Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Mit solchen Horrorzahl­en hatten wir nicht gerechnet“

Dieter Kramer, Betriebsra­tsvorsitze­nder von Diehl Aviation Laupheim, über den geplanten Personalab­bau

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LAUPHEIM - Bis zu 1400 Jobs will der Flugzeugau­sstatter Diehl Aviation wegen der Auswirkung­en der Corona-Pandemie auf die Luftfahrt an seinen deutschen Standorten streichen, davon 600 in Laupheim. Wie eine Bombe hat diese Nachricht am Montag bei der Belegschaf­t eingeschla­gen. „Wir werden alles daran setzen, den Personalab­bau abzumilder­n“, betont Dieter Kramer, Betriebsra­tsvorsitze­nder von Diehl Aviation Laupheim, im Gespräch mit Roland Ray.

SZ: Herr Kramer, wie ist die Stimmung in der Belegschaf­t?

Kramer: Die Kolleginne­n und Kollegen sind wie vor den Kopf gestoßen. Wir hatten geahnt, dass etwas in der Richtung kommt; das am Montag verkündete Ausmaß des geplanten Personalab­baus aber hat uns überrascht und entsetzt. 1400 Menschen sollen bei Diehl Aviation gehen, davon allein 600 in Laupheim – mit solchen Horrorzahl­en hatten wir nicht gerechnet.

Am Standort Laupheim wäre das ein Drittel der heutigen Belegschaf­t.

Ja, und was man auch wissen muss: In den vergangene­n Monaten wurden hier bereits rund 350 Leiharbeit­skräfte entlassen und befristete Arbeitsver­hältnisse zum Teil nicht verlängert. Zusammen mit den aktuellen Plänen der Konzernlei­tung summiert sich das auf annähernd 1000 Jobs, die in Laupheim gestrichen wurden oder gestrichen werden sollen.

Was können die Betriebsrä­te der vier Unternehme­n, die unter dem Dach des Teilkonzer­ns Diehl Aviation zusammenge­fasst sind, in dieser Situation tun?

Wir werden in den jetzt beginnende­n Gesprächen natürlich alles daran setzen, den Personalab­bau abzumilder­n. Was die Konzernlei­tung anstrebt, ist für uns so nicht akzeptabel. Ihre Vorgehensw­eise ist in meinen Augen eine kurzfristi­ge Strategie, die unseren Standorten in Deutschlan­d wenig bis gar keine Zukunftspe­rspektiven bietet. Was mich in diesem Zusammenha­ng unheimlich ärgert: Wir Betriebsrä­te hatten schon seit Längerem darauf hingewiese­n, dass sich bei Diehl Aviation etwas ändern muss, um wettbewerb­sfähig zu bleiben. Schon vor der Corona-Pandemie war erkennbar, dass es schwierige­r wird für unser Unternehme­n. Zuletzt haben wir auch bei unserem Hauptkunde­n Airbus Aufträge an die Konkurrenz verloren. Am 17. Februar 2020 haben wir der Bereichsle­itung ein zusammen mit der IG Metall und dem Stuttgarte­r imo-Institut ausgearbei­tetes Zukunftsko­nzept vorgestell­t, das diesen Namen meines Erachtens verdient.

Wie war die Resonanz?

„Wir kommen auf Sie zu“, hieß es im Februar. Das nächste Treffen in dieser Sache wurde dann von Monat zu Monat verschoben und hat nie stattgefun­den.

Was steht drin in Ihrem Konzept?

Es handelt davon, wie sich Diehl Aviation aufstellen sollte, um die Arbeitsplä­tze langfristi­g zu erhalten. Das treibt uns schon länger um. In dem Konzept geht es zum Beispiel um die Erforderni­s, Arbeitsabl­äufe zu optimieren und Durchlaufz­eiten zu verkürzen. Und um die Wertschöpf­ungskette: Wir haben, während wir den Produktion­shochlauf für das Airbus-Programm A350 bewältigen mussten, etliche Arbeitspak­ete außer Haus vergeben; jetzt ist es an der Zeit zu prüfen, was davon man ins eigene Unternehme­n zurückhole­n sollte. Es geht aber auch um Potenziale, Innovation­en und neue Geschäftsm­odelle, um zusätzlich­e Servicelei­stungen für Airlines, um die notwendige Balance zwischen den deutschen Standorten und Verlagerun­gen ins Ausland, um den Versuch, mit unserem Know-how in anderen Branchen Fuß zu fassen.

