Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Der Teddybär, der dem Tod von der Schippe sprang
gern einige Kilometer weiter, bis sie auf einen anderen Grashang treffen, an dem sie eine neue Kolonie gründen oder sich einer bereits bestehenden anschließen können. Seit allerdings die Holzfäller in den tieferen Lagen große Kahlschläge in den Wald gerodet haben, entdecken die Auswanderer immer wieder solche künstlichen Lichtungen und damit eine anscheinend ideale neue Heimat. Nur fehlen dort die Lawinen, bald überwuchern junge Bäume und Sträucher die Lichtung. Während auf natürlichen Grashängen immer wieder Felsblöcke aus dem Grün ragen, auf denen die Murmeltiere Wache mit gutem Rundumblick halten können, bieten die jungen Bäume und Sträucher ideale Deckung für Räuber. „Die aber nutzen solche Angebote aus und können die neue Kolonie rasch auslöschen“, erklärt Taylor.
Nach dem Puma-Fiasko setzten die Artenschützer die Nachkommen der Zoo-Murmeltiere daher bei deren letzten Artgenossen aus, die in den Bergen von Vancouver Island noch auf natürlichen Grashängen ausharrten. Diesmal klappte alles hervorragend, vor allem die Kolonie am Mount Washington florierte. Gleich daneben liegt der riesige Strathcona Provincial Park, ein Naturschutzgebiet, das fast so groß wie das Saarland ist. Dort gab es noch etliche Grashänge, von denen die Murmeltiere längst verschwunden waren. „Als wir dort neue Kolonien gründen wollten, erlebten wir unseren nächsten schweren Rückschlag“, erinnert sich Taylor. Kaum eines der Tiere überlebte. Anscheinend waren die Murmeltiere an das Leben in der Natur einfach nicht mehr gewöhnt. „Im Zoo hatten sie zum Beispiel nie gelernt, dass ein Weißkopfseeadler eine tödliche Gefahr ist, wenn er sich vom Himmel auf seine Beute stürzt“, erklärt Taylor eines der Probleme.
„Die nächste Generation schickten wir daher erst einmal in die Murmeltier-Schule“, berichtet der Artenschützer weiter: Die unerfahrenen Youngsters lebten ein Jahr lang in der Kolonie am Mount Washington. Dort lernten sie von ihren Artgenossen, wie man sich vor Weißkopfseeadlern, Pumas und anderen Feinden schützt, wie man seine Höhle für den Winterschlaf gemütlich einrichtet und viele weitere nützliche Dinge aus dem Alltag eines Murmeltiers.
Die inzwischen recht gewieften Tiere wurden dann wieder eingefangen und im nahen Strathcona-Park in die Natur entlassen. „Diesmal mit gutem Erfolg und sechs- bis siebenmal höheren Überlebensraten als bei den unerfahrenen Tieren“, freut sich Taylor.
Auch wenn inzwischen wieder gut 200 Vancouver-Murmeltiere in der Natur leben, sind sie noch längst nicht über den Berg: „Inzwischen wachsen durch den Klimawandel vielerorts Bäume, die es an der gleichen Stelle vor 20 Jahren noch nicht gab“, beobachtet Alan Taylor. Dadurch aber steigen die Chancen der Räuber und die der Murmeltiere sinken. Weniger Sorgen bereitet dagegen das Erbgut der Tiere. Gibt es von einer Art wie bei den Murmeltieren nur noch sehr wenige Individuen, geht oft ein Teil der dort vorhandenen genetischen Vielfalt verloren.
Auch wenn eine Art dem Aussterbetod von der Schippe springt, kann dieser Verlust ihr mittelfristig noch zum Verhängnis werden. „Im Grunde genügt ja ein einziges Paar, um eine Art vor dem Aussterben zu retten“, erklärt Arne Ludwig vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. Das haben die Wisente gezeigt: Alle heute lebenden mehr als 3000 Tiere stammen von drei Vorfahren ab.
Daher haben die Wisente einen großen Teil ihrer einstigen genetischen Vielfalt verloren. Das kann sich besonders beim Immunsystem auswirken, das den Körper normalerweise mit einer großen Vielfalt von Abwehrzellen gegen ein Heer von gefährlichen Erregern wappnet. Fehlt ein großer Teil dieser Vielfalt, ist demnach die Körperabwehr geschwächt. Genau mit diesem Problem kämpfen die Wisentbullen, deren Geschlechtsorgane sehr häufig von gefährlichen Bakterien befallen werden. Diese Infektionen können die Wisente nicht nur unfruchtbar machen, sondern auch töten.
Bei den Vancouver-Murmeltieren ist diese Gefahr allerdings erheblich kleiner: „Wir setzen die Paare so zusammen, dass langfristig möglichst die gesamte Vielfalt erhalten bleibt und haben tatsächlich bisher keine genetischen Verluste beobachtet“, erklärt Taylor. Die Chancen der schokoladenbraunen Teddybären namens Vancouver-Murmeltier scheinen also recht gut zu stehen.
Adam Taylor, Geschäftsführer der Murmeltier-Rettungs-Stiftung
Damit fiel aber auch die Familiengründung ins Wasser.