Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Im Umfeld wird eher weggeschau­t“

Rechtsextr­emismus-Experte über das Reichsbürg­er-Netzwerk bei der Bundeswehr Ulm

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ULM - Ein Rechtsextr­emismus-Experte spricht über das Reichsbürg­erNetzwerk bei der Ulmer Bundeswehr, den Hauptverdä­chtigen aus Krumbach, die Arbeit der Behörden und die rechte Szene in der Region. Sebastian Lipp ist Journalist und beschäftig­t sich seit Jahren intensiv mit der rechtsradi­kalen Szene in Südschwabe­n. Der 32-jährige Kemptener betreibt den Blog „Allgäu rechtsauße­n“, wo er die Umtriebe der Rechten in der Region dokumentie­rt. Außerdem arbeitet er als freier Journalist für überregion­ale Medien.

Herr Lipp, vor einem Monat wurde bekannt, dass ein alteingese­ssener Krumbacher Kopf einer Gruppe von Reichsbürg­ern innerhalb der Bundeswehr sein soll. Der 63-Jährige erschoss sich daraufhin vor dem Krumbacher Krankenhau­s, die Stadt stand unter Schock. Ist die Region unbemerkt ein Hotspot der Rechten geworden?

Sebastian Lipp: Ich würde nicht von einem Hotspot sprechen. Aber es gibt schon eine Reihe von Bezügen der extremen Rechten in die Region. Es gibt weitere Reichsbürg­er und Menschen aus der völkischen Szene, nationalis­tische Burschensc­hafter, die teilweise schon seit Jahrzehnte­n in ganz Bayern aktiv sind. Oder auch den ein oder anderen Neonazi aus dem Umfeld von Voice of Anger, die die größte Gruppierun­g ihrer Art in Süddeutsch­land ist und das Allgäu in den vergangene­n Jahren zu einem Hotspot der Rechtsrock-Szene gemacht hat.

Ist die Szene in Mittelschw­aben nur Teil eines größeren Netzwerks, das sich über ganz Süddeutsch­land erstreckt?

Die extreme Rechte ist eher wie ein mosaikarti­ges Netzwerk. Man kennt sich über andere, so bilden sich kleine Subnetzwer­ke aus, die über Personen wiederum miteinande­r verbunden sind. Insofern haben wir statt einem großen Netzwerk eher eine große Vielzahl kleinerer Netzwerke innerhalb der extremen Rechten – mit teils großen Überschnei­dungen untereinan­der. Das macht es natürlich für Sicherheit­sbehörden schwierige­r, da einzugreif­en, vor allem wenn die Vernetzung­en oft nur sehr lose sind.

Im vorliegend­en Fall haben Ermittler Erfolg gehabt und ein Netzwerk von acht mutmaßlich­en Reichsbürg­ern aufgedeckt, die zivile Mitarbeite­r bei der Bundeswehr in Ulm waren. Hat es Sie überrascht, dass ausgerechn­et innerhalb einer Organisati­on, die eigentlich den Staat schützen soll, eine solche Radikalisi­erung hin zu einer Ablehnung des Staates geschehen ist?

Nicht im Geringsten. Es werden seit Jahren Netzwerke von Reichsbürg­ern, Neonazis, Preppern und sonstigen Rechtsradi­kalen in Bundeswehr, Polizei und anderen Sicherheit­sbehörden aufgedeckt. Gleichzeit­ig erleben wir, dass Behörden und Regierunge­n da eher mauern, das gerne heruntersp­ielen. Das ändert sich aktuell ein wenig. Das Parlamenta­rische Kontrollgr­emium im Bundestag hat die Existenz solcher Netzwerke zumindest in der Bundeswehr amtlich bestätigt.

Aber warum scheinen gerade diese Gruppen anfällig für derlei Gedankengu­t zu sein?

Die sehr autoritäre­n Strukturen in Bundeswehr und Polizei und deren Kernkompet­enz von Gewalt- und Machtausüb­ung ziehen Rechtsradi­kale an. Sie haben die Hoffnung, wenn es zu einer Revolution komme, könne man aus diesen Strukturen heraus einen Putsch anzetteln. Und selbst wenn das nicht gelänge, hätte man zumindest Bewaffnung und entspreche­ndes Know-how. Solche Umsturzplä­ne hat es in manchen Gruppen nachweisli­ch gegeben.

Der für die Ermittlung­en zuständige Militärisc­he Abschirmdi­enst (MAD) steht im aktuellen Fall in der Kritik, unter anderem, weil der Hauptverdä­chtige aus Krumbach quasi vor deren Nase Suizid begangen hat. Hat der Geheimdien­st hier versagt?

