Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Hoffnung – mitten im bedrängten Leben
Der evangelische Pfarrer Christian Keinath über den Advent in Zeiten von Corona
LAUPHEIM - Kein fröhliches Gedränge auf Weihnachtsmärkten, keine Konzerte, das Gemeindeleben liegt weitgehend brach: Die CoronaPandemie wirbelt auch die Adventszeit durcheinander. Was das für die Arbeit von Christian Keinath bedeutet und wie er den Menschen Mut macht, darüber hat Roland Ray mit dem evangelischen Pfarrer in Laupheim gesprochen.
SZ: Herr Keinath, eine Adventszeit inmitten der Corona-Pandemie: Wie fühlt sich das für Sie an?
Keinath: Vom religiösen Gedanken her gar nicht so anders. Wir sind in Erwartung der Heil bringenden Begegnung mit dem Göttlichen, auf dass das Leben ganz und neu werde. Mag sein, dass die Pandemie unser Bewusstsein dafür schärft, warten wir doch sehnlich darauf, dass sie ein Ende nimmt. Die Abwesenheit des gewohnten guten Lebens ist dieses Jahr für die Menschen spürbar geworden, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt. Für manche zum Beispiel ist es beruflich fast problemlos weitergelaufen; andere wähnten sich in einer weiterhin aufstrebenden Branche, jetzt stehen plötzlich hunderte oder gar tausende Jobs auf dem Spiel.
Covid-19 schränkt uns ein, macht krank und erfordert Verzicht. Suchen deshalb mehr Menschen als sonst die Nähe zur Kirche – und das Ohr des Pfarrers?
Wir hatten auch dieses Jahr Kirchenaustritte. Ungeachtet der Krise kommen leider Menschen zu dem Schluss: Kirche sagt mir zu wenig. Anderseits ist ein intensives Nachdenken und Suchen zu spüren, bei Konfirmanden ebenso wie bei Senioren: Was trägt für mich im Leben? Vielen wird stärker als sonst bewusst, dass ihre Zeit endlich ist: Werde ich angesichts meines fortgeschrittenen Alters nächstes Jahr noch mit meinen Lieben feiern können? Sind Oma und Opa dann noch da? Die Pandemie ist vielfach schmerzlich spürbar und konkret: Ich erlebe in diesen Tagen Familien, die sterbende Angehörige aus der Klinik nach Hause holen, weil der Zugang zu den Kliniken wieder sehr erschwert ist. Und Menschen, die rüstige Spaziergänger waren, bis sie an Corona erkrankten, und es noch nach Monaten kaum die Mittelstraße rauf und runter schaffen. Und ja, in den vergangenen Wochen wurchen den des Öfteren Gesprächswünsche an mich herangetragen. Dabei geht es vermehrt um berufliche Sorgen und um Lebensfragen.
Was sagen Sie den Menschen?
Das hängt natürlich vom Einzelfall ab. Grundsätzlich bin ich der Meinung: Es tut gut, etwas anzupacken und zu gestalten. Zum Beispiel Plätzchen backen, auch wenn man seine Verwandten und Bekannten zu Weihnachten vielleicht nicht treffen kann. Dann kann man ihnen die Plätzchen wenigstens schicken, liebevoll verpackt. Ich verweise darauf, dass viele Menschen, die uns in der Bibel begegnen, unterwegs sind, noch nicht am Ziel. Sie sind mit Fragen beladen, die ihnen das Leben stellt und die sie an Gott richten. Selbst Jesus starb nach dem MarkusEvangelium mit einer an Gott gerichteten Frage. Ich versuche, Mut zu machen in dem Sinn, dass unser Leben immer von Ungewissheiten begleitet ist, dass wir aber nicht allein unterwegs sind und mit unseren Fragezeieingebunden in Gottes Horizont. Er heißt uns hoffen, seine Liebe zeigt sich in der Nächstenliebe.
Wie sind in der jetzigen Situation für Sie überhaupt Begegnungen möglich?
Manchmal auch unkonventionell. In den nächsten Tagen bin ich zu einem Gespräch verabredet, das wir bei einem Spaziergang an der frischen Luft führen wollen.
Was lehrt uns das Corona-Jahr 2020? Was sollte es uns lehren?
Ich unterrichte ja auch Religion in der Oberstufe am CLG, ein Thema lautet „Wirklichkeit“. Eine Wirklichkeit, die wir gerade erleben, ist ein Virus, das brutal reingrätscht und uns Grenzen aufzeigt. Gleichzeitig erleben wir, wie Wissenschaftler Impfstoffe, die vor dem Virus schützen, förmlich aus dem Boden stampfen. Sie versuchen, mit ihren Fähigkeiten Gutes zu tun. Diese Pole sind schon bemerkenswert. Eine Lehre daraus könnte sein, dass wir die 2020 gemachten Erfahrungen
nutzen, um eine ökonomisch und gesellschaftlich nachhaltige Entwicklung voranzutreiben, in der qualitatives Wachstum stärker zählt als quantitatives. Meine Sorge ist allerdings, dass wir viel zu schnell wieder in altes Fahrwasser gleiten, wenn die Pandemie erst vorüber ist.
Man kann durchaus den Eindruck gewinnen, dass das Virus andere Themen wie Krieg, Flucht und Klimawandel in den Hintergrund drängt.
Corona hat unglaublich viel soziale und politische Energie aufgesaugt. Dabei gibt es andere existenzielle Fragen zuhauf. Was mich dabei zum Beispiel schmerzt: dass die Fridays-for-Future-Bewegung und andere Aufbrüche aus dem Blickfeld geraten sind. Ich bin im Gespräch mit jungen Leuten, die sich hier in Laupheim engagieren, und ermutige sie: Versucht am Ball zu bleiben. Da braucht es ein Signal im neuen Jahr.
Haben Sie sich am Ende dieses außergewöhnlichen Jahres auch ganz persönlich etwas vorgenommen?
Ja. Ich möchte in einer sternenklaren Winternacht hinaus an einen Ort, an dem sich beim Blick in den Himmel die Unendlichkeit des Universums erahnen lässt, und ein „Vater unser“sprechen.
Warum?
In der Zwiesprache mit Gott riskiere ich ein vertrauensvolles „Du“und hoffe auf Antwort. Ich möchte Gott danken für die guten, erfüllten Momente. Und beklagen, dass vieles im vergangenen Jahr, auch im Gemeindeleben, nicht möglich gewesen ist. Ich tue das getragen von Hoffnung und mit der Bitte, uns von Übel zu erlösen.
Der Advent ist auch eine Zeit der Vorfreude. Die sollten wir uns nicht nehmen lassen, oder?
Auf keinen Fall. Jetzt erst recht! Ich würde jedem raten: Zelebrieren Sie das Christfest ganz bewusst. Da, wo sich etwas gut und schön gestalten lässt, mache ich das dieses Jahr ganz besonders. Und warum nicht den Baum und seinen Glanz noch ein paar Wochen länger im Wohnzimmer lassen? Das Kind in der Krippe steht für einen Neuanfang und die Hoffnung, die in die Welt kommt, mitten in das bedrängte Leben.