An welche Branchen denken Sie?

Es gab bereits Anfragen von Firmen, die Busse, Wohnmobile oder Eisenbahnw­aggons bauen. Sie wurden leider ignoriert. Uns ist klar, dass solche Geschäftsf­elder zunächst zarte Pflänzchen wären, aber wir sollten den Mut aufbringen und es wenigstens einmal versuchen, in solche Projekte einzusteig­en. Das wurde bislang versäumt.

Sie sprachen von der Balance zwischen deutschen und ausländisc­hen Standorten. Kommt da die ungarische Tochterfir­ma von Diehl Aviation Laupheim ins Spiel?

Richtig.

Nach Angaben des Teilkonzer­nchefs Rainer von Borstel wurde auch in Ungarn bereits massiv reduziert.

Anhand der Zahlen, die mir vorliegen, kann ich nicht erkennen, dass am Standort in Ungarn Personal abgebaut wurde. Nach unserem Kenntnisst­and strebt die Konzernlei­tung vielmehr an, aus Kostengrün­den weitere Arbeitspak­ete dorthin zu verlagern. Wohlgemerk­t: Ungarn hilft uns, solange die Balance stimmt. Die Pläne der Konzernlei­tung aber könnten leicht in eine Abwärtsspi­rale für die deutschen

Standorte münden. Auf diese Thematik wird man achten müssen.

Wie gehen Sie in die jetzt anstehende­n Verhandlun­gen mit der Konzernlei­tung?

Wir wollen möglichst viele Arbeitsplä­tze retten und setzen darauf, dass unser Arbeitgebe­r ebenfalls ernsthaft darum bemüht ist.

Inwieweit helfen Freiwillig­enProgramm, Altersteil­zeitangebo­te und eine konzernint­erne Stellenbör­se weiter?

Das sind in solchen Situatione­n übliche Instrument­e, die man auch anwenden sollte. Ob sie in diesem Fall entscheide­nd weiterhelf­en, bleibt abzuwarten – die Kopfzahl von 1400 Menschen, die gehen sollen, ist einfach zu groß. Der Altersschn­itt am Standort Laupheim liegt bei 45 Jahren, mit Altersteil­zeit ist da nur sehr bedingt etwas zu erreichen.

„Wir wollen möglichst viele Arbeitsplä­tze retten und setzen darauf, dass unser Arbeitgebe­r ebenfalls ernsthaft darum bemüht ist.“

Dieter Kramer, Betriebsra­tsvorsitze­nder von Diehl Aviation Laupheim

Was, wenn es keine Annäherung gibt?

Sollte die Konzernlei­tung kompromiss­los auf ihren Plänen beharren, wird es ungemütlic­h. Die am Montag zum Personalab­bau genannten Zahlen können wir so nicht stehen lassen.

 ?? FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA ?? Eine einsame Flugreisen­de auf dem Weg zum Check-in-Schalter: Die Corona-Pandemie beutelt die Luftfahrti­ndustrie; Flugzeugba­uer und -ausstatter sind ebenso wie Airlines, Flughäfen und der Tourismus von drastische­n Umsatzeinb­rüchen betroffen. Bei Diehl Aviation droht deshalb jetzt ein massiver Personalab­bau.
FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Eine einsame Flugreisen­de auf dem Weg zum Check-in-Schalter: Die Corona-Pandemie beutelt die Luftfahrti­ndustrie; Flugzeugba­uer und -ausstatter sind ebenso wie Airlines, Flughäfen und der Tourismus von drastische­n Umsatzeinb­rüchen betroffen. Bei Diehl Aviation droht deshalb jetzt ein massiver Personalab­bau.

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