Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Aus dem Seuchenjahr ins Superwahljahr
Wie es die FDP aus der Krise bis in die Bundesregierung schaffen will
RAVENSBURG - 2020 war ein Seuchenjahr für die FDP, nicht nur wegen der Corona-Pandemie. Zeitweise sahen die Umfragen die Liberalen nur noch knapp im Bundestag, Alleinunterhalter Christian Lindner beging politische Fehler und verlor an Strahlkraft. Das muss im Superwahljahr 2021 anders werden. Wie der Bundeschef und seine FDP das bewerkstelligen wollen, skizzierte er beim Dreikönigstreffen. Dabei war Überraschendes zu hören.
Wegen der Corona-Pandemie konnte sich die liberale Familie nur virtuell treffen statt wie zum Jahresauftakt üblich mit 1400 Parteifreunden in der Stuttgarter Staatsoper. Dabei könnte die FDP gerade in diesem wichtigen Wahljahr Nestwärme und Teamgeist sehr gut brauchen. Sechs Landtagswahlen, darunter im März in Baden-Württemberg. Im Herbst folgt die Bundestagswahl.
Das erklärte Ziel Lindners ist ein zweistelliges Ergebnis – und mitregieren sollen die Liberalen, sowohl in Berlin als auch in Baden-Württemberg. Regieren hätte die FDP bekanntlich 2017 gekonnt, ließ jedoch eine Jamaika-Koalition mit CDU und Grünen platzen, weil sie zu wenig ihrer Inhalte durchsetzen konnte. In der FDP hatte Lindner dafür Rückendeckung. Doch seither hat Lindner an Zugkraft verloren. Weil er noch immer der bei Weitem profilierteste Liberale ist, litt darunter auch die FDP. 2020 war für den 41-Jährigen und seine Partei nicht nur wegen der Corona-Pandemie ein Seuchenjahr. Im Februar lavierte Lindner zunächst, als sich sein Parteifreund Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten von Thüringen wählen ließ. Danach folgten öffentlich ausgetragene Querelen um Generalsekretärin Linda Teuteberg, die Lindner zunächst selbst eingesetzt hatte und im Sommer gegen Volker Wissing, Minister in Rheinland-Pfalz, austauschte.
Und dann auch noch Corona. In Krisen profitiert zunächst vor allem, wer regiert. Im Bund und in BadenWürttemberg ist die FDP aber in der Opposition. In vielen Umfragen im Bund rangierte sie 2020 gefährlich nahe an der Fünf-Prozent-Marke. Noch einmal nicht in den Bundestag einziehen wie 2013 – das wäre existenzbedrohend.
Welches Amt er selbst bekleiden möchte, sagte Linder am Mittwoch bereits: Finanzminister. Als solcher werde er vor allem dafür sorgen, dass „die Mittelschicht nicht zusätzlich zur Kasse gebeten wird“. Das klingt noch durchaus liberal, etwas weniger typisch jedoch der Gegenvorschlag Lindners: „Die Online-Giganten müssen einen fairen Beitrag zur Finanzierung unseres Gemeinwesens leisten“. Konzerne wie Amazon oder Google seien da in der Pflicht.
Auch die Südwest-FDPler Michael Theurer und Hans-Ulrich Rülke übten sich in liberale Globalisierungskritik. Es gelte Jobs und Knowhow in Deutschland zu halten vor allem in der für den Südwesten wichtigen Auto- und Zulieferindustrie. Die Mittel, mit denen die FDP das bewerkstelligen will, sind bekannte liberale Rezepte: weniger Bürokratie, weniger Abgaben für die Wirtschaft, ein besseres Klima für Gründer, mehr Fokus auf Digitalisierung und ein besseres Bildungssystem.
Dieser Kurs ist bekannt, ebenso wie die Tatsache, dass die Liberalen die Grünen als politischen Hauptgegner ausgemacht haben. Und das, obwohl eine Regierungsbeteiligung sowohl in Berlin als auch in Stuttgart nach Lage der Dinge wahrscheinlich nur mit den Grünen zu machen wäre.
Grüne Themen jedoch wollen längst auch die Liberalen besetzen. So sagte Lindner zum Klimaschutz und der dafür notwendigen Umbau der Mobilität: „Uns ist es ernst damit, aber wir haben einen anderen Weg“. Besonderes Augenmerk legten Lindner und sein Parteifreunde auf die Zukunft des Verbrennungsmotors. Aus ihrer Sicht gilt es, diesen mit klimafreundlichen Brennstoffen zu versorgen statt ihn gänzlich abzuschaffen. So müsse die Wasserstofftechnologie besser gefördert werden.
An CDU und SPD arbeitete sich Lindner mit Blick auf deren CoronaPolitik ab. Er sprach von Impfchaos, politischem Versagen beim Schutz Alter und Kranker, von zum Teil unmenschlichen Konsequenzen der jüngst beschlossenen Beschränkungen. Besonders am Herzen lagen Lindner am Mittwoch die Frauen. „Die besonderen Lasten werden noch immer vor allem von den Müttern getragen.“Man dürfe durch die
Corona-Pandemie nicht jene Erfolge verlieren, die ein Jahrzehnt der Gleichstellung gebracht habe. Lindner hatte sich viel Kritik für seinen persönlichen Umgang mit der Frauenfrage im Fall der Generalsekretärin Teuteberg eingehandelt. Sehr attraktiv für Frauen ist die Partei aktuell nicht: nur etwa jedes fünfte Mitglied ist weiblich, der Anteil der Wählerinnen ist deutlich geringer als jener der Wähler.
Gesellschaftspolitisch setzte Lindner einen zweiten Schwerpunkt. „Wir hatten zwar eine unkontrollierte Zuwanderung, sind aber kein attraktives Einwanderungsland“, mahnte er. Es gebe viel zu oft Alltagsrassismus – wer eine Wohnung oder einen Job suche, habe mit einem vermeintlich nicht-deutschen Namen Probleme. Es brauche mehr Willkommen für jene, die sich an Regeln hielten und sich in die Gesellschaft einbrächten. Deutschland müsse stärker aus der Corona-Krise herauskommen als es hineingegangen sei, so Lindners Wunsch – was aus seiner Sicht auch für die FDP gelten dürfte.