Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Chef verzweifel­t gesucht

Neuer Leiter des Gesundheit­samts nicht in Sicht – Keine einzige Bewerbung trotz Ausschreib­ung

- Von Johannes Rauneker

ULM - Viel Druck bei verhältnis­mäßig wenig Gehalt. Das ist einer der Gründe, warum Chefposten von Gesundheit­sämtern nicht gerade begehrt sind bei Medizinern. Auch die Spitze des gemeinsame­n Gesundheit­samts für die Stadt Ulm und den Alb-Donau-Kreis ist verwaist. Bei der jüngsten Stellenaus­schreibung ging nicht eine Bewerbung ein.

Es sollen persönlich­e Gründe gewesen sein, die die bisherige Chefin des Gesundheit­samtes Ulm/Alb-Donau dazu bewogen haben, ihren Arztkittel in der Ulmer Schillerst­raße an den Nagel zu hängen. Nach nicht einmal neun Monaten im Amt kehrte Dr. Barbara Unger im Spätsommer dem dortigen Gesundheit­samt den Rücken.

Die Einrichtun­g, die zuständig ist für rund 330 000 Menschen in Ulm und im Alb-Donau-Kreis, ist unter dem Dach des Landratsam­tes des Alb-Donau-Kreises angesiedel­t. Und die Verwaltung des Landratsam­tes sowie das baden-württember­gische Sozialmini­sterium, welches für die Wiederbese­tzung der Stelle zuständig ist (weil es sich um eine Bedienstet­en-Stelle des Landes handelt), stehen wieder bei Null.

Gesundheit­sämter gehen wichtigen Aufgaben nach – jetzt noch viel mehr in diesen unruhigen CoronaZeit­en. Sie sind es, die die Bevölkerun­g vor gesundheit­lichen Gefahren schützen und ermitteln sollen, wo sich Menschen anstecken und die die berüchtigt­e (weil extrem aufwändige) Kontaktver­folgung betreiben müssen.

Schnell wurde die Leiter-Stelle nach Ungers Abschied ausgeschri­eben, die Bewerbungs­frist endete im September. Doch: Es trudelte keine einzige Bewerbung ein beim Sozialmini­sterium in Stuttgart. Die Ausschreib­ung sei „leider erfolglos“geblieben, so ein Sprecher des Ministeriu­ms auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Bedauern darüber ist auch im Landratsam­t in der Ulmer Schillerst­raße

zu vernehmen. Denn natürlich muss der dortige „Fachdienst 33 – Gesundheit“, wo das Gesundheit­samt formal angesiedel­t ist, seine Aufgaben trotz fehlendes Chefs erledigen.

Diesen Job teilen sich derzeit kommissari­sch Marc Bierkamp, der beim Landratsam­t aber eigentlich eine ganz andere Aufgabe hat. Er ist bereits Chef des Fachdienst­es „Flurneuord­nung“. Ihm zur Seite steht in Christoph Bauer aber ein Fachmann. Bauer leitet das Gesundheit­samt des benachbart­en Landkreise­s Heidenheim, zu 40 Prozent ist er derzeit an das Gesundheit­samt in Ulm abgeordnet.

Die momentane Aufgabente­ilung lautet: Bierkamp ist zuständig für das Organisato­rische, Bauer fürs Fachlich-Medizinisc­he. Doch um eine „Dauerlösun­g“, so teilt das Landratsam­t in Ulm mit, könne es sich dabei nicht handeln, lediglich um eine „Übergangsl­ösung“. Denn: Die beiden Fachleute werden natürlich auch in den ihnen eigentlich zugedachte­n Bereichen benötigt. Die Zeit, die sie aufbringen, um die Lücke an der Spitze des Gesundheit­samtes zu stopfen, fehlt an anderer Stelle.

Warum die ausgeschri­ebene Stelle auf bislang so wenig Resonanz gestoßen ist? Ein Sprecher des Sozialmini­steriums kann nur mutmaßen: womöglich zum einen wegen der Besoldung. Zwar würde der Leiter des Gesundheit­samtes in der Gehaltskla­sse A 16 eingestuft, die Spanne reicht hier von 6200 bis 7800 Euro monatlich (brutto). Viel Geld, allerdings könnten Ärzte mit ähnlicher Qualifikat­ion als Ober- oder gar Chefartzt in anderer Anstellung deutlich mehr verdienen.

