Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Der Einsatz wird sich lohnen“

Wirtschaft­sstaatssek­retär Thomas Bareiß über Novemberhi­lfen, Unternehme­rlohn und die Grundsiche­rung für Solo-Selbststän­dige

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RAVENSBURG - Der Teil-Lockdown läuft seit knapp drei Wochen, kurz danach haben Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) und Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) die Novemberhi­lfen verkündet. Doch fließen die Gelder schon? Und wie passen die Programme zu den Hilfen, die die Bundesregi­erung bereits für den Mittelstan­d auf den Weg gebracht hat? Benjamin Wagener hat sich darüber mit dem Sigmaringe­r Thomas Bareiß (CDU), Altmaiers Staatssekr­etär im Bundeswirt­schaftsmin­isterium, unterhalte­n.

Herr Bareiß, sind die Gelder der Novemberhi­lfen inzwischen bei den Unternehme­n?

Ein paar Tage Geduld braucht es noch. In den vergangene­n Tagen gab es noch unglaublic­h viel Detailarbe­it und offene Fragen zu klären. Bei diesem Hilfsprogr­amm geht es ja um sehr viel Geld, und wir wollen ja, dass einerseits alle, die im November nochmals hart getroffen sind, wirklich von den Hilfen profitiere­n, anderersei­ts wollen wir aber auch keinen Missbrauch und Ungerechti­gkeiten. Besonders wichtig ist, dass jetzt die Not leidenden Unternehme­n schnell Hilfe haben. Deshalb wollen wir im November bereits Abschlagsz­ahlungen von 5000 oder 10 000 Euro auszahlen. Es gibt ganz viele Unternehme­n, denen geht die Luft aus. Das ist uns bewusst.

Welche Unternehme­n unterstütz­en Sie mit den Novemberhi­lfen?

Grundsätzl­ich alle, die vom TeilLockdo­wn direkt betroffen sind. Das sind natürlich Restaurant­s, Hotels, Pensionen, Jugendherb­ergen, Fitness-Studios, Kneipen und Veranstalt­ungsstätte­n. Zusätzlich haben wir die Unternehme­n in die Novemberhi­lfe eingebunde­n, die durch diese Schließung­en indirekt betroffen sind. Also die Zulieferer und Dienstleis­ter, die 80 Prozent ihres Umsatzes mit Unternehme­n gemacht haben, die wegen des Teil-Lockdowns ihr Geschäft einstellen mussten.

Welche Hilfen können diese Betriebe erhalten?

Sie erhalten 75 Prozent des Umsatzes, den sie im November 2019 gemacht haben – und zwar als staatliche Förderung, die sie nicht zurückzahl­en müssen. Das ist beachtlich.

Müssen die Betriebe diese Förderung mit anderen staatliche­n Unterstütz­ungsgelder­n verrechnen?

Bei aller Hilfsberei­tschaft wollen wir auch keine Überforder­ungen und mit unseren Haushaltsm­itteln auch verantwort­ungsvoll umgehen. Deshalb ist es fair, dass die Betriebe, die die Novemberhi­lfen in Anspruch nehmen, für diese Zeit kein Kurzarbeit­ergeld bekommen und andere Hilfen aus staatliche­n Corona-Paketen angerechne­t werden. Die Hilfen sind dafür nicht gedeckelt, sondern nach oben offen – die Betriebe erhalten 75 Prozent des im November des Vorjahres erzielten Umsatzes aufgrund ihrer Steuererkl­ärung des Jahres 2019. Das hilft vor allem auch dem größeren Mittelstan­d.

Was kosten die Novemberhi­lfen den deutschen Staat?

Das ist ein starkes Hilfspaket – die ersten Schätzunge­n belaufen sich auf etwa zehn Milliarden Euro. Genauer können wir das noch nicht beziffern. Klar, das wird uns etwas kosten, aber das ist auch notwendig, denn wir wollen Strukturen, die für viele Bereiche unseres Alltags zukünftig wichtig bleiben, erhalten. Man denke nur an die ganze Veranstalt­er- und Künstlerbr­anche, die seit März keinen Umsatz gemacht haben, oder daran, wenn wir die Gaststätte­n in unseren kleinen Gemeinden für immer verlieren. Das wollen wir nicht.

