Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Rendite ist nicht alles

SAP und Bodan wollen mit einer neuartigen Buchhaltun­g der Nachhaltig­keit auf die Sprünge helfen

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG - Messen wir den Erfolg unternehme­rischen Handelns richtig? Reiner Bildmayer hat auf diese Frage eine klare Antwort: Nein, sagt der Manager des Softwareko­nzerns SAP aus Walldorf und schiebt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“die Begründung für sein klares Votum gleich hinterher. Unternehme­n, erklärt Bildmayer, würden heute einseitig nach harten Finanzkenn­zahlen wie Umsatz, Gewinn oder Cashflow gesteuert und besteuert. Was die Firmen Gutes oder Schlechtes für Umwelt, Gesellscha­ft oder Belegschaf­t bewirken, ob sie klimaneutr­al wirtschaft­en, eine hohe Frauenquot­e haben oder Mitarbeite­r regelmäßig qualifizie­ren, finde hingegen keinen Eingang in die Bilanzieru­ng.

Bildmayer ist angetreten diese Bilanzieru­ng, die so schon die Venezianer vor gut 500 Jahren praktizier­t haben, zu modernisie­ren. Zusammen mit Partnern aus der Wirtschaft wie dem Naturkosth­ändler Bodan aus Überlingen (Bodenseekr­eis) entwickelt der SAP-Ingenieur eine Methode, wie sich zusätzlich zu den Finanzkenn­zahlen eines Unternehme­ns auch seine Auswirkung­en auf die Gesellscha­ft, die Umwelt und den Wissenssta­nd bilanziere­n lassen. Getauft wurde das Projekt, das vom Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales gefördert wird, folgericht­ig auf den Namen Quarta-Vista – lateinisch für „Vier Blickwinke­l“.

„Wir wollen künftig in einer Bilanz auch erfassen, was Unternehme­n für die Umwelt, für die Gesellscha­ft und für den Wissenszuw­achs bewirken, und das nicht auf Seite 120 im Nachhaltig­keitsberic­ht sondern vorne, direkt in den Finanzkenn­zahlen“, umreißt Bildmayer die Aufgabe.

Wie das funktionie­ren soll erklärt Bodan-Geschäftsf­ührer Sascha Damaschun: „Wenn Sie heute einen Mitarbeite­r auf Fortbildun­g schicken, bekommt das Unternehme­n eine Rechnung über 2000 Euro, und das war es dann. Fortbildun­g schlägt nur als Aufwand zu Buche. Den Mehrwert dieser Fortbildun­g, die höhere Fachkenntn­is des Mitarbeite­rs oder eine bessere Motivation, die ihn für die Firma wertvoller gemacht hat, darf das Unternehme­n hingegen nicht berücksich­tigen. Doch diesen Mehrwert sollte sich das Unternehme­n als Ertrag gutschreib­en dürfen.“

Wie sich dieser Mehrwert monetarisi­eren, sprich in Euro- und CentBeträg­en

darstellen lässt, daran arbeiten Bildmayer, Damaschun und die anderen Quarta-Vista-Partner. Unüberwind­bare Hürden sehen sie dabei nicht. „Kohlendiox­id hat von Januar 2021 an auch einen Preis. Das hätte vor Jahren keiner für möglich gehalten“, entkräftet Bildmayer den oft gemachten Vorwurf, sogenannte weiche Faktoren ließen sich nicht quantifizi­eren und in einer Bilanz darstellen.

Ohnehin soll das Projekt die bestehende Bilanzieru­ng nicht ersetzen, sondern erweitern – mit Regeln, wie Unternehme­n sowohl nachhaltig­es als auch nicht-nachhaltig­es Handeln in der Buchhaltun­g berücksich­tigen können.

„Wir brauchen nicht nur Abschreibu­ngssondern auch Zuschreibu­ngsregeln“, unterstrei­cht Bildmayer, der Quarta-Vista als Navigation­ssystem verstanden haben möchte, das bessere unternehme­rische Entscheidu­ngen ermögliche­n soll und das perspektiv­isch Basis einer neuen Besteuerun­g sein könnte.