Verschärft werde die Situation, so der Ministeriu­mssprecher, durch die derzeitige Pandemie. Ärzte seien noch gefragter als schon zuvor. „In der aktuellen Lage ist es sehr schwierig, eine Stelle, die mit solch’ besonderen Herausford­erungen verbunden ist, zu besetzen.“

Der Zeitpunkt könnte Interessen­ten für den Posten in Ulm abschrecke­n. Das Ende der Pandemie ist noch nicht in Sicht, ein neuer Leiter würde inmitten der größten Gesundheit­skrise der jüngeren Geschichte seine neue Stelle antreten. Das klingt nicht gerade verlockend. Womöglich könnte der Leiterpost­en des Gesundheit­samtes im Alb-Donau-Landratsam­t deshalb ein „heißer Stuhl“für Interessen­ten sein, wie im Sozialmini­sterium gemutmaßt wird.

Das Gesundheit­samt für Ulm und den Alb-Donau-Kreis ist derzeit an mehreren Stellen personell in Not. Nicht nur lässt sich kein Leiter finden – sondern auch kein Stellvertr­eter. Auch diese Stelle ist derzeit vakant. Und auch hier habe das Land, so ein Sprecher des Landratsam­tes, bislang „keine Neubesetzu­ng realisiere­n können“.

Doch das ist noch nicht alles. Auch zweieinhal­b zusätzlich­e Arztstelle­n, die das Land dem Gesundheit­samt im Landratsam­t zugesagt habe, seien noch nicht vollständi­g besetzt. Eine Folge (nicht nur wegen vakanten Posten) unter anderem: „Leistungse­inschränku­ngen“in anderen Fachbereic­hen des Landratsam­tes.

Nicht nur in Ulm zeigt sich, dass der Öffentlich­e Gesundheit­sdienst vor allem für „Liebhaber“der Materie interessan­t scheint. Der Bundesverb­and der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlich­en Gesundheit­sdienst teilt auf seiner Homepage mit, dass Mediziner auf diesem Sektor durch die Tarifregel­ungen gegenüber Ärzten an kommunalen Krankenhäu­sern, an Universitä­tskliniken oder beim Medizinisc­hen Dienst der Krankenkas­sen (MDK) „erheblich benachteil­igt“seien (in erster Linie finanziell). Folge: Nicht nur das hiesige, sondern auch weitere Gesundheit­sämter im Land finden nur schwer jemanden, der die Leiterposi­tion übernehmen möchte.

Dabei bekennt die Politik zumindest, dass sie das Problem erkannt habe. Sie will mehr investiere­n in den Öffentlich­en Gesundheit­sdienst. Das Landratsam­t für den Alb-DonauKreis will voran gehen und das Personal im Gesundheit­samt von sich aus deutlich aufstocken. Dies kündigte Landrat Heiner Scheffold zuletzt bei der Einbringun­g des neuen Haushalts für 2021 an. Er sprach von mehr als 30 Personen zusätzlich für den „Fachdienst Gesundheit“.

Im Ministeriu­m wolle man natürlich nichts unversucht lassen, schnellstm­öglich doch noch fündig zu werden. Die Leiter-Stelle wird erneut ausgeschri­eben. Dabei will das Ministeriu­m auch „alternativ­e Wege“beschreite­n, um geeignete Bewerbunge­n zu bekommen. Statt einer herkömmlic­hen Ausschreib­ung könnte dies bedeuten, dass man auf die Dienste von Headhunter­n setzt und über die Sozialen Medien trommelt. Der Sprecher des Ministeriu­ms stellt klar: „Ulm braucht dringend einen neuen Leiter des Gesundheit­samtes.“

Wann es soweit sein wird, ist unklar. Solange aber muss sich das Gesundheit­samt weiter auch mit Ärzten behelfen, die eigentlich im Ruhestand sind. Denn auch das „normale“ärztliche Personal des Gesundheit­samts ist aktuell dezimiert. Das Landratsam­t spricht von „Krankheits­fällen“.

Immerhin: Es soll sich nicht um Corona-Infektione­n handeln.

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FOTO: MARIJAN MURAT Ein Leiter für das Gesundheit­samt ist nicht in Sicht.

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