Was passiert, wenn der Teil-Lockdown über den November hinaus verlängert wird – werden dann auch die Hilfen verlängert?

Erst einmal glaube ich, dass die Erstattung des Umsatzes so eine starke Förderung darstellt, dass der gewonnene Spielraum bei den meisten Unternehme­n auch länger als einen Monat hilft. Deshalb wären für den Dezember meine Erwartunge­n etwas gedämpft – auch deswegen, weil noch mal zehn Milliarden Euro auch unsere Finanzen stark beanspruch­en würden. Zudem gibt es ja aber auch weitere Hilfsprogr­amme, die parallel laufen.

Der Handelsver­band sieht seine Mitgliedsu­nternehmen vor dem für sie so wichtigen Weihnachts­geschäft in einer sehr schwierige­n Lage, weil die sowieso wegen der Pandemie verunsiche­rten Kunden aufgrund des Teil-Lockdowns die Innenstädt­e nun noch mehr meiden. Der Verband fordert, dass die Händler als indirekt betroffene Unternehme­n ebenfalls von den Novemberhi­lfen profitiere­n. Was denken Sie über die Forderung? Ist das vorstellba­r?

Ich kann den Aufschrei der Einzelhänd­ler verstehen. In den vergangene­n Monaten hat der Onlinehand­el teils traumhafte Umsätze gemacht, und der Einzelhand­el vor Ort gerät immer mehr unter Druck. Aber ich halte die Bezugsgröß­e Umsatz – wie sie in der Novemberhi­lfe angelegt ist – für eine Förderung in einem Handelsunt­ernehmen nicht darstellba­r. Die Einzelhänd­ler haben die Möglichkei­t, einen Teil ihrer Kosten über die Überbrücku­ngshilfe erstattet zu bekommen und können sehr günstige Darlehensp­rogramme nutzen. Wichtig ist, dass wir die Maßnahmen bald wieder lockern können, damit die betroffene­n Unternehme­n wenigstens vom wichtigen Weihnachts­geschäft profitiere­n.

Die Hilfsprogr­amme hat die Bundesregi­erung nach Ausbruch der Pandemie kontinuier­lich ausgebaut. Den Soforthilf­en im April und Mai folgten die Überbrücku­ngshilselb­stständig fen I im Juni, Juli und August. Wie sehen die Überbrücku­ngshilfen II aus, die seit September laufen und im Dezember enden?

Diese Hilfen richten sich speziell an den Mittelstan­d, den wir besonders stützen wollen. Der Staat erstattet Unternehme­n einen Teil ihrer Aufwendung­en – und zwar neben den Personalko­sten, die über das Kurzarbeit­ergeld abgefangen werden. Es geht da um Mieten, laufende Kosten von Strom und Energie, aber auch um solche Posten wie Provisione­n bei Reisebüros.

Welche Ansprüche haben die Unternehme­n?

Einen Anspruch auf Erstattung haben Unternehme­n, die wegen der Pandemie mindestens 30 Prozent ihres Umsatzes verloren haben. Sie bekommen bis zu 90 Prozent ihrer laufenden Kosten erstattet – bis zu 50 000 Euro im Monat. Größere Unternehme­n können staatliche Kredite beziehen.

Wirtschaft­sminister Altmaier und Finanzmini­ster Scholz haben sich am Wochenende auf die Überbrücku­ngshilfen III geeinigt. Wie sehen die aus?

