Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die zweite Welle trifft die Altenheime

Gesundheit­sminister Lucha in der Kritik – Zahlen sind aber nicht so hoch wie im Frühjahr

- Von Theresa Gnann

STUTTGART - Argenbühl, Bad Schussenri­ed, Bad Waldsee, Riedlingen, Baienfurt – Fast täglich melden Alten- oder Pflegeheim­e in der Region neue Corona-Fälle. Mit der Zahl der Infizierte­n wächst auch die Kritik am baden-württember­gischen Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne). Der habe die Vorbereitu­ngen auf die seit Langem zu erwartende zweite Welle verschlafe­n, hieß es zuletzt von SPD-Fraktionsc­hef Andreas Stoch. Lucha sei planlos und habe kein Schutzkonz­ept. Aber stimmt das? Und wie gut sind die Altenund Pflegeheim­e in BadenWürtt­emberg auf die zweite Welle vorbereite­t?

Bernhard Schneider hält die Vorwürfe gegenüber Lucha für überzogen. Schneider ist Hauptgesch­äftsführer der Evangelisc­hen Heimstiftu­ng, zu der unter anderem Einrichtun­gen in Friedrichs­hafen, Isny und Wangen gehören. Mit insgesamt 86 Pflegeheim­en ist sie der größte Träger stationäre­r Pflegeeinr­ichtungen in Baden-Württember­g. „Die Corona-Pandemie hat im Frühjahr alle überrollt“, sagt Schneider. „Wir haben einen Minister erlebt, der sich von Anfang an für schnelle und gute Lösungen für die Pflege eingesetzt hat. Da mag nicht jeder Wurf ein Treffer gewesen sein – planlos war es deshalb aber sicher nicht.“

Etwas kritischer äußert sich Mirko Hohm, Leiter des Bereichs Ältere Menschen und Pflege beim Paritätisc­hen Wohlfahrts­verband BadenWürtt­emberg. „Es gab immer wieder Pannen, vor allem in der Kommunikat­ion“, sagt er. „Bei den Besuchen zum Beispiel hat Herr Lucha gesagt, die Einrichtun­gen müssten die Kontakte nicht mehr aktiv erfassen. Eine Woche später musste er zurückrude­rn. Das führt natürlich in den Einrichtun­gen zu einer Verunsiche­rung.“Außerdem fehle häufig ein direkter Draht zu den Gesundheit­sämtern. „Es kann nicht sein, dass sich Altenheime wie jeder andere Bürger über die Hotline melden müssen, wo sie dann womöglich in der Warteschle­ife hängen“, klagt Hohm. „Wenn es in einer solchen Einrichtun­g zu einem Ausbruchsg­eschehen kommt, muss es schnell gehen. Klar sind die Gesundheit­sämter überforder­t, aber darauf hätte man sich besser vorbereite­n können.“

Auch Harald Blocher, Sprecher der Stiftung St. Franziskus Heiligenbr­onn, zu der unter anderem zwei Einrichtun­gen in Tuttlingen gehören, blickt mit Sorge auf die kommenden Monate. „Aus Sicht der Stiftung gibt es im Rahmen der Corona-Pandemie viele Abstimmung­s- und Verantwort­ungsproble­me zwischen Landesregi­erung und den Stadt- und Landkreise­n. Theoretisc­h sollte alles geregelt sein, ist es aber nicht“, sagt er. Bis heute kämpfe man etwa mit der Frage um coronabedi­ngte Mehrkosten für Masken, Schutzklei­dung und Hygienemit­tel. „Die zweite Welle ist natürlich hart, weil viele Mitarbeite­r sehr erschöpft sind und es im Sommer nicht wirklich Zeit gab, um neue Kräfte zu sammeln“, sagt er. „Uns macht große Sorge, wie die nächsten Monate verlaufen werden. Die Aussicht auf einen Impfstoff im nächsten Sommer ist noch sehr weit weg.“

Lucha wehrt sich gegen die Vorwürfe. Der Schutz vulnerable­r Gruppen habe für das Land oberste Priorität. Die Ausbrüche in Altenheime­n seien im Vergleich zum Frühjahr stark zurückgega­ngen, sie machen nur noch einen Bruchteil der Infektions­zahlen im Frühjahr aus. „Ausreichen­d

