen: womöglich zum einen wegen der Besoldung. Zwar würde der Leiter des Gesundheitsamtes in der Gehaltsklasse A 16 eingestuft, die Spanne reicht hier von 6200 bis 7800 Euro monatlich (brutto). Viel Geld, allerdings könnten Ärzte mit ähnlicher Qualifikation als Ober- oder gar Chefartzt in anderer Anstellung deutlich mehr verdienen.
Verschärft werde die Situation, so der Ministeriumssprecher, durch die derzeitige Pandemie. Ärzte seien noch gefragter als schon zuvor. „In der aktuellen Lage ist es sehr schwierig, eine Stelle, die mit solch’ besonderen Herausforderungen verbunden ist, zu besetzen.“
Der Zeitpunkt könnte Interessenten für den Posten in Ulm abschrecken. Das Ende der Pandemie ist noch nicht in Sicht, ein neuer Leiter würde inmitten der größten Gesundheitskrise der jüngeren Geschichte seine neue Stelle antreten. Das klingt nicht gerade verlockend. Womöglich könnte der Leiterposten des Gesundheitsamtes im Alb-Donau-Landratsamt deshalb ein „heißer Stuhl“für Interessenten sein, wie im Sozialministerium gemutmaßt wird.
Das Gesundheitsamt für Ulm und den Alb-Donau-Kreis ist derzeit an mehreren Stellen personell in Not. Nicht nur lässt sich kein Leiter finden – sondern auch kein Stellvertreter. Auch diese Stelle ist derzeit vakant. Und auch hier habe das Land, so ein Sprecher des Landratsamtes, bislang „keine Neubesetzung realisieren können“.
Doch das ist noch nicht alles. Auch zweieinhalb zusätzliche Arztstellen, die das Land dem Gesundheitsamt im Landratsamt zugesagt habe, seien noch nicht vollständig besetzt. Eine Folge (nicht nur wegen vakanten Posten) unter anderem: „Leistungseinschränkungen“in anderen Fachbereichen des Landratsamtes.
Nicht nur in Ulm zeigt sich, dass der Öffentliche Gesundheitsdienst vor allem für „Liebhaber“der Materie interessant scheint. Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst teilt auf seiner Homepage mit, dass Mediziner auf diesem Sektor durch die Tarifregelungen gegenüber Ärzten an kommunalen Krankenhäusern, an Universitätskliniken oder beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) „erheblich benachteiligt“seien (in erster Linie finanziell). Folge: Nicht nur das hiesige, sondern auch weitere Gesundheitsämter im Land finden nur schwer jemanden, der die Leiterposition übernehmen möchte.
Dabei bekennt die Politik zumindest, dass sie das Problem erkannt habe. Sie will mehr investieren in den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Das Landratsamt für den Alb-DonauKreis will voran gehen und das Personal im Gesundheitsamt von sich aus deutlich aufstocken. Dies kündigte Landrat Heiner Scheffold zuletzt bei der Einbringung des neuen Haushalts für 2021 an. Er sprach von mehr als 30 Personen zusätzlich für den „Fachdienst Gesundheit“.
Im Ministerium wolle man natürlich nichts unversucht lassen, schnellstmöglich doch noch fündig zu werden. Die Leiter-Stelle wird erneut ausgeschrieben. Dabei will das Ministerium auch „alternative Wege“beschreiten, um geeignete Bewerbungen zu bekommen. Statt einer herkömmlichen Ausschreibung könnte dies bedeuten, dass man auf die Dienste von Headhuntern setzt und über die Sozialen Medien trommelt. Der Sprecher des Ministeriums stellt klar: „Ulm braucht dringend einen neuen Leiter des Gesundheitsamtes.“
Wann es soweit sein wird, ist unklar. Solange aber muss sich das Gesundheitsamt weiter auch mit Ärzten behelfen, die eigentlich im Ruhestand sind. Denn auch das „normale“ärztliche Personal des Gesundheitsamts ist aktuell dezimiert. Das Landratsamt spricht von „Krankheitsfällen“.
Immerhin: Es soll sich nicht um Corona-Infektionen handeln.