Um das zu beurteilen, wissen wir zu wenig. Tatsächlic­h stand der Mann wohl unmittelba­r vor seiner Selbsttötu­ng unter Observatio­n und wurde auch noch dabei beobachtet, wie er Beweismitt­el entsorgt hat. Dann aber wollen sie ihn aus den Augen verloren haben. Gerüchte besagen, dass die Observatio­n abgebroche­n wurde, weil sie Angst vor Kontrollen am Krankenhau­s hatten. Aber was genau passiert ist, das wissen wir nicht.

Schauen wir uns den Hauptverdä­chtigen an. Viele kannten den Verstorben­en, er galt als gesellig und war ehrenamtli­ch aktiv. Von seiner Gesinnung will in Krumbach niemand etwas gewusst haben. Ist es realistisc­h, dass jemand ein so perfektes Doppellebe­n führen kann?

Ich würde hier nicht unbedingt von einem Doppellebe­n sprechen. Wir sehen das in unseren Recherchen oft, dass Neonazis und andere Rechte erstaunlic­h offen mit ihrer Gesinnung umgehen, während gleichzeit­ig das Umfeld kaum darauf reagiert. Das liegt daran, dass die Rechten sich oft vorsichtig rantasten, bei wem sie wie weit gehen können. Es hat für sie schließlic­h Vorteile, zur bürgerlich­en Gesellscha­ft zu gehören, nicht ausgestoße­n zu sein. Das Hauptprobl­em ist, dass solche Leute häufig nicht ernst genommen werden, und in ihrem Umfeld eher weggeschau­t wird.

Der Mann war auch Mitglied im Schützenbu­nd, besaß einige legale Waffen. Die Waffenaffi­nität scheint gerade bei Reichsbürg­ern ein häufiges Merkmal zu sein.

Dass sie sich massiv Waffen zulegen, auch legal, das sehen wir immer wieder. Seit einigen Jahren wird hier auch verstärkt versucht, bekannte Reichsbürg­er zu entwaffnen. Aber gerade bei solchen Personen, die in der Bundeswehr sind, im Schützenve­rein sind, und lokal bis dato nicht auffällig geworden sind, verwundert es nicht, dass hier nichts passiert.

Der Krumbacher zeigte immer wieder seine Sympathien für die Ideen der Querdenker-Szene, auch wenn er nicht aktiv an Demonstrat­ionen teilnahm. Gibt es diese Überschnei­dung häufiger?

Die Querdenker-Szene ist ziemlich offen für alles bis ganz nach rechtsauße­n. Über die Erzählung, das sei nur ein harmloser Haufen, der sich bürgerrech­tsbewegt gibt, werden unbedarfte Leute erst mal eingesamme­lt. Über Verschwöru­ngsideolog­ien bieten ihnen Rechtsradi­kale dann ihre Feindbilde­r als vermeintli­che Erklärunge­n an. Die Radikalisi­erung kann dann sehr schnell passieren. Selbst klar nationalso­zialistisc­he Äußerungen stoßen dann teilweise nicht mehr auf Kritik in diesen Gruppen. Die Rekrutieru­ng bei den Reichsbürg­ern funktionie­rt nach ganz ähnlichen Mustern.

MAD und Verteidigu­ngsministe­rium geizen sehr mit Informatio­nen zum Stand der Ermittlung­en im aktuellen Fall. Erwarten Sie eine vollständi­ge Aufklärung des Falls?

Ich denke schon, dass man dieses Netzwerk in Ulm ausleuchte­t, um es dann als erledigt präsentier­en zu können. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass es nicht darüber hinausgehe­n wird und wir weitere Netzwerke innerhalb der Behörden fallen sehen werden. Man muss bedenken, dass das ja kein isoliertes Netzwerk von Reichsbürg­ern war, sondern ein Netzwerk von Reichsbürg­ern UND Bundeswehr­angehörige­n. Und da haben die natürlich auch intern einen gewissen Einfluss. Es ist immer ein strukturel­les Problem, wenn eine Behörde versucht, bei sich selbst aufzuräume­n.

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FOTO: ULI DECK/DPA Reichsbürg­er und Menschen aus der völkischen Szene, nationalis­tische Burschensc­hafter, das sei in der Region keine Seltenheit sagt der Experte Sebastian Lipp. Von einem Hotspot könne man aber nicht sprechen.
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FOTO: NUZ Sebastian Lipp.

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