Schutzausr­üstung, HygieneKon­zepte, regelmäßig­e PCR-Tests, straffe Besuchsreg­elungen etc. haben dazu geführt, dass die meisten Heime das Infektions­geschehen einigermaß­en unter Kontrolle halten können“, schreibt er in einem Statement. „Im Vergleich zum Frühjahr sind Alten- und Pflegeheim­e keine Hotspots mehr.“

Tatsächlic­h sind die aktuellen Infektions­zahlen an Alten- und Pflegeheim­en im Land noch weit von denen im Frühjahr entfernt: Seit Beginn des Wiederanst­iegs der Fallzahlen Anfang Oktober wurden bislang 92 Ausbrüche in Pflegeheim­en mit insgesamt 1316 Infektions­fällen, darunter bislang 96 Todesfälle­n übermittel­t, teilt das Gesundheit­sministeri­um mit. Im Vergleichs­zeitraum der ersten Welle von der elften bis zur 18. Kalenderwo­che bis zum starken Abfall der Fallzahlen waren es insgesamt 170 Ausbrüche mit 3198 Fällen, darunter 598 Todesfälle.

Dabei haben sich die Maßnahmen in Alten- und Pflegeheim­en im Vergleich zum Frühjahr nicht wesentlich verändert. Neu sind vor allem die sogenannte­n Schnelltes­ts. Sie funktionie­ren nach einem ähnlichen Prinzip wie Schwangers­chaftstest­s, sind nicht ganz so genau wie PCR-Tests, dafür liegt ihr Ergebnis jedoch normalerwe­ise innerhalb von 30 Minuten vor. Viele Träger im Land hatten gehofft, mithilfe der Schnelltes­ts die zweite Pandemiewe­lle besser bewältigen zu können. Das Problem aus ihrer Sicht: Die Beschaffun­g der Tests erfolgt nicht über das Land, sondern von den Einrichtun­gen selbst.

„Bei den Schnelltes­ts hätten wir uns mehr Unterstütz­ung von Bund und Land gewünscht. Es war ja klar, dass mit der Ankündigun­g einer nationalen Teststrate­gie Mitte Oktober der Run auf die Antigen-Schnelltes­ts losgehen wird“, sagt Schneider von der Evangelisc­hen Heimstiftu­ng. „Es wäre gut gewesen, wenn Bund und Länder schon frühzeitig Tests beschafft und den Pflegeheim­en großzügig und zur eigenveran­twortliche­n Umsetzung ihrer Testkonzep­te zur Verfügung gestellt hätten. So versucht jetzt jedes Pflegeheim, in harter Konkurrenz zu vielen anderen zahlungskr­äftigen Kunden, sich auf dem Weltmarkt die nötigen Tests zu beschaffen – kein leichtes Unterfange­n, selbst für uns als großes Pflegeunte­rnehmen“, sagt Schneider.

Vertreter der Opposition hatten diese Woche außerdem bemängelt, die Landesregi­erung habe sich auch bei der Bestellung von fünf Millionen Corona-Schnelltes­ts als Notreserve zu viel Zeit gelassen. Doch auch diese Kritik wies Lucha zurück. Man sei unmittelba­r nach der Genehmigun­g durch den Finanzauss­chuss zügig in das Vergabever­fahren eingestieg­en. Zudem schränkt er in seinem Statement die Erwartunge­n an die Tests ein. AntigenSch­nelltests könnten zwar dabei helfen, das Infektions­geschehen unter Kontrolle zu halten, sie seien aber kein Allheilmit­tel, sondern stellten nur eine Momentaufn­ahme des aktuellen Infektions­geschehens dar.

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) stärkte seinem Parteifreu­nd den Rücken. Zur Forderung von SPD-Parteichef Andreas Stoch, Lucha aufgrund handwerkli­cher Fehler und Planlosigk­eit die Zuständigk­eit für das CoronaKris­enmanageme­nt zu entziehen, sagte Kretschman­n: „Das werde ich nicht tun. Ich wüsste nicht warum.“Natürlich gebe es immer etwas zu verbessern, „aber wir sind ein lernendes System in der Corona-Krise“.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Immer öfter gibt es in der Region Ausbrüche in Altenheime­n.

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