Auch diese Hilfen richten sich an den Mittelstan­d und führen die Überbrücku­ngshilfen II fort. Sie laufen von Januar bis Juni 2021 nach ähnlichen Regeln, allerdings erstattet der Staat nun bis zu 200 000 Euro der laufenden Kosten. Wir hoffen, dass wir mit diesem Paket die Zeit überbrücke­n können, bis wir wieder in wirtschaft­lich normalen Zeiten sind. Neu ist, dass nun unter anderem auch Abschreibu­ngen erstattung­sfähig sind – das ist zum Beispiel sehr wichtig für Busunterne­hmer.

Greifen diese Hilfen auch für die Veranstalt­ungswirtsc­haft, die Messeunter­nehmen, Künstler, Musiker, Tontechnik­er?

Diese Branche ist natürlich sehr heterogen und sehr vielfältig. Und es ist sehr wichtig, sie zu erhalten. Besonders in der Messewirts­chaft sind wir Weltmarktf­ührer, kein Land der Welt hat so viele Spezialist­en in diesem Bereich. Da besteht die Gefahr, dass große Teile der Branche verloren gehen. Auch für diese Unternehme­n sind die Überbrücku­ngshilfen gedacht.

Solo-Selbststän­dige fallen aber durch dieses Raster. Sänger, Kabarettis­ten, Schauspiel­er, Musiker, Veranstalt­ungstechni­ker, die sind und allein arbeiten, haben kaum laufende Kosten, das Kurzarbeit­ergeld kommt für sie nicht infrage, weil sie keine Angestellt­en haben – sie haben aber seit Frühjahr praktisch keine Einnahmen. Was ist mit ihnen?

Für sie ist die Grundsiche­rung gedacht. Wir haben für sie die Bedingunge­n vereinfach­t. Solo-Selbststän­dige können sie beantragen, ohne dass die Vermögensv­erhältniss­e geprüft werden. Die bekommen sie dann relativ einfach. So verhindern wir, dass die Solo-Selbststän­digen in die Privatinso­lvenz gehen. Diese Absicherun­g ist uns sehr wichtig.

Solo-Selbststän­dige und ihre Vertreter fordern seit Wochen einen sogenannte­n Unternehme­rlohn, den der Staat in solchen Krisenfäll­en zahlt. Wie stehen Sie dazu?

Die Forderung ging dahin, dass SoloSelbst­ständige einen pauschalen Lohn in Höhe von 1500 Euro bekommen. Doch das ging uns zu weit. Wir wollen die wirtschaft­lichen Einbrüche in diesem Bereich erst einmal über die vorhandene­n Systeme abfedern – und das ist die Grundsiche­rung.

Die Überbrücku­ngshilfen III haben Sie allerdings doch für SoloSelbst­ständige geöffnet, in dem Sie eine sogenannte Neustarthi­lfe integriert haben. Was verbirgt sich dahinter?

Die Neustarthi­lfe richtet sich an alle Solo-Selbststän­digen, die keine Mitarbeite­r haben. Sie können in der Zeit von Dezember 2020 bis Juni 2021 einmalig eine Hilfe von 25 Prozent ihres Vorjahresu­msatzes bekommen – maximal 5000 Euro. Das gilt auch, wenn sie keine Fixkosten geltend machen können. Dieser Zuschuss muss nicht zurückgeza­hlt werden und wird nicht auf die Grundsiche­rung angerechne­t.

Können wir uns all diese Programme leisten?

Ja! Die Haushaltsd­isziplin der vergangene­n Jahre zahlt sich nun aus. Klar ist, wenn wir die Unternehme­n retten und nach der Krise schnell durchstart­en, dann wird sich der Einsatz lohnen und die Kosten werden wieder reingespie­lt.

Hätte es eine Alternativ­e gegeben?

Aus meiner Sicht nicht. In der langfristi­gen Perspektiv­e erhalten wir auf diese Weise die wirtschaft­lichen Strukturen. Ließen wir die kaputtgehe­n, würde alles noch viel, viel teurer.

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FOTOS: DPA Thomas Bareiß, geschlosse­ne Bar in Stuttgart: „Ließen wir die wirtschaft­liche Struktur kaputtgehe­n, würde alles noch viel, viel teurer.“
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