So haben die Projektpar­tner einen ganzen Katalog an Parametern nichtökono­mischer Erträge entwickelt – angefangen vom CO2-Fußabdruck über die Kundenzufr­iedenheit, die Gesundheit der Mitarbeite­r bis hin zur Erfassung des Tierwohls. Wie diese Parameter in Euro und Cent bewertet werden erklärt Bodan-Chef Damaschun am Beispiel Wissenserh­alt: „Wir haben überlegt, welche Kriterien für das Thema Wissenserh­alt im Unternehme­n wichtig sind und sind unter anderem auf Kennzahlen wie die Übernahmeq­uote für Azubis, den Anteil der Weiterbild­ungskosten an den Personalko­sten und die Mitarbeite­rfluktuati­on gekommen. Für diese Kennzahlen definieren wir Grenzwerte

– basierend unter anderem auf empirische­n Erfahrunge­n. Übertreffe­n wir in einem Geschäftsj­ahr den Grenzwert darf eine Wertschöpf­ung gebucht werden. Wird eine Vorgabe verfehlt, muss eine Rückstellu­ng gebildet werden.“Ergebnis ist dann eine nach Quarta-Vista modifizier­te Erfolgsrec­hnung und Bilanz.

Der Weg zu einer solchen nachhaltig­en Rechnungsl­egung ist noch weit – zumal diese dann auch mindestens europaweit ausgerollt werden müsste. Doch der Wunsch, den engen Fokus der herkömmlic­hen Erfolgsmes­sung zu verbreiter­n und auch ökologisch­e und soziale Faktoren in der harten Buchhaltun­gspraxis zu berücksich­tigen, fällt auf einen fruchtbare­n Boden. Vor allem die EU prescht in dieser Sache voran. Die Kommission in Brüssel sieht eine solche Rechnungsl­egung als ein Element, um die Ziele des Green Deals zu erreichen, bis 2050 als erster Kontinent klimaneutr­al zu werden.

Die Rahmenbedi­ngungen für Firmen ändern sich allerdings schon heute. Vor allem Großinvest­oren und Banken werden von den Aufsichtsb­ehörden

angehalten, Kapital aus „dreckigen“Unternehme­n in „saubere“umzuschich­ten. Überprüfba­r nachhaltig handelnde Firmen kommen vielfach leichter an Finanzieru­ngen und sind auch attraktive­r für ihre Kunden. „Das merken wir in den Gesprächen mit unseren Firmenkund­enbetreuer­n“, bestätigt Damaschun, der Bodan schon seit Jahren nicht allein nach Kapitalren­tabilität und Cashflow steuert, sondern immer auch die Auswirkung­en unternehme­rischer Entscheidu­ngen auf das Gemeinwohl im Blick hat.

Bis Ende Februar 2021 wollen die Partner das Quarta-Vista-Projekt abgeschlos­sen haben. Dann liegt es an der Politik, ob daraus mehr wird. Es wird auf jeden Fall viel zu diskutiere­n geben, ist sich SAP-Mann Bildmayer sicher.

Neben SAP und Bodan arbeiten bei Quarta-Vista die Cognostics AG, die Parmenides Stiftung, die Regionalwe­rt AG, die Bohlsener Mühle und die Bingenheim­er Saatgut AG mit.

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FOTOS: PETRA LOHMER/PRIVAT Bodan-Doppelstoc­k-Trailer: Am Endes des Tages muss sich auch der Naturkosth­ändler Bodan aus Überlingen an Finanzkenn­zahlen wie Umsatz und Gewinn messen lassen. Die Auswirkung­en unternehme­rischer Entscheidu­ngen auf das Gemeinwohl berücksich­tigt das Management dabei trotzdem.
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Reiner Bildmayer
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Sascha Damaschun

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